Duisburg. Heinsberg, Gütersloh, Hamm – Duisburg. Der Langzeit-Städte-Vergleich zeigt: Duisburg ist der Corona-Dauer-Hotspot in NRW. Das sind die Gründe.

Die Meldungen über Sieben-Tage-Inzidenzen überschlagen sich. Das Interesse daran ist groß, weil Städte binnen kurzer Zeit zum „Corona-Risikogebiet“ erklärt werden – was für viele Bewohner weit reichende Folgen hat. Duisburg zählt nach einem tagelangen Inzidenz-Hoch über 40 seit Montag ebenfalls zu den Städten und Kreisen, die den 50er-Grenzwert überschritten haben. Auf lange Sicht ist Duisburg statistisch betrachtet von den großen NRW-Städten die am stärksten betroffene. Nur zwei Kreise und eine kreisfreie Stadt registrierten anteilig mehr Infektionen. Dass Duisburg Corona-Dauer-Hotspot ist, hat viele Gründe.

Die Sieben-Tage-Inzidenz soll das Infektionsgeschehen vergleichbar machen, auch wenn sich das Virus freilich nicht an Stadtgrenzen hält und auch viele Menschen in NRW diese täglich überschreiten. Die Aufbereitung aller lokalen Corona-Daten durch das Robert Koch-Institut (RKI) ermöglicht über die Neuinfektionsrate und die absoluten Zahlen hinaus auch einen epidemiologischen Langzeit-Vergleich. Mit der jeweiligen Summe an Corona-Fällen und der Einwohnerzahl lässt sich für jede kreisfreie Stadt und jeden Kreis berechnen, wie viele Infektionen dort bislang jeweils unter 100.000 Einwohnern erfasst wurden, seit Ende Januar in Bayern die erste Sars-CoV-2-Infektion hierzulande nachgewiesen wurde.

Duisburg: 643,1 Corona-Infektionen auf 100.000 Einwohner

In Duisburg waren das bis Samstag, 10. Oktober, 643,1 Fälle je 100.000 Einwohner (in Summe: 3107). Das ist der vierthöchste Wert unter den 22 kreisfreien Städten und 31 Landkreisen in NRW. Mehr Covid-19-Fälle/100.000 Einwohner hatten bislang nur:

• der Kreis Heinsberg (873,0) mit Gangelt, dem ersten Corona-Hotspot in NRW,

• der Kreis Gütersloh (858,2), wo sich im Juni über Werksmitarbeiter in den Tönnies-Fleischwerken ansteckten, und

• die kreisfreie Stadt Hamm (708,1). Dort hatten sich bei einer türkischen Großhochzeit im September über 200 Teilnehmer infiziert.

Das negative Duisburger Dauerhoch hat viele Ursachen. Derart gewaltige Ausbrüche wie in Gütersloh und Heinsberg gab es hier zwar nicht, dafür aber etliche kleine und mehrere mittelschwere. Die meisten Fälle wurden im Zusammenhang mit Infektionsketten im DPD-Paketzentrum in Hüttenheim (43 Infizierte im Juni), im Awocura-Seniorenzentrum Im Schlenk (46 Infizierte im April) und nach einer Hochzeit in Hochfeld Mitte September (letzter abgefragter Stand: 48 Infizierte) registriert. Auch beim Ausbruch in der Moerser Öztas Dönerproduktion im Juni wurden mindestens 25 Arbeiter aus Duisburg infiziert.

Ein weiterer Grund dafür, dass Duisburg im täglichen Situationsbericht des RKI regelmäßig in der Tabelle der 15 Städte/Kreise mit den höchsten Sieben-Tage-Inzidenzen auftaucht(e), waren die vielen Reiserückkehrer, die sich in Risikogebieten angesteckt hatten. Von etwa 9700 erfassten hatten sich 250 angesteckt (Stand: 5. Oktober). Die meisten waren in der Türkei, im Kosovo, in Serbien, Mazedonien, in Bulgarien, Rumänien und Spanien.

