Ruhrgebiet. Unsere beliebtesten Plus-Texte: Heute mit Oyindamola Alashe, für die Rassismus mit dieser Frage beginnt: Wo kommst du her?

Dieser Artikel ist zum ersten Mal am 4. Juni erschienen.

In seiner höchsten Not rief George Floyd nach seiner Mutter. Das hat etwas gemacht mit Oyindamola Alashe, die das Video aus Minneapolis auch deshalb nicht ertragen kann. Diesen Film, in dem ein weißer Polizist einem schwarzen Mann so lange das Knie in den Nacken drückt, bis er bewusstlos wird und später stirbt. Alashe, 42, kann nicht schlafen davon und wenn, dann hat sie Alpträume. „Ich bin selbst Mutter. Ich habe Angst um meinen Sohn.“ Um den Achtjährigen, dessen Haut noch ein bisschen dunkler ist als die seiner Mama. Der nicht in den USA aufwächst, sondern mitten in Deutschland.

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Oyindamola Alashe weiß, wie das ist. Die im Ruhrgebiet und in Köln groß gewordene Tochter eines gebürtigen Nigerianers erlebte selbst noch in der Schule, wie man dort das Lied von den „Zehn kleinen N...“ sang. Wie Lehrer glaubten, als schwarze Schülerin könne man keine Eins in Deutsch bekommen. „Es ist immer ein Problem“, sagt sie, „wenn einem Lehrer deine Nase nicht passt. Aber es ist ein großes Problem, wenn sie ihm nicht passt, weil sie schwarz ist.“

Die Frage „Wo kommst du her?“ klingt wie: Du gehörst hier nicht hin

Oyindamola Alashe in Köln.
Oyindamola Alashe in Köln. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Die Journalistin geht durchs Leben mit Kontrollen durch die Polizei, mit Beschimpfungen von der anderen Straßenseite („Du N...schlampe!“), damit, dass nicht einmal Behörden sich Mühe geben, ihren Namen richtig zu schreiben. Und mit dieser immer wiederkehrenden Frage: „Wo kommst du her?“

Trotzdem wird sie nicht müde zu sagen, warum ihr das wehtut, wie sehr es sie verletzt: Die Frage impliziert die Haltung, „du kommst eben nicht hierher“, du gehörst nicht hierhin. Schwarze in Deutschland hassen diese Frage, und mit ihr die Reaktion, wenn sie trotzig antworten: aus Gelsenkirchen. Aus Hagen. Aus Köln. Denn das wollen die Menschen nicht wirklich wissen, glaubt auch die Autorin Alice Hasters (30). Es gehe ihnen vielmehr um die „Bestätigung bestimmter Vorurteile“.

„Wir verlangen den gleichen Respekt wie weiße Menschen“

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Die Kölnerin, Tochter eines weißen Vaters und einer schwarzen Mutter, ist in Deutschland geboren, aufgewachsen, sozialisiert. „Ich bin Deutsche“, sagt sie bestimmt, „aber ich muss mich immer erklären, immer rechtfertigen, immer integrieren.“ In ihrem Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ beschreibt Alice Hasters, warum die Herkunftsfrage und die vielen kleinen, oft gar nicht böse gemeinten Bemerkungen wütend machen. „In schierer Summe wird der Schmerz unerträglich.“ Ihre Existenz werde immer wieder in Frage gestellt, so sei das auch in Deutschland: „Weiß ist Haupt-, Schwarz ist Nebenrolle.“

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Nun würde kein Schwarzer behaupten, dass es in Deutschland „amerikanische Verhältnisse“ gäbe, aber was macht man mit solchen Sätzen, wie ihn die Grünen-Politikerin Aminata Touré zu hören bekam: „Seid doch froh, hier zu sein. In den USA werden Schwarze erschossen, hier nicht!“ Heißt der nicht, fragt Touré in einem Gastbeitrag für „Bento“, dass sie dankbar sein müsse, nicht erschossen zu werden? Damit gebe sie sich nicht zufrieden: „Wir verlangen den gleichen Respekt, wie weiße Menschen ihn erfahren.“

Diskriminiert und ausgegrenzt, „weil ich schwarz bin“

Allein, genau den erfahren viele Schwarze eben nicht. Autorin Hasters erzählt von dem Gefühl, nicht dazuzugehören, weil man nicht der Norm entspricht. Von Menschen, die sich im Bus woanders hinsetzen, die ihre Handtasche festhalten, die sie für das Personal halten. Die ihr Dinge nicht zutrauen, aber schon, dass sie alles wissen müsse über Afrika oder Amerika. „Ich erlebe Diskriminierung und Ausgrenzung“, sagt auch Oyindamola Alashe. „Nicht als Frau, nicht weil ich klein bin, sondern weil ich schwarz bin.“

Alice Hasters sagt, auch in Deutschland gebe es rassistisch motivierte Polizeigewalt.
Alice Hasters sagt, auch in Deutschland gebe es rassistisch motivierte Polizeigewalt. © Andreas Buck / FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Und es sei schlimmer geworden. Es seien Dinge wieder sagbar, die Alashe sprachlos machen. Sie spürt eine neue Bedrohung – dabei hat sie sich schon vor bald 20 Jahren im Ruhrgebiet abends nicht mehr allein auf die Straße getraut. „Ich kann nicht so tun, als lebe ich hier in Sicherheit.“ Auch Alice Hasters findet, es sei kein Zufall, dass in Deutschland nun Menschen demonstrieren. „Auch hier brodelt das Thema Polizeigewalt“, nicht so stark wie in den USA, wo sie gerade einen „wiederkehrenden Alptraum“ beobachtet. Aber sie erinnert an die Fälle von toten Schwarzen in Haft oder Polizeigewahrsam, an Hinweise auf rassistische Strukturen bei der Polizei… „Der Alltagsrassismus ist deshalb ein Problem, weil er gewalttätigen Rassismus legitimiert.“ Wer in der deutschen Gesellschaft nicht dazu gehöre, verliere seinen Schutz. „Das macht Wegsehen gefährlich.“

„Hört doch unsere Erfahrungen, glaubt uns doch!“

Solche Ignoranz aber ist für die schwarzen Frauen das größte Problem. Oyindamola Alashe erlebt betretenes Schweigen, wenn sie Alltagsrassismus anspricht oder sie hört den Satz: „Du bist da zu sensibel.“ Die 42-Jährige fühlt sich alleingelassen, „wenn nur ich diejenige bin, die sagt, hier läuft etwas falsch – dann kommen wir nicht weiter“. Sie wünscht sich von Weißen einen ersten Schritt: „Ich sehe dich, ich höre dich.“ Weiße müssten Verbündete sein. „Hört doch unsere Erfahrungen, glaubt uns, dass es unsere Erfahrungen sind!“ Alice Hasters sagt: „Wir müssen offener und klüger über Rassismus reden.“

Noch schauen sie mit Sorge vor allem in die USA: Sie haben Familie dort, sie wissen, dass dort jede Polizeikontrolle für Schwarze gefährlich sein kann. Aber Oyindamola Alashe weiß auch: Amerika ist nicht so weit weg, sie denkt an ihren Sohn mitten in Deutschland: „Ich wünsche mir nichts Anderes, als dass er sein kann, was er will. Dass ihm keine Steine in den Weg gelegt werden, weil er aussieht, wie er aussieht, und weil er heißt, wie er heißt.“