Duisburg. Die 7-Tage-Inzidenz im Hotspot ist gesunken, als die PCR-Tests reduziert wurden. Gibt es einen Zusammenhang? Wie groß ist Duisburgs Dunkelziffer?

Das Maß der Corona-Pandemie ist hierzulande meist die Sieben-Tage-Inzidenz. Lockerungen oder Lockdown für Zehntausende, das hängt von der Wocheninzidenz ab. Davon also, wie viele Menschen sich in den letzten sieben Tagen nachweislich in einem (nur auf Karten) abgegrenzten Gebiet pro 100.000 Einwohner angesteckt haben. In Duisburg etwa gibt es bislang keine Ausgangssperre, weil der Inzidenzwert nach dem Sprung auf 299,8 am 15. November gesunken war. Bei der Berechnung des Vergleichswertes können nur laborbestätigte Fälle berücksichtigt werden. In den Laboren indes kommen weniger Proben zur Untersuchung auf SARS-CoV-2 an, seit auf Empfehlung des Robert Koch-Instituts (RKI) eine veränderte Test-Strategie gilt. Im Hotspot Duisburg ist die Zahl der Abstriche, die von der Stadt erfasst werden, seither deutlich gesunken – gleichzeitig auch die Sieben-Tage-Inzidenz. Bleiben also in Duisburg seither noch mehr Infizierte als ohnehin unentdeckt?

Seit dem 11. Oktober gilt Duisburg als „Risikogebiet“ mit einer Sieben-Tage-Inzidenz über 50 (siehe Grafik und Infobox unten). Wegen des exponentiellen Wachstums dauerte es nur 16 Tage, bis in Duisburg auch die 200er-Schwelle überschritten war. Seit dem 27. Oktober gilt die Stadt durchgängig als „Extrem-Hotspot“ oder „Super-Hotspot“. In NRW hat bislang keine kreisfreie Stadt, kein Kreis mehr Covid-19-Fälle je 100.000 Einwohner registriert (Stand 17. Dezember: 2747).

Test-Statistik der Stadt Duisburg enthält nicht alle Abstriche

Die RKI-Empfehlung vom 11. November, die Kriterien für PCR-Tests auf SARS-CoV-2 zu verändern, gilt bundesweit, also auch für Duisburg. Wegen der begrenzten nationalen Laborkapazitäten sollen seither nur noch Patienten mit „schwerer Symptomatik“ getestet werden. Zwei der Gründe: „Es ist nicht vorgesehen und nicht möglich, in der kommenden Herbst-/Wintersaison alle Personen mit … zum Beispiel nur Schnupfen oder Halsschmerzen auf eine SARS-CoV-2-Infektion zu testen.“ Betroffene mit milden Symptomen sollen sich freilich dennoch in Isolation begeben. Die Konzentration gilt aber Patienten mit schweren Verläufen und dem Schutz der Risikogruppen.

Die direkten Auswirkungen dieses Kurswechsels sind in Duisburg teilweise zu erkennen, weil die Stadtverwaltung – anders als viele andere Kommunen – seit März täglich meldet, wie viele PCR-Tests mit Proben von Duisburgern in Laboren durchgeführt wurden. Am 9. Dezember wurde demnach die 100.000er-Grenze überschritten.

Diese städtische Test-Statistik bildet jedoch nicht die Summe aller Corona-Tests für Duisburger ab, sondern nur die in den Testzentren von Stadt und Kassenärztlicher Vereinigung Nordrhein (KVNO) durchgeführten Tests sowie die Abstriche durch mobile Teams des Gesundheitsamtes und der Feuerwehr. Nicht mitgezählt werden dagegen Entnahmen in Krankenhäusern und Arztpraxen. Die Betreiber beziehungsweise die KVNO pflegen solche Statistiken nicht, allein die Beauftragung eines PCR-Tests ist nicht meldepflichtig.

Wichtig: Alle positiven Covid-Befunde aber müssen dem Gesundheitsamt gemeldet werden. Auch die attestierten Infektionen von Labortests, die von der Stadt nicht mitgezählt wurden, sind also immer in der Amtsstatistik der Corona-Fälle enthalten.

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Die Amtsstatistik, auf deren Grundlage Duisburgs Sieben-Tage-Inzidenz errechnet wird, bildet also alle laborbestätigten Corona-Fälle von Menschen mit Duisburger Wohnadresse ab. In Duisburg wurden jedoch mehrere zehntausend Tests mehr (in Krankenhäusern und Praxen) durchgeführt als von der Stadt gezählt. Das ist bei der folgenden Betrachtung zu bedenken.

Was sind die Gründe für die rückläufige Sieben-Tage-Inzidenz?

