Duisburg. Rund um die Kommunalwahl mussten Duisburgs Politiker viel einstecken, besonders von rechts. Gedroht und beleidigt wurde vor allem im Netz.
Wer in der Öffentlichkeit steht, muss einstecken können – Politiker gerade im Vorfeld einer Wahl. Vor allem in den sozialen Netzwerken sind sie Häme, Wut und Hass ausgesetzt. Parteiübergreifend geben Duisburger Politiker an, im diesjährigen Wahlkampf vor den Kommunalwahlen beschimpft oder bedroht worden zu sein. Manche berichten sogar von tätlichen Angriffen.
Von Hatespeech war etwa Duisburgs CDU betroffen. Der Kreisverband postete bei Facebook Quotecards, Bilder mit kurzen Stellungnahmen zu politischen Themen. Außerdem wurden Fotos aller Kandidaten verbreitet – im Stile des klassischen Wahlplakats, nur digital. Der Redaktion liegen Screenshots vor, die zeigen: Die CDU musste auf ihrer Seite hunderte beleidigende und hetzerische Kommentare löschen.
„Merkeltante“, „rote Braut“: Anfeindungen gegen CDU-Politikerin bei Facebook
Unter den Quotecards fanden sich rechte Phrasen wie „Volksverräter“, „Bahnhofsklatscher“ und „Migrantenschleuser“, dazu allgemeine Verunglimpfungen wie „Dreckspack“ – meist von anonymen Accounts.
Zwei Nutzer, dem Profil nach beide aus Duisburg, posteten dagegen unter ihrem Klarnamen: „Löscht euch, für die Verbrechen am eigenen Volk“, schrieb der eine. „Hört auf mit eurer Lügerei. Das könnt ihr den Asylanten erzählen, aber keinen vernünftigen Deutschen“, kommentierte der andere.
Unter den Porträtbildern wurde es auch persönlich. So drohte ein Nutzer dem CDU-Kandidaten Björn Pollmer: „Willkommen auf der Liste der Angeklagten für die Tribunale wegen des Verrats am deutschen Volke.“ Auffällig bei Pollmer ist, dass sich viele Kommentare auf sein junges Alter bezogen – zum Zeitpunkt der Wahl war er 22: „Aus der Schule in der Parlamente“, „geh erstmal arbeiten“. Mehrere Nutzer warfen ihm vor, aus Arbeitsscheu nach politischen Ämtern zu streben.
Auch Pollmers Parteifreundin Sonja Dietl ist eine junge Politikerin und hat erstmals für ein Amt kandidiert. Und auch unter ihrem Wahlkampfbild war einiges los: „Merkeltante“, „rote Braut“, kommentierten zwei Männer. „In Duisburg hätte sie mit Kopftuch bessere Chancen“, schrieb eine Nutzerin.
Tür am Parteibüro der Duisburger Linken wurde eingeschlagen
Nichts davon habe sie wirklich belastet, sagt Dietl. „Aber es wirft doch ein seltsames Licht auf manche Mitmenschen.“ Fast alle Anfeindungen könne man eindeutig dem rechten Lager zuordnen; Kommentare mit linksradikalem Kontext seien ihr nicht aufgefallen. Für Dietl ein Spiegelbild des Wahlausgangs: „Wir haben gesehen, wie hoch das rechte Potenzial in Duisburg ist.“
Anfeindungen von rechts treffen – natürlich – besonders oft die Linkspartei. „Es wird gegen alles gehetzt, was nicht deutsch, nicht heterosexuell rüberkommt oder anders aussieht“, sagt Julien Gribaa, Sprecher des Kreisverbands. Das gehe bis hin zu Mord- und Gewaltandrohungen und Vergewaltigungsfantasien. Beim Blick auf die Profile falle auf: „Die folgen ganz eindeutig zuordenbar rechten und verschwörungstheoretischen Seiten und auch AfD- oder NPD-Kreisverbänden und -Politikern.“
Duisburgs Linke mussten im Spätsommer auch erleben, wie die Gewalt real wurde: Gut drei Wochen vor der Wahl schlugen Unbekannte die Eingangstür des Parteibüros ein. Markus Menzel aus dem Kreisvorstand bereitet das Sorge, auch weil er in der Vergangenheit bereits an seinem Wohnort bedroht worden sei. „Da ist eines dieser linken Schweine, die wir noch entsorgen müssen“, habe man ihm zugerufen. „Ich beobachte diese Entwicklung seit mehr als 20 Jahren“, sagt Menzel, „und befürchte für die Zukunft eine weitere Zunahme rechter Gewalt.“
AfD-Politiker berichtet von sozialer Ausgrenzung wegen Kandidatur
Von beleidigenden Nachrichten und Kommentaren, sogar von tätlichen Angriffen berichtet aber auch die Partei, die von vielen als verbaler Brandstifter ausgemacht wird.AfD-Wahlhelfer seien bespuckt, geschubst und mit Gegenständen beworfen worden, sagt Kreissprecher Alan Imamura, Plakate habe man ihnen aus der Hand gerissen. Die AfD sieht sich in dem Zusammenhang auch als Opfer der Medien und der anderen Parteien, von denen sie oft ausgegrenzt werde. Viele Menschen würden das missverstehen und AfD-Mitglieder als „zum physischen Angriff freigegeben“ betrachten, so Imamura.
