Essen. Eltern, die ihre Kinder misshandeln, gelten zumeist als überfordert. Ein Kinderarzt widerspricht: Es gebe Eltern, die aus Sadismus handelten.

„Alle Eltern wollen das Beste für ihr Kind“, lautet einer der Glaubenssätze der Jugendhilfe. Manche Mütter und Väter scheiterten jedoch, weil sie überfordert seien. Man müsse sie also nur unterstützen, dann gehe es auch ihren Kindern besser. Dr. Ralf Kownatzki weiß es besser: Als Kinderarzt sind ihm Opfer elterlicher Gewalt bekannt, die über Monate systematisch gequält wurden. Kleine Kinderkörper, übersät mit den Brandmalen ausgedrückter Zigaretten oder dem Gittermuster des an die Haut gedrückten Föhns. Wie eine Zielscheibe sieht das aus.

Eltern steckten Zweijährigen in den Trockner

Nein, manchmal gehe es nicht um Überforderung: „Manche Eltern misshandeln ihre Kinder aus Sadismus.“ Oder wie solle man das nennen, wenn ein Zweijähriger in den Trockner gesteckt und dort verbrüht wird, weil er beim Fernsehen gestört hat? Wenn Kinder, an Heizungsrohre gefesselt, mit Eisenstangen geschlagen, mit kochendem Wasser übergossen werden. All dies wurde Kleinkindern und Babys angetan; Kownatzki hat die Fälle auf der Website https://www.riskid.de/ dokumentiert.

Es ist kein Zufall, dass die Opfer so klein sind: Auch in Essen werden Kinder bis zu drei Jahren am häufigsten vom Jugendamt in Obhut genommen – weil sie bei den Eltern in Gefahr sind. Erst aber muss ihr Leid entdeckt werden. Wenn die Kinder nicht schon bei der Tagesmutter oder in der Kita sind, ist der Kinderarzt der Erste, dem etwas auffallen kann. Oft erzählten Eltern von Unfällen oder stellten ältere Geschwister als Aggressoren dar. Weil sie diese Geschichten nicht immer wieder auftischen können, „wechseln sie häufig den Arzt, tauchen ab“.

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Geht es nach Kownatzki, muss der Gesetzgeber dieses Doctor-Hopping erschweren: Könnten sich Kinderärzte über ihre Patienten austauschen, fielen wiederkehrende Verletzungen und unerklärliche Unfälle rascher auf. Der Arzt und seine Mitstreiter fordern, dass das Kinderschutzgesetz entsprechend ergänzt wird: Um eine Meldung an die Jugendhilfe vorzubereiten, müsse es Ärzten erlaubt sein, sich gegenseitig über Befunde zu informieren – ohne vorheriges Einverständnis der Erziehungsberechtigten.

„Kindergeld sollte an Vorsorgeuntersuchungen gekoppelt werden“

Kownatzki, der in Essen lebt, aber in Duisburg praktiziert, ist Vorsitzender des dort ansässigen Vereins Riskid. Er unterhält die ärztliche Riskid-Infoplattform. Die hier vernetzten Ärzte informieren sich bereits: Sie lassen sich dafür beim ersten Besuch die Einwilligung der Eltern geben. Wohl aus Angst, sich verdächtig zu machen, unterschreiben auch Eltern, die später ins Visier geraten. Regelmäßig decken Riskid-Ärzte Misshandlungen auf.

Als Meilenstein bezeichnet Kownatzki die von der Landesregierung geplante Lockerung der Schweigepflicht für Ärzte, die bei jungen Patienten auf einen Missbrauchsverdacht stoßen: Sie sollen sich austauschen dürfen. Der Landtag stimmt am 1. Juli über das Gesetz ab.

Bleiben jene Eltern, die erst gar nicht zum Kinderarzt kommen. Sie sollten vom Jugendamt aufgesucht werden, wenn sie die verpflichtenden Vorsorgeuntersuchungen wiederholt ignorieren. Eine personalintensive Kontrolle, mit der die Jugendämter offenbar oft überfordert seien, glaubt Kownatzki. „Man müsste einfach die Auszahlung des Kindergeldes an die Teilnahme an den U-Untersuchungen koppeln.“

Die kleine C. wurde keine vier Jahre alt

Um was es geht, kann man auf der Riskid-Homepage sehen: Fotos von geschundenen Körpern und Seelen. Auch das Bild der kleinen C. ist darunter, keine vier Jahre alt. Sie hatte ein Jahr im Heim gelebt, war dort aufgeblüht, als das Jugendamt meinte, bei den Eltern sei sie doch am besten aufgehoben. Drei Monate später war das Mädchen tot.