Unsere Redaktion vergleicht Woche für Woche, wie viele neue Fälle und Tests die Stadtverwaltung jeweils von Mittwoch bis Dienstags meldet. Daraus geht hervor, dass in den drei Wochen mit den meisten registrierten Tests auch die meisten neuen Corona-Fälle erfasst wurden (28. Oktober bis 17. November, siehe Grafik).

Nach der „Rekord-Woche“ mit 7078 von der Stadt gezählten Tests sank die dokumentierte Test-Intensität. Die Folge: drei Wochen mit weniger als 4500 Tests (25. November bis 15. Dezember). Und ab Mitte November verringerte sich gleichzeitig die Zahl der bekannten Covid-Fälle auf zuletzt noch knapp über 1000.

Ist die Fallzahl und somit die Sieben-Tage-Inzidenz also nur gesunken, weil weniger getestet wurde?

Die Ursachen für die rückläufige Inzidenz „sind breitgefächert“, antwortet Stadtsprecher Jörn Esser. „Wir gehen davon aus, dass die jüngsten Maßnahmen – wie zum Beispiel die Kontaktbeschränkungen, die erweiterte Maskenpflicht und auch die verstärkten Kontrollen – zu dieser Entwicklung beigetragen haben. Dass jedoch auch die niedrigeren Testzahlen zu weniger Infizierten in der Statistik beitragen, können wir zumindest nicht ausschließen.“

Positivrate in der städtischen Teststraße ist deutlich gestiegen

Allerdings sei in der städtischen „Teststraße“ (in ihrem gemeinsamen Testzentrum im TAM betreiben Stadt und Kassenärzte testanlassbezogen getrennte Schalter) die Positivquote nach den geänderten Vorgaben des RKI deutlich gestiegen, sagt Esser. Er meint den Prozentanteil der positiven Befunde unter den Testergebnissen: „Während die Quote der positiv Getesteten in der Woche vor dem 11. November noch bei etwa acht Prozent lag, ist diese Ende November auf 14 Prozent angestiegen.“

Das Duisburger Corona-Testzentrum im Theater am Marientor (TAM). Hier organisieren Feuerwehr, Gesundheitsamt und Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) mehrere Teststraßen.
Das Duisburger Corona-Testzentrum im Theater am Marientor (TAM). Hier organisieren Feuerwehr, Gesundheitsamt und Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) mehrere Teststraßen. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Eine erhöhte Positivrate ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Behörden trotz der reduzierten Tests weiterhin viele Infizierte erwischen. Ein Beispiel dafür, was die Stadt seit dem Kurswechsel anders macht, erläutert Stadtsprecherin Anja Kopka, Mitglied im Krisenstab: „Wenn es früher einen Fall in einer Schulklasse gab, haben wir für alle Schüler der Klasse Tests angeboten, auch wenn diese keine Symptome hatten. Das haben wir seit Mitte November nicht mehr gemacht.“

Die Kassenärztliche Vereinigung kann auf Anfrage keine Angaben dazu machen, wie sich die Positivrate ihrer TAM-Teststraße entwickelt hat. Dort werden Patienten getestet, die von niedergelassenen Ärzten geschickt werden. „Die Anzahl der Abstriche in der ,KV-Straße’ im TAM ist in den vergangenen Wochen rückläufig“, bestätigt KVNO-Sprecher Christopher Schneider. In der Kalenderwoche 47 (16–22.11.) seien es 2055 Abstriche gewesen, in der 49. KW (30.11.–6.12.) beispielsweise nur noch 1332. Auch die niedergelassenen Ärzte folgten der neuen Teststrategie. Sie schicken so weniger Patienten zum TAM, testen selbst seltener.

Schnelltests reduzieren das Risiko, Infizierte zu verpassen

Ein Faktor, der inzwischen dazu beiträgt, dass durch die verringerte Testintensität deutlich mehr Infizierte ohne Krankheitsanzeichen oder mit leichten Symptomen entdeckt werden, ist die steigende Anzahl von Schnelltests. Immer mehr Ärzte und Firmen bieten diese Antigen-Tests auch in Duisburg an, die Seniorenheime und die Kliniken setzen sie täglich hundertfach ein (wir berichteten).

Wie viele solcher Antigen-Tests es in Duisburg täglich sind, wird nirgends erfasst. Fällt ein solcher Schnelltest positiv aus, wird das Ergebnis mit einem PCR-Test überprüft. Erst wenn dieser ebenfalls positiv ist, geht der Betroffene als Corona-Fall in die Statistik ein. Die Schnelltests helfen also, das Dunkelfeld zu verkleinern.