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Einige Stadtteile waren besonders betroffen

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Mitte Juli war zudem durch ein versehentlich vom Gesundheitsamt an Vereine, Gemeinden und Verbände verschicktes Schreiben bekannt geworden, dass sich nach Familien- und Glaubensfeiern größere Infektionsketten in einzelnen Stadtteilen gebildet hatten. Einen Monat zuvor beispielsweise standen mindestens 14 Ansteckungen im Zusammenhang mit einem privaten Zuckerfest. Im Schreiben des Gesundheitsamtes hieß es, „dass die Erkrankung sich oft innerhalb einer Familie verbreitet. Bei großen Familien kann das zu sehr vielen Erkrankungen führen.“

Infizierte hatten bis zu 30 Kontakte der Gruppe 1 angegeben. Besonders betroffen waren seinerzeit laut Schreiben Stadtteile mit den Postleitzahlen 47053 (Hochfeld), 47138 (Untermeiderich, Mittelmeiderich, Obermeiderich, Ruhrort, Neumühl), 47139 (Beeck, Beeckerwerth, Untermeiderich), 47166 (Alt-Hamborn, Beeck, Bruckhausen, Marxloh, Obermarxloh, Neumühl) und 47169 (Aldenrade, Fahrn, Marxloh, Röttgersbach, Wehofen) (wir berichteten). Bis auf Hochfeld liegen alle nördlich der Ruhr.

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Sprachbarrieren: Schwer zu erreichende soziale Gruppen

Bei vielen Duisburgern stehen die türkische Community und Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien unter Corona-Generalverdacht, auch weil Augenzeugen immer wieder anprangerten, in den Zentren von Hochfeld und Marxloh sowie auf DVG-Linien durch die Viertel hielten sich viele Passanten beziehungsweise Passagiere nicht an Infektionsschutzmaßnahmen, vor allem Jugendliche nicht.

Mitarbeiter des Ordnungsamtes konzentrierten sich bei ihren Kontrollen schnell auf Bereiche, aus denen Bürger viele Verstöße meldeten, und seit Mitte Juni geht der städtische Außendienst konsequent gegen Maskensünder in DVG-Bahnen und -Bussen vor. Der Krisenstab ließ AHA-Informationen in 14 Sprachen übersetzen und über unkonventionelle Kanäle wie Whatsapp verbreiten.

Fest steht, so formulierte es der damalige Krisenstabsleiter Martin Murrack Ende Juni: Es gibt in Duisburg „auch aufgrund von Sprachbarrieren schwer zu erreichende soziale Gruppen, die gehen nicht direkt zum Arzt. Wir haben Respekt davor, dass es in solchen Gruppen zu einem Ausbruch kommen könnte, darum testen wir intensiv.“ Im Mai hatte die Stadt zum Beispiel nach einem Massentest von über 1000 Grundschülern in Hochfeld fünf infizierte Kinder identifiziert.

Die soziale Komponente der Corona-Pandemie zeigt sich im von Armut und Zuwanderung geprägten Duisburg deutlich: Anfangs schleppten mehrere Österreich-Urlauber aus dem bürgerlichen Süden der Stadt das Virus aus Österreich ein, schnell waren danach Ärmere in beengten Wohnverhältnissen gefährdeter.

Gezielte Testungen: viele kleine Hotspots entdeckt

Von Anfang an sorgte aber auch der Duisburger Krisenstab im positiven Sinne dafür, dass Duisburg viele Infektionen meldete: Er ließ gezielt und engagiert suchen. Das mobile Testteam der Feuerwehr fand viele kleine Hotspots, etwa in mehreren Werkstätten für Menschen mit Behinderung, in Asylunterkünften und in zahlreichen Pflegeeinrichtungen. Die vielen Tests asymptomatischer Risikogruppen verringerten die Dunkelziffer, schützten besonders gefährdete Gruppen.

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Bis zum 7. Oktober wurden in 57 Altenheimen bei 89 prophylaktischen Reihenuntersuchungen insgesamt 16.618 Tests durchgeführt. Das Zwischenergebnis: 253 labortechnisch bestätigte Fälle (172 Bewohner, 81 Mitarbeiter). Viele der, offiziell, 72 Duisburger Todesopfer wohnten in Seniorenheimen.