Dazu käme Ausgrenzung im privaten Umfeld. AfD-Kandidat Alexander Schaary berichtet, er habe erlebt, wie zwei Bekannte seinetwegen eine Jogging-Gruppe bei Whatsapp verließen. Kurz zuvor hatte sein Wahl-Steckbrief in der Zeitung gestanden. Die Begründung eines der Mitglieder hat Schaary per Screenshot festgehalten: „So lange ein Rechtsextremer in dieser Gruppe ist, verlasse ich diese.“
Polizei: 80 Anzeigen im Zusammenhang mit der Kommunalwahl
Dass Fälle von Beleidigung, Bedrohung oder physischer Gewalt im Vorfeld einer Wahl zunehmen, will die Polizei so eindeutig nicht bestätigen. „Solche Delikte nehmen immer dann zu, wenn Personen in der Öffentlichkeit besonders präsent sind – nicht nur, aber auch im Rahmen einer Wahl“, erklärt Sprecherin Stefanie Bersin.
Bei der Polizei Duisburg gingen bis Ende Oktober rund 80 Anzeigen in Zusammenhang mit der Kommunalwahl ein. Dazu gehörten jedoch ganz unterschiedliche Delikte, auch Anzeigen wegen Wahlbetrugs oder abgerissener Plakate.
Duisburger Parteien erstatten in nur wenigen Fällen Anzeige
Vergleichsfähige Zahlen aus der Vergangenheit gibt es zumindest auf Landesebene. Ein klarer Zusammenhang zwischen Wahlterminen und der Anzahl der Delikte offenbart sich dabei nicht. Nach einer Statistik des Innenministeriums wurden 2019, im Jahr der Europawahl, im Bereich der politisch motivierten Kriminalität insgesamt 6032 Delikte erfasst. Dazu gehören unter anderem Beleidigungen, Sachbeschädigungen und Gewaltdelikte sowie Volksverhetzungen. 2017, als sowohl der Bundes- als auch der Landtag neu gewählt wurde, betrug die Summe 6599 Delikte; 2016, als in Nordrhein-Westfalen keine Wahl stattfand, waren es dagegen noch 7445 Fälle.
[Nichts verpassen, was in Duisburg passiert: Hier für den täglichen Duisburg-Newsletter anmelden.]
Zumindest für den Hass im Netz ist die Aussagekraft dieser Zahlen jedoch gering. Alle von der Redaktion befragten Parteien geben an, keine oder kaum Postings zur Anzeige zu bringen – in nur wenigen Fällen vermuten sie strafrechtliche Relevanz.
Polizeisprecherin Bersin ermutigt sie, persönliche Beleidigungen und konkrete Drohungen konsequent zu melden: „Die Ermittlungen sind sehr kleinteilig, aber es ist immer gut, hinzusehen.“
>> POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT IN NRW
• Von den 6032 politisch motivierten Straftaten im Jahr 2019 wurden 3659 dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet, 1425 dem linksextremen. Bei der Art der Delikte gab es deutliche Unterschiede: Im Bereich der Gewaltdelikte etwa haben 2019 links motivierte Täter öfter Branddelikte und Widerstandshandlungen begangen (28 bzw. 58, rechts: 4 bzw. 8). Körperverletzungen wurden dagegen häufiger rechtsradikalen Tätern zugeordnet (138, links: 84).
• Bei Bedrohungen und Nötigungen waren es auf rechter Seite 57 Delikte (links: 23), bei den Beleidigungen 274 (links: 209). Sachbeschädigungen gingen dagegen häufiger auf das Konto der linken Szene (549, rechts: 164). Besonders groß ist der Unterschied bei den Volksverhetzungen: In 486 Fällen waren diese rechtspolitisch motiviert (links: 6).
• Für politische Verantwortungsträger in NRW, deren persönliches Sicherheitsgefühl nachhaltig beeinflusst ist, hat das Innenministerium eine zentrale Ansprechstelle eingerichtet. Diese „Ansprechstelle für polizeiliche Sicherheitsfragen steht Politikern unter 0211 8713131 zur Verfügung.