Nach einer Einschätzung zum Duisburger Dunkelfeld befragt, verweist der Krisenstab auf eine Studie der Ludwig-Maximilians-Universität für die Stadt München nach der ersten Welle. Dort war der Anteil der Menschen mit nachgewiesenen Antikörpern etwa viermal höher als der der registrierten Infizierten. „Die Studie ist aber aus vielerlei Gründen – Jahreszeit, städtebauliche, demografische und andere abweichende Faktoren – nicht 1:1 auf andere Kommunen übertragbar“, erläutert Stadtsprecher Jörn Esser.

Wohl mehrere zehntausend weitere Infizierte in Duisburg

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Aufgrund der viel höheren Fallzahlen der zweiten Welle und der nördlich der Ruhr weiter als in München verbreiteten Armut ist es jedoch nicht unwahrscheinlich, dass unter den etwa 499.500 Duisburgern wie in München seinerzeit mindestens viermal mehr Menschen mit Corona infiziert waren/sind als es die bis Donnerstagabend offiziell 13.649 Fälle dokumentieren. Zu diesen werden vor allem symptomfreie infizierte Kinder und Jugendliche mit unspezifischem Verlauf zählen.

Fazit

■ Trotz der reduzierten Zahl an PCR-Tests dürften in Duisburg also wahrscheinlich nicht sehr viele Infizierte mehr übersehen werden als bereits vor der Änderung der Test-Strategie. Die empfindliche Sieben-Tage-Inzidenzrechnung könnte dadurch dennoch leicht verzerrt werden.

■ Das grundsätzliche und größere Problem in einer derart stark befallenen Stadt sind die vielen tausend nicht entdeckten Fälle und potenziellen Überträger.

■ Um so mehr ist es kurzsichtig, Infektionsschutzmaßnahmen im einem Dauer-Hotspot von vergleichsweise geringfügigen Veränderungen der Sieben-Tage-Inzidenz abhängig zu machen.

Zumal Bund und Länder den 200er-Grenzwert recht willkürlich und situativ gewählt hatten. Die Grünen im nordrhein-westfälischen Landtag beispielsweise hatten sich zuletzt für Hotspot-Regeln ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 ausgesprochen.

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>> 7-TAGE-INZIDENZ UND GRENZWERTE, POSITIVRATE UND TESTINTENSITÄT

■ Die 7-Tage-Inzidenz ist die Anzahl der an sieben aufeinanderfolgenden Tagen in einer Region gemeldeten positiven PCR-Tests pro 100.000 Einwohner. Für die Ausweisung der 7-Tages-Inzidenz werden zu jedem Datum alle Fälle berücksichtigt, die in den sieben Tagen vor diesem Datum gemeldet wurden. Der Inzidenzwert kann sich auch dadurch stark verändern, dass Tage mit besonders hohen Werten aus der 7-Tage-Wertung fallen. Der Bezug auf die Einwohnerzahl ermöglicht eine bessere Vergleichbarkeit verschiedener Regionen.

■ Als sich Bundesregierung und Ministerpräsidenten im Mai auf Lockerungen einigten, vereinbarten sie, dass in Landkreisen oder kreisfreien Städten mit mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern stärkere Beschränkungen umgesetzt werden sollen. Duisburg gilt seit dem 11. Oktober als ein solches Risikogebiet. Das RKI hatte im Oktober ab einer 7-Tage-Inzidenz von 50 für alle Schulen einer betroffenen Stadt eine generelle Maskenpflicht im Unterricht sowie Wechselunterricht empfohlen. Das Schulministerium NRW ignorierte dies.

■ Am 25. November vereinbarten Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten, für Städte und Kreise mit Sieben-Tage-Inzidenzen über 200 gezielte Maßnahmen zu entwickeln. Bis zum 15. Dezember dauerte es, ehe das NRW-Gesundheitsministerium und Duisburgs Krisenstab eine leicht verschärfte Kontaktbeschränkung für Duisburg beschlossen. Tägliche Schnelltests von Mitarbeitern und Besuchern in Altenheimen und deren personelle Unterstützung haben Bund, Land und Stadt trotz der hohen, weiter schnell steigenden Duisburger Todeszahlen nicht umgesetzt.

■ Eine Positivrate allein anhand der städtisch erfassten Tests zu errechnen, ist unzulässig, da die Statistik wie erläutert längst nicht alle Tests enthält. Ein dennoch so errechneter Anteil positiver Tests war in den Wochen ab dem 18. November nur etwas höher als in den Wochen vor dem Gipfel der zweiten Welle. Der höchste Anteil positiver Tests ergibt sich vom 11. bis 17. November (5428 Tests, 1462 neue Fälle: 26,93 %).

■ Alle Grafiken zum Infektionsgeschehen in Duisburg