Duisburg. Wie können Ärzte und Pfleger Schwerkranken in ihrer letzten Lebensphase helfen? Auf Hausbesuch mit Palliativarzt Dr. Hermann Lucas in Duisburg.
Nicht vor dem Tod, sondern vor dem Sterben haben die meisten Menschen Angst. „Das kann ich bestätigen“, sagt Dr. Hermann Lucas, „aber viele sind traurig, weil sie nicht mehr leben können.“ Der 57-Jährige ist Arzt im Palliativcare-Team Duisburg.
Seit bald zehn Jahren begleitet er Schwerkranke, die daheim auf der Zielgerade ihres Lebens sind, versucht Schmerzen zu nehmen mit Medikamenten und Zuwendung, möglicht viel Lebensqualität bis zum Ende zu erhalten. Wir haben ihn bei seinen Hausbesuchen begleitet.
Palliativmedizin: Acht Ärzte und 50 Pflegende betreuen die Patienten
Der Internist und Onkologe beschäftigt sich seit 20 Jahren mit der Schmerzmedizin. Eine Palliativstation hat er in einem Mülheimer Krankenhaus geleitet, wechselte dann zum St. Josefshospital in Uerdingen. Morgens Krankenhaus, nachmittags Hausbesuche, so ist sein Rhythmus, seit ist er 2011 Teil des Palliativcare-Teams mit acht Ärzten und 50 Pflegenden wurde. Bis zu 20 Patienten in Duisburg, Mülheim und Angermund werden betreut, rund 200 Menschen sind es pro Jahr.
„Die meisten sind bettlägerig, in der Endphase“, erklärt Lucas. Über Wochen, manchmal Monate werden sie vom Team betreut. Dass „Langlieger“ über ein Jahr hinaus betreut werden, ist sehr selten. Einmal am Tag kommt die Pflege, einmal pro Woche der Arzt. Die Krankenkasse muss den Palliativ-Einsatz genehmigen. „Unsere Arbeit ist relativ teuer“, sagt Lucas.
Laptop und Stethoskop als wichtigste Arbeitsmittel
Laptop für die Dokumentation des Besuches und das Stethoskop sind seine wichtigesten Arbeitsgeräte. Weitere Utensilien hat er im Kofferraum, darunter ein Ultraschallgerät und Nadeln, um die Lunge zu punktieren, damit Wasser abfließen kann. Das nimmt Atemnot, erspart den Weg in die Klinik.
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Der Lunge gilt auch die erste Aufmerksamkeit bei der Untersuchung des ersten Patienten. Der Bauchspeicheldrüsen-Krebs des 77-Jährigen wurde operiert, nun ist er daheim bei seiner Frau. Chirurgen und Onkologen können nicht mehr tun. „Austherapiert“, nennen sie das. Hermann Lucas blickt auf die Operationswunde, fragt Beschwerden beim Atmen, Schlafen, Wasser lassen. Novalgin nimmt der Mann, ein normales Schmerzmittel. Noch reicht das gegen die Bauchschmerzen des Patienten, die vielleicht Metastasen verursachen. „Haben sie keine Hemmungen, wenn das nicht reicht. Die Krankheit wird dadurch nicht schlimmer“, rät Lucas der Tochter. Sie übersetzt für die Eltern, Spätaussiedler aus Russland.
Angehörigen leiden mit den Patienten
„Die Angehörigen sind ganz wichtig“, sagt der Arzt. „Sie leiden mit. Wenn sie nicht damit klarkommen, schafft es der Patient auch nicht.“ Allein ist die zweite Patientin. Vor drei Jahren starb ihr Mann, auch sie leidet an Krebs. Noch kommt sie allein klar in der kleinen Wohnung im vierten Stock – aber wie lange noch? Ein Pflegebett braucht sie. „Handwerker kann ich mir nicht leisten.“ Ein ambulanter Hospizverein könnte helfen, empfiehlt Lucas. Auch einen Zahnarzt kennt er, der Hausbesuche macht, um nach den brechenden Zähnen zu sehen.
Der Besuch ist eine seltene Abwechslung im einsamen Alltag der Frau. Heute ist der Arzt mehr als Ratgeber gefragt. Die Zuwendung, sich Zeit nehmen zu können für das Gespräch, das in einem Klinik- oder Praxisbetrieb oft schwer möglich ist, das sei wichtig: „Die Verzweiflung ist oft schlimmer als die Endlichkeit an sich.“ Für viele Todkranke gehe es darum, „die Perspektive zu wechseln“, erklärt Lucas: zu akzeptieren, dass Heilung nicht mehr möglich ist, das Sterben beginnt. „Bei jungen Patienten, wenn kleine Kinder im Spiel sind, dann ist das extrem schwierig.“ Nicht nur da stoßen die Möglichkeiten palliativer Pflege an Grenzen. „Gegen Kraftlosigkeit, dass es immer weniger wird, dagegen können wir nichts tun.“
Studie belegt die positive Wirkung von Palliativpflege
Was reizt den Arzt an dieser Aufgabe, die doch keine Heilung mehr verheißen kann? „Ich bekomme unglaublich viel Dankbarkeit“, sagt Lucas. Er verweist auf eine US-Studie, die belegt, dass Palliativcare-Patienten mit Lungenkarzinom deutlich weniger Symptome zeigen. „Zu vermuten ist, dass es an der Zuwendung liegt. Wir können manchmal Komplikationen wie Infektionen abwenden“, erklärt der Mediziner. „Ich habe das Gefühl, dass die Arbeit wichtig ist.“
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Die verlässliche palliative Versorgung, die das Team in Duisburg gewährleistet, soll ein Sterben ohne Qualen ermöglichen und aktive Sterbehilfe überflüssig machen. Die Diskussion um den §217 und die Hilfe zur Selbsttötung hat natürlich auch Hermann Lucas bewegt. „Was machen wir denn mit den völlig verzweifelten Menschen?“, fragt er. Mit Patienten, deren Leid auch stärkste Medikamente und beste Pflege kaum lindern können. „Sterben“, sagt der Palliativarzt, „ist manchmal schon ein elendes Geschäft.“
Genossenschaft von drei Pflegediensten
Das Palliativcare-Team Duisburg e.G. mit Sitz an der Kaiserstraße 71 in Friemersheim ist ein Zusammenschluss der drei Pflegedienste Medidoc, die Pflege und Malteser Palliativ, die seit 2011 in einer Genossenschaft organisiert sind. Krankenhäuser und Hospize sind als Genossen beteiligt. (Info: 02065 890 9463, E-Mail: kontakt@pall-care-du.de, http://www.palliative-care-duisburg.de/)
Für das Team arbeiten insgesamt 50 Pflegende und acht Ärzte, die zumeist als Niedergelassene tätig sind. Einer von ihnen ist immer für Notfälle erreichbar. Einzugsbereich sind Duisburg, Mülheim und Angermund.
Das Friemersheimer Büro ist auch Sitz des Palliativ-Netzwerks Duisburg (PanDU), das ambulante und stationäre Betreuungsangebote vernetzt (Info: Montag bis Freitag von 11 bis 14 Uhr unter: 0152 0891 5613)