Duisburg. Drei schwarze Duisburger erzählen, wie sie tagtäglich Rassismus erleben. Und erklären, wie sich die Situation nun verbessern kann.

Der Tod des schwarzen US-Amerikaners George Floyd hat in den USA einen Proteststurm gegen Rassismus ausgelöst, der mittlerweile auch durch Europa und das Internet fegt. Dieser Sturm rüttelt auch in Duisburg an der alten deutschen Rassismuseiche, die ihre Wurzeln seit Jahrzehnten tief in das Fundament der Gesellschaft treibt. Drei schwarze Duisburger erzählen, warum versteckter Alltagsrassismus oft mehr schmerzt als offene Beleidigungen, wie sie schon im Kindergarten ob ihrer Hautfarbe ausgegrenzt wurden und was sie sich von der aktuellen Debatte erhoffen und wünschen.

„Im Kindergarten hatten die anderen Kinder Angst, dass ich abfärbe“

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Naomi (23) ist Deutsche, Duisburgerin und schwarz. Genau so wie Rosette (27) und René (28), doch alle drei erzählen, unabhängig voneinander befragt, von Begegnungen mit Menschen, die über „Deutsch“ und „Duisburg“ geflissentlich hinwegsehen – und sich ganz auf die dunkle Hautfarbe konzentrieren.

„Das ging im Kindergarten los, da hatten andere Kinder Angst, dass ich abfärbe und haben mir deswegen nicht die Hand gegeben“, erinnert sich Naomi. Zwar vermuten alle drei, dass sie Rassismus als Kinder nicht verstanden haben, wohl aber merkten, dass die Spielkameraden Vorbehalte hegten.

Für Naomi aus Duisburg sind es meist die Sätze, die mit „Für eine Schwarze…“ beginnen, die ihr den tiefen, strukturellen Rassismus in Deutschland zeigen.
Für Naomi aus Duisburg sind es meist die Sätze, die mit „Für eine Schwarze…“ beginnen, die ihr den tiefen, strukturellen Rassismus in Deutschland zeigen. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Spätestens in der Grundschule wurden Naomi, Rosette und René das erste Mal mit dem N-Wort konfrontiert. „Als meine Schwester so bezeichnet wurde, haben meine Eltern extra einen Termin mit der Schulleitung machen müssen, um zu erklären, warum das N-Wort ein Schimpfwort ist. Die Lehrer haben da überhaupt kein Problem mit gesehen“, erinnert sich Rosette.

„Alltagsrassismus gehört zum Leben jeder schwarzen Person in Deutschland“

René fasst es markant zusammen: „Ich glaube, dass man als schwarzer Mensch in Deutschland nie keinen Kontakt zu Rassismus haben kann.“ Im Alltag werde er ständig gefragt, ob er denn Deutsch spreche, ob er diesen oder jenen anderen schwarzen Menschen kenne und, besonders perfide, wann es denn „wieder zurück zu Frau und Kindern in Afrika“ gehe.

Die Verwunderung darüber, dass sie perfekt Deutsch spricht, kennt auch Rosette. Dann, und wenn ihr Menschen ungefragt in die Haare fassen „als ob ich ein Streichelzoo wäre“, glaubt sie, dass viele Menschen überhaupt nicht merken, dass sie rassistisch sind.

Für Naomi sind es meist die Sätze, die mit „Für eine Schwarze…“ beginnen, die ihr den tiefen, strukturellen Rassismus in Deutschland zeigen: „Da stecken Werte und Normen in Deutschland, derer sind wir uns gar nicht bewusst, die machen so einen institutionalisierten Rassismus möglich.“ Die gleichen Werte und Normen, ergänzt die 23-Jährige, die die AfD stark gemacht hätten und an Katastrophen wie in Hanau Schuld seien.

