Essen. Das Bundesverfassungsgericht hat die geschäftsmäßige Sterbehilfe erlaubt – und damit eine Debatte angestoßen. Das sagen Essener Fachleute.
Letzte Woche hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe, Paragraph 217 des Strafgesetzbuches, aufgehoben. Die Entscheidung der Karlsruher Richter wird kontrovers diskutiert. Während einige das Urteil als längst überfälligen Schritt in Richtung Patientenautonomie feiern, mahnen andere, es könne alte und kranke Menschen unter Druck setzen, lieber zu sterben, als jemandem zur Last zu fallen – und einer ganzen „Sterbe-Industrie“ Tür und Tor öffnen. Das Echo der Essener Fachleute ist ebenfalls geteilt.
Dass der Wunsch nach dem Tod nicht endgültig sein muss, hat Jutta Förster in der Praxis schon häufig erlebt. Sie leitet den ambulanten palliativen Dienst des Hospizes Essen-Steele. „Ich erinnere mich an eine ältere Dame, die unbedingt sterben wollte. Sie hatte zu Hause schon das Essen eingestellt“, erzählt Förster. „Dann kam sie zu uns ins Hospiz. Nach zwei Wochen traf ich sie beim gemütlichen Kuchenessen.“
Viele Patienten sind finden ihren Lebensmut wieder, sobald sich jemand um sie kümmert
Försters Erfahrung nach wollen viele Patienten sterben, weil sie sich zum Beispiel einsam fühlen, finden aber ihren Lebensmut wieder, wenn sich – wie im Hospiz – jemand um sie kümmert. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts findet sie trotzdem gut. „Die Autonomie des Patienten ist das wichtigste“, sagt Förster klar.
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Denn manchmal könnten oder wollten Patienten wirklich nicht mehr leben. Nach sorgfältiger Beratung und Betreuung sollte an dieser Stelle der Patientenwille berücksichtigt werden, findet Förster. „Dabei muss aber ganz klar zwischen Depression und selbstbestimmten Todeswunsch entschieden werden.“
„Es wird immer Patienten geben, bei denen alle unsere Maßnahmen nicht reichen“
Bernhard Mallmann, Palliativbeauftragter der Essener Uniklinik, begrüßt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls. Ziel der Palliativmedizin sei es, dem Patienten ein möglichst leidfreies Leben zu ermöglichen. „Häufig belasten die Patienten Schmerzen oder psychosoziale Probleme, bei denen wir ihnen in den allermeisten Fällen gut helfen können“, so Mallmann.
Aber: „Es wird immer Patienten geben, bei denen alle unsere Maßnahmen nicht reichen.“ Manche litten zum Beispiel unter extremen Schmerzen. Die letzte Möglichkeit zur Schmerzlinderung sei dann, sie in einen schlafähnlichen Zustand zu versetzen – und das wollten einige eben nicht.
Beihilfe zum Suizid war schon zuvor erlaubt – aber nur im Einzelfall
Die Beihilfe zum Suizid war unter bestimmten Bedingungen schon zuvor erlaubt. So machte man sich beispielsweise nicht strafbar, wenn man jemandem mit Sterbewillen ein tödliches Medikament überreichte und dieser es dann selbst einnahm. Das galt jedoch nur für den Einzelfall. Denn der Paragraph 217 definiert geschäftsmäßige Sterbehilfe als Vorgang, der sich wiederholt.
Und hier habe die Krux für Ärzte gelegen, erklärt Mallmann: „Ich als Palliativmediziner habe 800 bis 1000 todkranke Patienten pro Jahr, von denen mehrere einen Sterbewunsch haben.“ Hätte er diesen Patienten beim Sterben geholfen, so wäre er durch die wiederholte Handlung vor dem Urteil des Verfassungsgerichts zwangsläufig mit dem Gesetz in Konflikt geraten.
Palliativmediziner der Uniklinik: Gesetz zwang Ärzte, sich aus der Verantwortung zu ziehen
„Der Paragraph war in dieser Form nicht haltbar“, sagt Mallmann deshalb. Das Gesetz habe Ärzte dazu gezwungen, sich aus der Verantwortung zu ziehen. „In den schlimmsten Fällen haben Patienten auf grausame Weise Suizid begangen, weil sie mit ihrem Sterbewunsch allein gelassen wurden“, so der Palliativmediziner. Nach der Aufhebung des Paragraphen gilt es Mallmann zufolge nun, Kriterien für die Sterbehilfe zu entwickeln. Wenn gesellschaftliche Verantwortung übernommen würde, sehe er auch nicht die Gefahr einer „Sterbe-Industrie“.
„Was da gerade passiert, ist Wahnsinn“, sagt dagegen Marianne Kloke, Leiterin des Netzwerks Palliativmedizin Essen und jahrelange Direktorin der Klinik für Palliativmedizin an den Kliniken Essen-Mitte. Sie kritisiert das Urteil aufs Schärfste und bezeichnet es als „Schritt in eine inhumane Gesellschaft“.
Leiterin des Netzwerks Palliativmedizin: Sterbewunsch resultiert aus fehlender Aufklärung
Bei den meisten Patienten resultiere der Sterbewunsch aus fehlender Aufklärung, fehlendem Wissen oder psychischen Problemen. „Wenn Leute sterben wollen, haben sie nicht selten tiefe Wunden aus der Vergangenheit“, so Kloke. Sie erinnert sich beispielsweise an einen Patienten mit multipler Sklerose, der seinem Leben ein Ende setzen wollte: „Der Mann war im Laufe seines Lebens immer wieder verzweifelt gewesen und hatte sich abgeschoben gefühlt.“
Oft versuchten gerade wenig gefestigte Menschen, ihr geringes Selbstwertgefühl mit dem Autonomiestreben nach einem selbstbestimmten Tod zu kompensieren. Doch Todkranke verlören durch die Krankheit nicht ihre Würde: „Man kann den Menschen vermitteln, dass sie Würde haben. Aber wenn man sie tötet, nimmt man ihnen ihre Würde.“ Kloke befürchtet außerdem: „Wenn man nicht jetzt sofort handelt, wird mit der Sterbehilfe ein Riesengeschäft gemacht.“
Das steckt hinter dem Paragraphen 217
Das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe ist 2015 eingeführt worden. Es stellte die auf Wiederholung ausgerichtete Beihilfe zum Suizid unter Strafe. Wer beispielsweise einem Angehörigen ein tödliches Medikament überreichte, mit dem dieser sich dann selbst tötete, blieb also davor schon straffrei.
Betroffen von dem Verbot waren Sterbehilfe-Vereine, die die Beihilfe zum Suizid organisiert betrieben. Sie hatten ihre Aktivitäten in Deutschland nach 2015 weitgehend eingestellt. Auch Palliativmediziner, die mehrere Patienten mit Sterbewunsch betreuten, liefen Gefahr, sich strafbar zu machen, wenn sie diesen Patienten beim Suizid halfen.
Die aktive Sterbehilfe – Tötung auf Verlangen – bleibt in Deutschland weiterhin verboten. So darf ein Arzt einem unheilbar kranken Patienten beispielsweise keine tödliche Injektion verabreichen, auch wenn dieser das wünscht.