Duisburg. Duisburg hat landesweit die geringste Wahlbeteiligung. Es geht um Vertrauensverlust, Wahlpannen und weite Wege – eine Spurensuche.
An der Kommunalwahl haben sich am Sonntag nur 39,15 Prozent der Wahlberechtigten in Duisburg beteiligt. Fast eine Viertelmillion Menschen hat sich für die Politik in ihrer Stadt, ihrem Bezirk, ihrem Viertel nicht interessiert.
War das Wetter zu gut? Fehlte die Oberbürgermeister-Wahl, die in den Nachbarstädten stärker an die Urnen lockte? Oder hat es etwas mit Duisburg und seinen Menschen zu tun? Eine Spurensuche.
Die Wahlbeteiligung in Duisburg lag zwischen 16 und 55 Prozent
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Die Wahlbeteiligung im Wahlbezirk Großenbaum/Rahm ist stadtweit die höchste: 55,35 Prozent von 11.507 Wahlberechtigten setzten ihre Kreuze. Insgesamt legte die Wahlbeteiligung im Süd-Bezirk mit 50,25 Prozent eine deutliche Steigerung zu 2014, als zehn Prozent weniger wählen gingen (40,37 Prozent). In Hamborn ging lediglich jeder dritte wählen (29,11 Prozent). Schlusslicht ist Marxloh mit mageren 16,59 Prozent von 9493 Wahlberechtigten.
Gering war die Beteiligung auch im Dellviertel-West/Hochfeld-Nord/Rheinpark (22,13 Prozent) sowie in Hochfeld-Süd/Wanheimerort-West/Neuenhof (29,81 Prozent).
Facebook-Umfrage zur Ursache: Faulheit und fehlendes Vertrauen
Auf Facebook haben wir gefragt: „Warum hast Du nicht gewählt?“ Die nicht repräsentative Umfrage ergab, dass manche nicht wählen, weil sie das Gefühl haben, „es ändert sich ja doch nix, egal wen man wählt“. Andere machten mangelndes Vertrauen geltend. So erklärte etwa Klaus Winkler: „Es ist keine Partei dabei, der man zu 100 Prozent vertraut, deswegen gab’s bei mir kein Kreuz. Bevor ich aus Frust rechts wähle, habe ich mich lieber in die Sonne gelegt.“
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Ein Leser gestand ganz ehrlich: „Gestern war ich einfach zu faul“. Eine Frau hat einen Wahlomat als Entscheidungshilfe vermisst. Und eine Erstwählerin bekannte, „keine Ahnung von den Parteien und einfach kein Bock“ zu haben. Aber auch die Wahlpannen – fehlende Stimmzettel, verschlossene Wahllokale, Busshuttle zum Wahllokal, nicht rechtzeitig angekommene Briefwahlunterlagen – wurden von vielen als ursächlich benannt.
Folgen der geringen Stimmabgaben
Welche Konsequenzen es hat, wenn so wenige Menschen zur Wahl gehen, lässt sich wie unter einem Brennglas in den Statistiken der einzelnen Stimmbezirke betrachten. So kam im Stimmbezirk 0905 (Hamborn) der AfD-Kandidat Andreas Laasch auf sagenhafte 31,58 Prozent. Dafür brauchte es lediglich 29 Stimmen. Konkurrent Sebastian Haack von der SPD erhielt hier 22 Stimmen, macht 27,37 Prozent. Insgesamt wurden in dem Bezirk 95 gültige Stimmen gezählt, die Wahlbeteiligung lag bei 16,99 Prozent. Nach Auszählung aller Wahllokale ziehen jedoch beide in den neuen Rat ein.
Claus Krönke, der zusammen mit Dieter Stradmann in Marxloh für die SPD antrat, ist trotz seines Wahlsieges „erschüttert“, weil sie von nur 3,81 Prozent aller Wahlberechtigten gewählt wurden und somit „über 90 Prozent der Menschen gar nicht entscheiden, wer – und vor allem wie über sie bestimmt wird.“
Kein Wahllokal: 30 Wähler für SPD-Urgestein Manfred Osenger in Neuenkamp
Im Stimmbezirk 1805, der zum Wahlbezirk Neuenkamp/Kaßlerfeld/Altstadt-West gehört, konnte man den noch amtierenden Bürgermeister Manfred Osenger von der SPD wählen.