„Wir denken meist nur an den offen gelebten Rassismus“

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„Ich glaube schon, dass Rassismus in vielen Formen auch in Deutschland Teil der Gesellschaft ist“, sagt René, und wünscht sich mehr Fingerspitzengefühl. „Man muss sich im Klaren sein, dass sich Menschen durch bestimmte Aussagen und Handlungen verletzt fühlen.“

Naomi denkt dabei an die Wohnungssuche ihrer Eltern: „Mein Vater spricht perfekt Deutsch, am Telefon war immer noch alles in Ordnung, aber wenn die Vermieter meine Eltern bei der Wohnungsbesichtigung getroffen haben, war die Wohnung plötzlich nicht mehr verfügbar.“

Auch deshalb ist Rosette wütend, wenn sie dieser Tage Kommentare im Internet liest, die bestreiten, dass es in Deutschland Rassismus gebe: „Ja, es ist schwer den Rassismus in den USA mit dem in Deutschland zu vergleichen. Aber man muss sich im Klaren sein, dass auch hier Minderheiten nicht gleichwertig behandelt werden.“

Das hat René zum Beispiel an Clubtüren erlebt: „Meine weißen Freunde kamen alle sofort rein, nur ich musste mich einer Leibesvisitation unterziehen und angeben, wo ich wohne.“ Genauso werde er häufig von der Polizei kontrolliert, ob er öfter kontrolliert werde als andere? „Kann ich objektiv nicht sagen.“

„Vielleicht ist der Mord ein Anstoß“

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Der Tod von George Floyd, so grausam er ist, könne der Anfang eines Umdenkens sein, glauben alle Drei. „Ich hoffe, dass es etwas bewirkt“, wünscht sich Naomi, „aber es reicht nicht, nur irgendetwas auf Instagram zu posten. Die Menschen müssen Bücher lesen, es muss schon früh Antirassismustrainings geben. So ein Umdenken geht nicht von heute auf morgen. Aber es muss sich etwas verändern.“

„Die Diskussion über das Thema ist der erste Schritt in die richtige Richtung“, glaubt auch René. „Ich denke, dass viele Deutsche zustimmen würden, dass Rassismus keinen Platz in Deutschland hat.“ Rassismus sei aber nicht nur schwarz oder weiß, sondern habe viele, oft subtile Facetten. „Die erkennt man vielleicht nicht direkt, und deshalb liegt hier noch einiges an Arbeit vor uns.“

„Es ist gemütlicher, sich nicht zu äußern“

Weil ich, der Autor dieses Artikels, als weißer Mann in Deutschland wahrlich kein Experte für Rassismus sein kann, gehört der letzte Absatz dieses Textes Rosette – und ihrer Antwort auf die Frage, welche Veränderung sie sich von den Menschen in Deutschland wünscht:

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„Setzt euch mit dem Thema Rassismus auseinander. Überlegt euch, wie euer Gegenüber Bemerkungen, die euch leicht über die Lippen gehen, auffasst. Ich möchte nicht nur auf weiße Menschen zeigen, sondern alle darum bitten, sich mit dem Thema Rassismus zu beschäftigen, zu lernen, was Rassismus eigentlich ist und aktiv daran zu arbeiten, dass wir eine antirassistische Gesellschaft werden können. Es ist nicht in Ordnung, nicht über das Thema zu sprechen, weil man selbst nicht davon betroffen ist, denn so bleibt Rassismus, wie er heute existiert, akzeptiert. Wenn ihr in Deutschland seht, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihres Aussehens oder ihrer Religion anders behandelt werden, dann solidarisiert euch und steht ihnen bei. Zu oft wird auch hier das Problem nicht beim Schopfe gepackt, weil es gemütlicher ist, sich nicht zu äußern. Wenn man sich selber nicht mit dem Thema identifizieren kann, ist es besonders wichtig, mit Menschen zu reden, die diese Erfahrungen durchgemacht haben – und dann auch zuzuhören.“

>> RASSISMUS: AUFKLÄRUNG DURCH HÖRBÜCHER, BÜCHER UND FILME

Den eigenen Rassismus bekämpfen – aber wo anfangen? Es gibt eine Menge Bücher, viele davon auch als Hörbücher auf Spotify, die sich mit dem Thema und seinen Lösungen beschäftigen.

Die Autorin Tupoka Ogette hat das Buch „exit RACISM: rassismuskritisch denken lernen“ verfasst. Alice Hasters hat das, teils autobiografische Werk „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“, geschrieben. Für Kinder wurde Maya Angelous Buchreihe „Little People, Big Dreams“ ins Deutsche übersetzt.

Auch filmisch wurde und wird Rassismus behandelt: Ein Klassiker ist Rainer Werner Fassbinders „Angst essen Seele auf“ von 1974. Mit Rassismus in der vermeintlich liberalen, amerikanischen Universitätslandschaft setzt sich die Serie „Dear White People“ auf Netflix auseinander.