Duisburg. Tim Frehler lebt seit einem Jahr in Duisburg. Als Zugezogener schreibt er, was ihm hier fehlt und worin er eine große Chance für Duisburg sieht.

Student Tim Frehler ist in Schwaben aufgewachsen, hat bereits in Passau und Augsburg gelebt. Seit etwa einem Jahr wohnt er in Duisburg-Neudorf. Wie hat der 26-Jährige die raue Stadt in seinem ersten Duisburg-Jahr erlebt? Zum Jahreswechsel zieht er mit dem Blick eines Auswärtigen Bilanz.

„Buden, Bier, Bergbau – was typisch für Duisburg ist, habe ich schon in den ersten Tagen hier gelernt. Vor Semesterbeginn führen ältere Studenten die neuen durch die Stadt. Im Oktober 2018 war ich einer dieser Neuen. Wir schlenderten durch den Landschaftspark Nord, probierten uns durch die König-Brauerei und aßen in Marxloh zu Mittag. Duisburg im Schnelldurchlauf. Und wo immer wir waren – ein Kiosk war nicht weit. Bude oder Trinkhalle sagt man hier dazu. Das habe ich meinem ersten Jahr in Duisburg gelernt.

Dass die Stadt allerhand Probleme hat, wusste ich hingegen schon vorher. Duisburg eilt ja ein gewisser Ruf voraus. Doch ich finde: Die Stadt hat ihre Zukunft selbst in der Hand, sie hat eine riesengroße Chance.

Ein Jahr in Duisburg: Was ist hier anders?

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Aufgewachsen bin ich in einer kleinen Gemeinde in Baden-Württemberg. Für das Studium verschlug es mich zuerst nach Passau, über das estnische Tartu ging es nach Augsburg. Seit knapp einem Jahr lebe ich nun in Duisburg, wo ich derzeit meinen Master-Abschluss mache. Den gibt es in dieser Form nicht so oft in Deutschland – meine Entscheidung für Duisburg fiel also nicht ganz freiwillig, und der Kontrast könnte kaum größer sein: Weder im geschäftigen Schwaben noch im Bier-Bundesland Bayern gab es abseits von Tankstellen nach 20 Uhr Bier zu kaufen, in Duisburg geht das. Dafür sind Passau, Tartu und Augsburg idyllische Städte, allesamt mit einer pittoresken Innenstadt.

Duisburg ist anders. Eine umstrittene Studie im Auftrag des ZDF hat im vergangenen Jahr die Lebensumstände in 401 deutschen Städte und Landkreise verglichen. Duisburg landete dabei auf Platz 399 – nur Herne und Gelsenkirchen lagen noch dahinter. Das sind statistische Werte, bei denen Duisburg besonders im Bereich Gesundheit und Sicherheit schlecht abschneidet. Tatsächlich überlege ich mir in Duisburg genauer, wann und wo ich mein Fahrrad abstelle. Nachts fühlt es sich in den Straßen auch nicht so unbeschwert an wie in der niederbayerischen oder schwäbischen Provinz. Doch besonders unsicher fühle ich mich hier nicht – und in Passau ist mein Rad tatsächlich über Nacht verschwunden.

Klar ist aber auch, dass die Stadt mit den Folgen des Strukturwandels kämpft: Der Nahverkehr lahmt, Ladenflächen stehen leer – und wo anderswo kleine Cafés und Restaurants locken, lauern in Duisburg Sonnenstudios und Wettbüros.

Was in Duisburg gar nicht so schlecht ist

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Ist also alles schlechter in Duisburg? Nein, sicher nicht. Grüne Ecken finde ich in der Stadt öfter, als ich es gedacht hätte. Weit fahren oder laufen muss ich dafür auch nicht – der Stadtwald liegt, wie der Name schon sagt, sehr zentral. Beim Anteil der Wasserfläche an der Gesamtfläche landet Duisburg laut ZDF-Studie sogar vor der Dreiflüssestadt Passau – dort fließen immerhin Donau, Inn und Ilz zusammen.

