Duisburg. Die Tierschutz-Partei hat zwei Ratssitze gewonnen. Unterstützung kommt aus Düsseldorf, auch von Torsten Lemmer. Ein Mit-Kandidat wittert Betrug.

Reinhold Kassen versteht die Welt nicht mehr. Als Spitzenkandidat für die „Unabhängige Wählergemeinschaft Tierschutz“ machte er in Duisburg Wahlkampf, sammelte Unterschriften und stellt jetzt fest, dass er gar nicht im Rat gelandet ist – weil er nicht mal Spitzenkandidat war.

Kassen, ehemaliger Bergmann, ist seit Jahren aktiver Tierschützer, hauptberuflich bezeichnet er sich als Medienkoordinator für Animal Peace. Er protestierte gegen den Hundewelpen-Verkauf bei Zoo Zajac und das Gänsereiten in Wattenscheid. Politisch kandidierte er (vergebens) für den Bundestag und das Europa-Parlament, und jetzt auch für „seine Stadt Duisburg“. Deshalb trat er nebst Frau und Sohn bei den Kommunalwahlen an.

Reinhold Kassen ist bei der Kommunalwahl für die Unabhängige Wählergemeinschaft Tierschutz in Duisburg angetreten. 
Reinhold Kassen ist bei der Kommunalwahl für die Unabhängige Wählergemeinschaft Tierschutz in Duisburg angetreten.  © Privat | Privat

Direktkandidaten der Tierschutzpartei geben als Wohnort Düsseldorf an

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Als Direktkandidaten ziehen nun aber Jessica Westerteicher und Ben Hammouda Touiaba in den Rat der Stadt ein. Kassen sagt: „Ich hab die zwei noch nie gesehen!“

Jessica Westerteicher, in den sozialen Netzwerken als Jessi Wester unterwegs, arbeitet als Fachkraft für Lagerlogistik und wohnt laut Facebook-Profil in Düsseldorf. Ihr Motto lautet demnach „Ich bin nicht so das nette Mädchen von neben an, ich bin eher die Bekoppte (sic!) von gegenüber xDDD“. Ben Hammouda Touaiba, ebenfalls Lagerist, nennt als Wohnort auf seinem Facebook-Profil ebenfalls Düsseldorf.

NRW-Wahlkampfmanager Lemmer will dem Tierschutz zum Erfolg verhelfen

Um wählbar zu sein, muss man seit mindestens drei Monaten in Duisburg leben. Nach Angaben der Stadt werde das überprüft, auch eine Bescheinigung des Vermieters werde abgefragt. Die Kandidaten hätten alle Voraussetzungen erfüllt.

Beim ersten Kontaktversuch mit den beiden erscheint Torsten Lemmer auf der Bildfläche. Er sei NRW-Wahlkampfmanager der „Aktion Partei für Tierschutz – Tierschutz hier!“, die dank seines Engagements auch in Gelsenkirchen, Essen, Düsseldorf und Neuss in den Rat einziehe. Weil die Gründung eines Kreisverbandes Duisburg nicht mehr gelang, wurde die Unabhängige Wählergemeinschaft gegründet. Die beiden Kandidaten seien Tierschützer, die sich um Hunde kümmerten, sie würden sich aber weder mit Politik noch mit Medien auskennen, deshalb „werde ich am Anfang in Duisburg helfen, damit das Projekt ein Erfolg wird“.

Einziges Interesse von Westerteicher und Touaiba sei es, die Tiere zu schützen, „wir werden nicht schul- oder sozialpolitisch auftrumpfen“, sagt Lemmer. Ziel sei vor allem der Umweltausschuss. Bis zur konstituierenden Sitzung des Rates im November will er das Paar vorbereiten und über kommunalpolitische Feinheiten wie Haushaltspläne aufklären. Bis dahin wolle er seiner „Fürsorgepflicht“ nachkommen und diese „liebenswerten Menschen schützen“.

Parteiziele laut Lemmer: Den Zoo schließen, vier Tierheime gründen

Lemmer nimmt Medientermine wahr und erklärt gegenüber unserer Redaktion und dem WDR: Oberstes Ziel seiner Kandidaten sei es, „mittelfristig den Zoo zu schließen und so dem Tiergefängnis ein Ende zu bereiten“. Außerdem wolle man künftig darauf achten, dass bei Bauprojekten nicht mehr nur auf Belastungen für Anwohner geachtet werde, sondern auch auf den Artenschutz. Weiteres Ziel seien vier Tierheime für Duisburg sowie die Abschaffung von Taubenstacheln.

Und was sagt er zum Betrugsvorwurf? Die Familie Kassen stand lediglich auf den Listen für die Bezirksvertretungen auf den obersten Plätzen, so Lemmer. Reinhold Kassen indes sagt, er habe gemeinsam mit seinem Sohn die Wahlliste unterschrieben, auf der sie ganz oben standen. „Aber ich war nicht im Wahlamt, um die Liste noch mal zu überprüfen“, ärgert er sich.

Da sei er wohl zu naiv gewesen, denn Lemmer „ist ein Ganove!“, sagt Kassen. Lemmer umgekehrt nennt Kassen einen „Querulanten“ und „veganen Tierrechtsextremisten“. Die Tierschutz-Szene sei total zerstritten, so Lemmer, schon wegen der Differenzen zwischen Veganern und Vegetariern. „Das ist ähnlich wie die rechtsradikale Szene in Duisburg, da blickt ja auch keiner mehr durch“, sagt Lemmer, erklärter Fleischesser.