Deutlich mehr Abstriche als in Düsseldorf und in Essen

Dass überdurchschnittlich viele Testungen eine weitere Erklärung für die überdurchschnittlich vielen gemeldeten Infektionen sind, ist also plausibel, aber anhand von Vergleichszahlen nicht zu belegen. Das Land macht den Kommunen keine Vorgaben, diese haben selbst die Hoheit über ihre Test-Strategie. Längst nicht alle Städte veröffentlichen die Anzahl der Testungen; einige zählen Abstriche der niedergelassenen Ärzte und/oder Krankenhäuser mit, andere nicht.

Bis zu einem stichprobenartigen Vergleich Anfang Juni waren in Duisburg (außerhalb von Krankenhäusern und Arztpraxen) anteilig deutlich mehr Einwohner beprobt worden als etwa in Düsseldorf, Essen und Mülheim. Allerdings steigt mit der Zahl der Infektionen auch die der Tests überdurchschnittlich – die meisten Vergleiche hinken also inzwischen allein schon deshalb.

Im benachbarten Düsseldorf, das über Monate hinweg ähnlich stark betroffen wie Duisburg war, wurden (ebenfalls außerhalb von Krankenhäusern und Arztpraxen) bis zum 8. Oktober 53.238 Abstriche genommen. In Duisburg waren es 55.852. Hier leben jedoch etwa 120.000 Menschen weniger als in der Landeshauptstadt, das RKI rechnet mit 498.590 bzw. 621.877 Einwohnern.

Duisburg organisierte also deutlich mehr Tests je 100.000 Einwohner – und erheblich mehr als im (allerdings monatelang weniger stark betroffenen) Essen (582.760 Einwohner). Dort weist die Stadtverwaltung bis zum 11. Oktober lediglich 40.138 Abstriche aus – jedoch inklusive der Ergebnisse aus Essener Kliniken. Zum Vergleich: Allein bis Ende Juli waren in Duisburger Krankenhäusern etwa 12.000 Abstriche genommen worden – die in der Statistik der Stadt jedoch nicht mitgezählt werden.

Hygieneregeln im Privaten werden „offenbar immer mehr vernachlässigt“

Aktuell sei das Infektionsgeschehen in Duisburg „recht breit gestreut“, erklärte der Krisenstab vorige Woche. Stadtsprecherin Anja Kopka betonte noch am Freitag, sublokal auffällige Infektionsherde in einzelnen Stadtteilen gebe es nicht. Der Anstieg sei stadtweit zu verzeichnen.

Die breite geografische Streuung spiegelt sich auch in den von Schulen gemeldeten Fällen wider: vom 12. August bis zum 5. Oktober waren es 62 Schüler und 16 Lehrkräfte – an 50 Schulen.

Was leider auch bedeutet: Es muss mehrere, nicht unterbrochene Infektionsketten im gesamten Stadtgebiet geben. Auch darum warnt der Corona-Krisenstab, gerade im privaten Bereich würden Abstands- und Hygieneregeln „offenbar immer mehr vernachlässigt“. So bleibt Duisburg Dauer-Hotspot und Risikogebiet.

>> COVID-19-FÄLLE IN DEUTSCHLAND – ABSOLUTE ZAHLEN

Die meisten Covid-19-Fälle gab es nach absoluten Zahlen (nicht anteilig) in diesen Städten und Kreisen (Stand: 11. Oktober; die zwölf Berliner Bezirke werden getrennt voneinander gemeldet):

  1. München: 12.539
  2. Hamburg: 8912
  3. Köln: 5954
  4. Region Hannover (Stadt & Kreis): 4748
  5. Frankfurt: 4185
  6. Düsseldorf: 3599
  7. Stuttgart: 3277
  8. Duisburg: 3207
  9. Kreis Esslingen: 3182
  10. Kreis Gütersloh: 3132
  11. Städteregion Aachen (Stadt und Kreis): 3029
  12. Kreis Ludwigsburg: 2945
  13. Berlin Bezirk Mitte: 2868
  14. Bremen: 2768
  15. Kreis Rosenheim: 2736