Duisburg. Der Duisburger Verein Riskid fordert, Kindeswohl über den Datenschutz zu stellen. Eine Kinderarztpraxis hat furchtbare Verletzungen dokumentiert.

Im vergangenen Jahr starben laut Bundeskriminalamt 152 Kinder in Deutschland durch Gewalteinwirkung, die meisten waren jünger als sechs Jahre. 134 Duisburger Kinder wurden 2020 Opfer von Sexualdelikten, die Zahl der Misshandlungen stieg laut Polizei Duisburg um 31 Prozent.

Der Landtag NRW hat nun als erstes Bundesland einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, der zur Aufdeckung von Missbrauch den Austausch zwischen Kinderärzten möglich machen könnte. Die Neuregelung könnte Ärzten helfen, frühzeitiger Kindesmisshandlungen zu diagnostizieren, weil sie sich im Zweifel über Befunde austauschen können.

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Brutaler Umgang mit Kindern auf Fotos dokumentiert

Allein die Fälle aus einer Duisburger Kinderarztpraxis, die Riskid, der Duisburger Verein zur Bekämpfung von Kindesmisshandlung, mitsamt Fotos auf der Webseite dokumentiert, verdeutlichen, wie viel Leid manchen Kindern zugefügt wird – durch Überforderung der Eltern, psychische Erkrankungen oder auch sadistisch motiviert:

Beinbrüche bei Babys, die noch gar nicht laufen können, Schlagspuren durch Gürtelschnallen, Verbrennungen durch Zigaretten oder das Festketten an Heizkörpern. Behandelt wurde auch ein Kind, das in einen Wäschetrockner gesperrt wurde und das Verbrennungen im Muster der Trommel auf dem Körper hatte.

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Verdachtsfälle der Kindeswohlgefährdung werden von verschiedenen Stellen gemeldet

Verdachtsfälle zur Kindeswohlgefährdung werden häufig durch Verwandte und Bekannte, Schulen, Kitas, Polizei und Gerichte oder etwa durch Nachbarn gemeldet. Kinderärzte melden Verdachtsfälle „im Rahmen ihrer gesetzlichen und ärztlichen Verpflichtung“, sagt Stadtsprecher Falko Firlus.

Diese Einschränkung kann für Kinder gefährlich sein, der Datenschutz wird über den Kinderschutz gestellt, beklagt Dr. Ralf Kownatzki, der Gründer von Riskid. Denn Eltern, die befürchten, dass ihnen Ärzte auf die Schliche kommen könnten, betreiben „Ärztehopping“ – sie verschwinden aus dem Radius der Praxis, bevor sie ein Verdachtsfall werden.

Verein Riskid fordert Schweigepflichtsentbindung für ärztlichen Austausch

Dass sich der Landtag endlich mit dem Problem beschäftigt, kann sich Riskid auf die Fahnen schreiben. Der Verein kämpft seit über 15 Jahren dafür, Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, damit sie sich bei Problemfällen mit Kollegen austauschen können. Ein Pilotprojekt auf Duisburger Ebene zeigte, dass das möglich und sinnvoll ist, sagt Kownatzki. Gefährdete Kinder hätten so rechtzeitig in Obhut genommen werden können.

Der Haken an dem Pilotprojekt ist allerdings, dass die teilnehmenden Kinderärzte wegen der Datenschutzgrundverordnung alle Eltern in ihrer Praxis um Genehmigung bitten müssen - im Zweifel also den oder die potenziellen Misshandler, erklärt Kownatzki. „Das hat uns in der Vernetzung behindert.“ Manch ein Kollege nimmt mit Verweis auf die Gesetzeslage bislang nicht teil. Wenn das Gesetz in Kraft tritt, könnte sich jeder Kinderarzt mit dem Vorbehandler austauschen, ohne die Eltern um Genehmigung bitten zu müssen.

Kinderarzt Dr. Ralf Kownatzki setzt sich für ein Gesetz ein, dass die Vernetzung der Ärzte zum Aufdecken von Kindeswohlgefährdung ermöglicht.
Kinderarzt Dr. Ralf Kownatzki setzt sich für ein Gesetz ein, dass die Vernetzung der Ärzte zum Aufdecken von Kindeswohlgefährdung ermöglicht. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Um Kinder vor Gewalttaten besser schützen zu können, schlug Kownatzki auch vor, die Auszahlung des Kindergelds an die U-Untersuchungen zu knüpfen. Politiker hätten da aber abgewunken. Die bislang übliche Nachverfolgung bei verpassten U-Untersuchungen hat die Stadt Duisburg unlängst ohnehin aufgegeben.

>>GESETZ SOLL KINDERSCHUTZ STÄRKEN

  • Der Gesetzentwurf wurde am 1. Juli von CDU und FDP in den Landtag eingebracht. Hier ist der Entwurf nachlesbar:https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-14280.pdf
  • Jetzt müssen sich die zuständigen Ausschüsse damit beschäftigen, es folgt eine Expertenanhörung und in einigen Monaten könnte das Gesetz in Kraft treten. Wegen der Wahlen im kommenden Jahr ist es wahrscheinlich, dass das Vorhaben noch in dieser Legislaturperiode durch kommt.
  • Der Verein Riskid betreibt die Datenbank für Ärzte ehrenamtlich, sie wird durch Sponsoring finanziert. Weitere Infos unter https://www.riskid.de/