Zur Person: Das ist Autor Tim Frehler

Unser Autor Tim Frehler ist 26 Jahre alt und lebt seit rund einem Jahr in Duisburg-Neudorf. Im Oktober 2018 begann er an der Universität Duisburg-Essen den Masterstudiengang Politikmanagement, Public Policy und öffentliche Verwaltung zu studieren. Parallel arbeitet er für die Duisburger Lokalredaktion der WAZ/NRZ und die Digital-Redaktion der Augsburger Allgemeinen.

Aufgewachsen ist er im schwäbischen Eningen. Daher ist er in Duisburg immer noch auf der Suche nach gut gemachten Kässpätzle und einer anständigen Brezel.

Und Wissenschaftler der hiesigen Universität erklären in den Medien die deutsche Politik oder die Autoindustrie. Und die Stadtgrenzen sind eher eine bürokratische als eine geografische Hürde. Schließlich braucht die Bahn rund 15 Minuten nach Düsseldorf oder Essen, 50 bis Köln. Außerdem kann ich mir die Miete in Duisburg leisten, ohne am Monatsende bei Wasser und Brot zu darben.

So gesehen finde ich Duisburg nicht so unattraktiv, wie es das Image der Stadt manchmal vermuten lässt. So richtig wohl fühle ich mich aber auch noch nicht. Dafür brauche ich mehr als günstigen Wohnraum, schnelle Bahnverbindungen und einen Studienplatz.

Kann Duisburg auch Großstadt?

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Was mir in Duisburg am meisten fehlt, ist ein attraktives Stadtzentrum. In Passau oder Augsburg sorgen barocke Kirchen und enge Altstadtgassen für ein gemütliches Flair in der Innenstadt. Klar, eine Altstadt kann man sich nicht einfach bauen. Duisburg fehlt dennoch ein Zentrum in der Innenstadt, wo sich Cafés, Restaurants und Geschäfte auf kleiner Fläche tummeln. Wo sich neue Wohnkonzepte mit Start-ups und Stadtgärten mischen. Ich wünsche mir hier ein Quartier, das mir das Gefühl gibt, in einer modernen Großstadt zu leben.

Dass ich mit diesem Bedürfnis nicht ganz allein bin, zeigen einige der Wünsche, die die Duisburger zum Auftakt der Bürgerbeteiligung für das Gelände am alten Güterbahnhof im November geäußert haben: Flächen für Start-ups, bezahlbare Kulturangebote, Freiräume für Musik, Kunst und Handwerk sollen ihrer Meinung nach dort entstehen.

Duisburg hat eine große Chance

Und genau darin liegt meiner Meinung nach Duisburgs Chance. Die Stadt verfügt über etwas, wonach sich jede andere deutsche Stadt die Finger lecken würde: eine riesige, unbebaute Fläche mitten im Zentrum.

Wären die Pläne, ein Möbelhaus auf dieser Fläche zu errichten, vor Jahren in die Tat umgesetzt worden, es hätte der Sargnagel für Duisburg sein können. Aber da die Stadt über die Gebag nun wieder im Besitz der Fläche ist, besteht die Chance, das Image Duisburgs mächtig aufzupolieren und die Stadt zum Anzugspunkt für junge urbane Menschen zu machen. Die Duisburger selbst haben ja gute Ideen dafür. Die Stadtverwaltung sollte auf sie hören.

Ja – Bier, Buden und Bergbau ist eine charmante Kombination, die ich in meinem ersten Duisburg-Jahr kennengelernt habe. Ob ich nach meinem Abschluss hier bleibe, weiß ich aber noch nicht. Das hängt auch davon ab, wie sich die Stadt entwickelt. Denn Duisburg kann mehr. Frei nach der neuen städtischen Werbekampagne könnte es also heißen: Duisburg ist echt … eine Stadt mit Potenzial.“