Duisburg. In Duisburg werden weiter vergleichsweise viele Corona-Neuinfektionen registriert. Wie der Krisenstab das erklärt, welche Risikofaktoren es gibt.

Als Stadtkämmerer kennt sich Martin Murrack mit komplexen Zahlenwerken und der oft undankbaren Aufgabe aus, diese der Öffentlichkeit kurz und knapp zu erklären. Ende Mai löste Murrack Gesundheitsdezernent Ralf Krumpholz nach drei Monaten Dauerlage als Leiter des städtischen Corona-Krisenstabes ab. Die Stadtverwaltung veröffentlicht täglich epidemiologische Kennzahlen zum lokalen Infektionsgeschehen. Die Diskussionen darüber kreisen in Duisburg um die Frage: Warum gibt es in der Stadt im Vergleich zu vielen anderen Kommunen an Rhein und Ruhr seit Wochen so viele Neuinfektionen?

Die Duisburger Daten zeigen vor allem, dass die Pandemie keineswegs überstanden ist. Am 24. Juni (153 Infizierte) waren mehr aktive Corona-Fälle bekannt als am 22. März (133), gleichwohl deutlich weniger als auf dem Höhepunkt der Kurve am 8. April (278, siehe Grafik).

Corona in Duisburg: Tagelang die höchste Sieben-Tage-Inzidenz in NRW

Für die anhaltend vielen Neuinfektionen – Duisburg hatte im Juni nach dem DPD-Massentest an vielen Tagen die höchste Sieben-Tage-Inzidenz in NRW (wir berichteten/siehe Infobox unten) – gibt es aus Murracks Sicht einen Hauptgrund: Die Stadt teste, anders als viele andere Kommunen, seit Wochen eigeninitiativ und kontinuierlich engmaschig beim ersten Hotspot-Verdacht das jeweilige Umfeld. Die vielen Tests führten zwangsläufig zu mehr Befunden: „Wir machen Massentests, um Infektionsketten zu unterbinden und den Rest der Bevölkerung zu schützen.“ Darüber hinaus, bestätigt Murrack, habe die Pandemie auch eine soziale Komponente. Diese könnte das Infektionsgeschehen im von Armut und Zuwanderung geprägten Duisburg ebenfalls beeinflussen.

„Wir testen proaktiv jeden Tag“, erläutert Murrack, zum Beispiel „jeden Tag in Seniorenheimen“, wo das Virus besonders gefährlich für die oft vorerkrankten Bewohner ist. Viele der 55 im Zusammenhang mit Covid-19 verstorbenen Duisburger lebten in Heimen (wir berichteten). Das von der Feuerwehr organisierte mobile Testteam (siehe Infobox), so Murrack, suche und „finde viele kleine Hotspots“ wie zuletzt in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung, in Asylunterkünften und beim Paketzusteller DPD. Das verringere die Dunkelziffer, treibe aber die Zahl der registrierten Fälle in die Höhe – wenngleich es immer wieder auch Reihentests ohne viele positive Laborbefunde gibt, etwa unter den 400 Erzieherinnen in städtischen Kitas.

Mobiles Testteam findet immer Erkrankte ohne Symptome

Der Vergleich der veröffentlichten Duisburger Testzahlen mit denen anderer NRW-Städte spricht für Murracks Erklärung. Gleichwohl schränkt er selbst ein, solche Vergleiche zwischen Städten seien kaum möglich. Tatsächlich bezieht etwa die Stadt Köln auch die von Hausärzten und der Uniklinik durchgeführten Tests in ihre Statistik ein, die Duisburger Verwaltung mache das nicht. Aber auch in Duisburg, sagt Tittmann, „testen die Hausärzte und die 13 Duisburger Krankenhäuser auch noch unabhängig von uns“. Deren Abstriche gehen jedoch nicht in die städtische Statistik ein, die inzwischen mehr als 20.000 Tests ausweist.

Martin Murrack berichtet, das Testteam „finde meist auch Infizierte ohne Symptome“ wie beispielsweise unter den Lagerarbeitern von DPD. Ob alle Infizierten dort tatsächlich gänzlich symptomfrei waren, darf freilich bezweifelt werden. Sicher ist – nicht erst seit dem Corona-Ausbruch bei Tönnies: Besonders Geringverdiener arbeiten trotz gesundheitlicher Beschwerden, um Einkommensverluste zu vermeiden und ihre Jobs nichts zu gefährden.