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Lemmer sitzt für die Freien Wähler im Rat von Düsseldorf

Lemmer hat ein Buch über seinen angeblichen Ausstieg aus der Neonazi-Szene veröffentlicht, wurde danach wegen Volksverhetzung verurteilt. Er hat als Backgroundsänger und Manager der Rechtsrockband Störkraft fungiert, spielte als Neonazi in einem Film mit Christoph Schlingensief mit, war Oberbürgermeisterkandidat und ist frisch gewähltes Mitglied im 90-köpfigen Rat von Düsseldorf.

Er hatte auf Listenplatz 1 für die Liste Tierschutz/Freie Wähler kandidiert, ist außerdem Mitglied der Piratenpartei. Als Geschäftsführer der Ratsfraktion wurde er kürzlich geschasst, sein Stellvertreter Alexander Führer übernahm – und wird auch in Duisburg eine tragende Rolle spielen: Führer will künftig „bei jeder Ratssitzung in Duisburg sein und die beiden Ratsmitglieder unterstützen. Alle Anträge werden über meinen Schreibtisch gehen.“

Protokolle zur Aufstellungsversammlung der Unabhängigen Wählergemeinschaft

Führer war auch bei der Aufstellungsversammlung dabei und rekonstruiert anhand seiner Protokolle das Geschehen. Demnach wurden bei der Gründungsversammlung der Unabhängigen Wählergemeinschaft am 7. Juni die ersten drei Listenplätze besetzt – ohne Familie Kassen, die an dem Tag nicht dabei war. Bei einer weiteren Aufstellungsversammlung am 4. Juli seien die Plätze 4, 5 und 6 mit Familie Kassen besetzt worden, deren Mitglieder außerdem für die Bezirksvertretungen Homberg, Mitte und Rheinhausen als Spitzenkandidaten antraten.

„Kassen hat die Listen für Rat und Bezirksvertretung verwechselt“, sagt Führer. Dessen Enttäuschung, nach dem langen Wahlkampf nicht gewählt worden zu sein, könne er verstehen. Aber sein Wissen werde in den kommenden fünf Jahren noch gebraucht, es sei auch wahrscheinlich, dass Kassen in Ausschüsse gewählt werde oder nachrutsche.

Kassen selbst unterstellt, dass der einzige Beweggrund für die Kandidatur von Westerteicher und Touaiba ein monetärer ist. Ratsmitglieder in Duisburg verdienen pauschal 492,90 Euro im Monat. Auch Lemmer und Führer würden profitieren. Führer sagt allerdings, dass die Aufwandsentschädigungen in den Tierschutz fließen werden, etwa in Demos. „Wir wollen sichtbar sein in Duisburg!“

Torsten Lemmer, ehemaliger Geschäftsführer der Ratsfraktion Tierschutz/Freie Wähler in Düsseldorf - zeigt auf diesem Selfie aus 2018 den Mitgliedsausweis der Piratenpartei.  
Torsten Lemmer, ehemaliger Geschäftsführer der Ratsfraktion Tierschutz/Freie Wähler in Düsseldorf - zeigt auf diesem Selfie aus 2018 den Mitgliedsausweis der Piratenpartei.   © Torsten Lemmer

Tierschutzpartei warnt vor „rechten Tierschützern“

Reinhold Kassen sagt, er habe früher lange „und gut“ mit Lemmer im Tierschutz zusammengearbeitet. Er habe als langjähriger Grünen-Wähler „nichts Rechtes“ an Lemmer entdecken können, deshalb habe er zu ihm gehalten. 2014 habe ihn die Tierschutzpartei zur Zusammenarbeit mit Lemmer gedrängt, wegen dessen Vergangenheit habe er sich zunächst gewehrt. Tatsächlich sei die Zusammenarbeit erfolgreich gewesen.

Als es zum Bruch zwischen der Tierschutzpartei und Lemmer kam, habe man wieder Einfluss auf Kassen nehmen wollen, damit er auf Distanz geht, das habe er aber verweigert, berichtet der 56-Jährige.

Die „Mensch Umwelt Tierschutz - Tierschutzpartei“ warnt auf ihrer Webseite explizit gegen „rechte Tierschützer“. Der Bundesvorstand hat sich 2017 von Torsten Lemmer distanziert und seine Einflussnahme auf allen Ebenen missbilligt. Dass Lemmer seit Jahrzehnten Boxer züchtet und Juror bei Wettkämpfen ist, passte der Tierschutzpartei auch nicht ins Konzept. Allerdings wurde auch Kassen 2017 aller Ämter enthoben. Damals war er Landesgeschäftsführer NRW.

Kassen will Tauben schützen und scheut Tabubrüche nicht

Kassen selbst hätte im Rat versucht, „gegen den geplanten Genozid an den Duisburger Tauben durch das Ordnungsamt“ vorzugehen. „Ihr könnt doch nicht einfach das Friedenssymbol umbringen“, schimpft Kassen.

Der Aktivist scheut vor Tabubrüchen nicht zurück, „wir wollen schließlich was erreichen für die Tiere“. Aber die aktuelle Situation geht ihm zu weit. „Der Rat darf nicht gemolken werden.“ Das würde auch dem Ehrenkodex widersprechen, mit dem Duisburgs Ratsmitglieder und Bezirksvertreter dazu angehalten werden, ihr Mandat verantwortungsvoll und uneigennützig einzusetzen.

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