Duisburg. In Duisburg zeichnet sich ein Jahr ohne Festkonzerte ab. Chöre können wegen der Abstandsregeln kaum proben. Dazu kommt die Angst vor Ansteckung.
Singen ist gesund - das galt bis Mitte März. Sänger - das sind jetzt potenzielle Superspreader. Was unter der Dusche noch geht, hat die Corona-Pandemie nahezu unmöglich gemacht: das Singen im Chor. Das trifft Menschen, die gerne gemeinsam singen, hart. Und sprengt Traditionen. Wird 2020 ein Jahr ohne Weihnachtskonzerte?
Die Freie Kantorei Duisburg ist zur Probe in den Landschaftspark umgezogen. Mit Flatterband und Metermaß wird ein ehemaliges Kohlelager in der Nähe des Cowperplatzes, das zu einer Seite offen ist, zur virensicheren Zone gemacht. Drei Meter muss der seitliche Abstand zwischen den Sängern betragen, vier Meter der vordere in "Ausstoßrichtung", für Chorleiterin Ilona Baum das Unwort des Jahres. Auf ihrem Notenständer liegt eine Zeichnung mit 15 Kreisen, in denen 15 Namen stehen. Die Aufstellung der Sänger hat Ilona Baum genau vorbereitet, der Bass ist heute nicht besetzt.
"Es ist ein Ros entsprungen": Bei 29 Grad im Landschaftspark
Nur zweimal haben die Mitglieder des gut 35-köpfigen Chors, die keine Angst vor Ansteckung hatten, seit März geprobt. "Im Kreuzgang der Abtei, das war ein besonderes Erlebnis", sagt Kantorei-Vorsitzender Dr. Ulrich Rauter. Aber dann gab es neue Corona-Vorschriften für Chöre, die auch bei Proben unter freiem Himmel mehr Abstand verlangten. Die seien zwar ohnehin wegen der fehlenden Akustik problematisch, dennoch will die Kantorei dranbleiben. Auch Sänger müssen ihre Muskeln trainieren. "Es ist ein Ros entsprungen" - diesmal zwischen rostigen Stahlwänden bei 29 Grad im Schatten.
Salvator-Kantor Markus Strümpe und Peter Stockschläder, Leiter der Kantorei an der Friedenskirche in Hamborn, bangen um ihre Aufführungen des Weihnachtsoratoriums. "100 Leute - wie soll ich die stellen?", fragt sich Strümpe mit Blick auf den Chor, der Bachs Oratorium jedes Jahr in der Salvatorkirche in großer Besetzung aufführt.
Mit 100 Sängern proben: "Da brauchen Sie einen Hangar"
"Pro Person sind zehn Quadratmeter vorgeschrieben", sagt Strümpe. "Ich habe zweimal mit acht Leuten Probe gemacht, nach den Ferien will ich es mit zwölf probieren." Aber 100 Sänger? "Das können Sie vergessen, da brauchen Sie einen Hangar." Sogar Singen mit Maske hat Strümpe ausprobiert. Das habe zwar besser geklungen als gedacht, ist aber allenfalls für ein kurzes Lied möglich.
Auch bei der Salvator-Kantorei traue sich etwa die Hälfte der Chormitglieder nicht, an Proben teilzunehmen, weil sie zur Risikogruppe gehören oder gefährdete Angehörige schützen müssten. Und wenn "vielleicht eine Rumpfversion" des Oratoriums aufgeführt werden könne - "wie traut sich das Publikum?"
Wenig Hoffnung fürs Weihnachtsoratorium in der Hamborner Friedenskirche
Eine Absage für den Philharmonischen Chor, den Strümpe ebenfalls leitet, hat es gerade erst gegeben. Die Aufführung von Beethovens "Missa Solemnis" beim 4. Philharmonischen Konzert im November mit dem 110 Stimmen starken Chor ist schlicht unmöglich; sie wird, wie berichtet, auf September 2021 verschoben.
Auch Peter Stockschläder hat nur wenig Hoffnung, dass er mit der Kantorei an der Friedenskirche, mit Barock-Orchester und Solisten die Teile I bis III des Weihnachtsoratoriums aufführen kann. Viele der 36 Chormitglieder hätten sich gewünscht, das Werk zu singen, aber auch sie konnten seit März nicht proben. "In Hamborn musste das Gemeindehaus verkauft werden, wir können nur in der Kirche proben", sagt Stockschläder. Singen dürften in der Kirche mit 550 Plätzen aber nur sechs bis acht Personen, keine Chance für eine Tutti-Probe also. Auch maximal 50 Gottesdienstbesuchern sei nur summen erlaubt. "Mein Kopf sagt: Das schaffst du nicht."
"Zum Haare raufen" findet Stockschläder die Situation. "Musik ist ein Grundnahrungsmittel", das zeige auch der Zuspruch zu den Sommerkonzerten. "Angefangen haben wir mit 28 Besuchern, zuletzt waren es 50", sagt Stockschläder. Er habe noch vor den Ferien gehofft, die Lage würde sich bessern, die Menschen würden vernünftiger, aber das Gegenteil sei wohl der Fall. Am 20. August will er mit den Chormitgliedern beraten, wie es weitergehen kann.
>>>Die Konzerttermine
Die Kantorei an der Friedenskirche hat die Aufführung des "Weihnachtsoratoriums" für den 6. Dezember geplant, die Salvator-Kantorei, diesmal ebenfalls mit den Teilen I bis III plus der Kantate 151 "Süßer Trost, mein Jesus kömmt" für den 12. Dezember
Die Freie Kantorei Duisburg will am 19. Dezember um 17 Uhr in St. Dionysius Mündelheim unter dem Titel "Gaudeamus hodie" ein Programm mit traditionellen und zeitgenössischen Weihnachtsliedern aufführen. Als Solist soll Saxofonist Thomas Käseberg mitwirken.