Risikofaktoren: Sprachbarrieren, Armut und beengte Wohnverhältnisse

Zudem gibt es in Duisburg „auch aufgrund von Sprachbarrieren schwer zu erreichende soziale Gruppen, die gehen nicht direkt zum Arzt“, erläutert Murrack: „Wir haben Respekt davor, dass es in solchen Gruppen zu einem Ausbruch kommen könnte, darum testen wir intensiv.“ Als Beispiel nennt er die Massentests in Hochfeld und bestätigt sozial bestimmte Risikofaktoren. Ärmere in „beengten Wohnverhältnissen sind gefährdeter“.

Darum kontrolliere das Ordnungsamt die Einhaltung der Schutzverordnung gezielt „in den Stadtteilen, wo’s interessant wird. Aber wir können nicht überall gleichzeitig kontrollieren.“ Nicht nur in Hochfeld und Marxloh, sondern überall registriere der städtische Außendienst leider: „Die Akzeptanz für Abstandsregeln schwindet in der Bevölkerung.“

Lagezentrum Corona: Bislang elf Aushilfskräfte fürs Gesundheitsamt rekrutiert

Nachgesteuert habe der Krisenstab bei der personellen Ausstattung des Gesundheitsamtes für die Nachverfolgung von Infektionsketten. Um diese „Ermittlungen“ hätten sich nach den Kriterien des Robert-Koch-Institutes deutlich mehr Mitarbeiter kümmern müssen. „Auf so eine Situation kann kein Gesundheitsamt vorbereitet sein“, sagt Murrack.

111 Mitarbeiter hat das Amt, viele Freiwillige aus anderen Ämtern hätten sich seit März für den Telefondienst im „Lagezentrum Corona“ im früheren VHS-Gebäude an der Königstraße gemeldet. Die Stadt sucht für den Telefondienst seit Ende Mai studentische Aushilfskräfte und hat bereits elf gefunden. Ihre Aufgabe: Sie werden befristet beim „Contact-Tracing“ mithelfen, all jene zu ermitteln, die Kontakt zu Infizierten hatten. Unter den medizinisch-epidemiologischen Maßnahmen ist diese eine der effizientesten – und preiswertesten.

>>MOBILES TESTTEAM, LABORTEST-KOSTEN, SIEBEN-TAGE-INZIDENZ

• Für das mobile Testteam der Feuerwehr sind zurzeit täglich 40 Mitarbeiter unterwegs: Feuerwehrleute, Mitarbeiter von Personaldienstleistern und des MDK (medizinischer Dienst der Krankenkassen), Schulbegleiter und Sozialdienstleister. Bis zu 1000 Abstriche täglich könnten sie nehmen, sagt Feuerwehrchef Oliver Tittmann.

• Er und Murrack sind erleichtert, dass die Kassenärztliche Vereinigung seit dem 14. Mai, nach einer Bundesentscheidung, auch die Kosten von Massenbeprobungen übernehmen soll. Zuvor hatten die KV Abstriche von Personen ohne Symptome nicht gezahlt. Anfang März habe ein Labortest noch mehr als 60 Euro gekostet, inzwischen seien es etwa 30.

• Die Sieben-Tage-Inzidenz sagt aus, wie viele Menschen in einer Kommune in sieben Tagen bezogen auf 100.000 Einwohner neu erkrankt sind. Sie darf in Deutschland nicht über 50 steigen, sonst droht der Stadt bzw. dem Kreis ein lokaler Shutdown – wie nun in Gütersloh nach dem massiven Ausbruch in den Tönnies-Betrieben.

• Duisburg hatte nach dem Ausbruch bei DPD tagelang den höchsten Wert der Kreise und kreisfreien Städte in NRW, er schwankt seit Wochen zwischen 15 und 20. Zum Vergleich: In der reichen Nachbarstadt Düsseldorf (19,7) ist er aktuell höher als in Duisburg (15,4), Gütersloh wies Werte bis zu 257,4 aus, der Kreis Warendorf bis zu 68,4.