Ein Urgestein der Politik, das seit Jahrzehnten für seinen Stadtteil brennt, den Jugendförderverein „New Kamp City“ gegründet hat, aktiv ist im Bürgerverein, beim Runden Tisch oder bei der Sozialraumkonferenz. Mobilisieren konnte er hier lediglich 30 Wähler – von 70, die hier insgesamt wählten. Rund um den Parallelhafen wohnen eigentlich 729 potenzielle Wähler.
Geringe Wahlbeteiligung, weil das Wahllokal vier Kilometer entfernt ist
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Osenger landete wie jedes Mal seit 1989 als Direktkandidat im Rat, stadtweit hat er das drittbeste Einzelergebnis seiner Partei. Warum also ist die Wahlbeteiligung in diesem Stimmbezirk so schlecht? „Weil die Wahllokale in Kaßlerfeld lagen“, sagt Osenger. Wer nicht mobil ist, musste drei bis vier Kilometer zu Fuß durch das Gewerbegebiet laufen. „Das kann man doch keinem zumuten“, schimpft der Sozialdemokrat.
Sauer ist er auch auf Wahlleiter Ralf Cervik, der diese Entscheidung traf. „Er ist gebürtiger Neuenkämper, er kennt die Gegend doch“, wundert sich Osenger und sagt, dass es coronagerechte Alternativen in Räumlichkeiten des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes gegeben hätte. Aber er sei nicht gefragt worden.
Melih Keser von den Grünen in Meiderich/Beeck hatte die schlechte Wahlbeteiligung schon am Wahlabend als Auftrag begriffen: „35 Prozent der Bürger bestimmen, wer in Duisburg regiert. Wir als Politiker müssen mehr in die Stadtteile gehen, um das zu ändern.“ Die CDU erklärt angesichts von Bezirken mit einstelliger Wahlbeteiligung: „Da fragt man sich schon, was diese Ergebnisse noch aussagen, außer, dass man eine weit verbreitete Abkehr von der „Bürgerpflicht“ des Wählens attestieren muss. Als Grund lässt sich sicherlich nicht die allmächtige Corona-Keule alleine schwingen.“
Nord-Süd-Gefälle bei der Kommunalwahl in Duisburg
Sandra Plümer von der NRW School of Governance sieht mehrere Faktoren als ursächlich für die geringe Wahlbeteiligung in Duisburg. Grundsätzlich sei die Wahlbeteiligung bei Kommunal- und Europawahlen geringer als bei den Landtags- und Bundestagswahlen, weil sie als Nebenwahlen gelten, sagt die Politikwissenschaftlerin.
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Außerdem habe die Forschung festgestellt, dass die Wahlbeteiligung umso höher ist, je höher der Bildungsgrad und das Einkommensverhältnis sind. Damit könne man das Nord-Süd-Gefälle erklären, also die deutlich stärkere Wahlbeteiligung in Mündelheim und Serm im Vergleich zu Marxloh oder Hamborn.
Herausfordernd sei in diesem Jahr die Wahl zum Ruhrparlament gewesen. „Ein weiterer Stimmzettel macht das Wählen für viele noch komplizierter“, sagt Plümer, weder das Parlament noch die antretenden Listen seien vielen bekannt gewesen.
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Gegen Politikverdrossenheit permanenten Wahlkampf etablieren
Was können die Parteien tun, um künftig wieder mehr Duisburger für sich zu gewinnen? „Noch stärker kommunizieren, was sie machen“, sagt Plümer. Es sei klug, ähnlich wie in anderen Städten digitale Ratssitzungen anzubieten.
Und auch wenn es für die ehrenamtlichen Lokalpolitiker schwer mit dem Beruf zu vereinbaren sei: Ein dauerhafter Wahlkampf ähnlich wie in den USA müsse sich etablieren. Also nicht nur ein paar Wochen vor der Wahl auf die Bürger zugehen, sondern permanent und differenziert: Bei den Älteren Haustürbesuche machen, bei den Jüngeren die sozialen Netzwerke bedienen.