Duisburg. . Verbände und Wirtschaft reagieren entsetzt auf die angekündigte vierte Erhöhung der Grundsteuer innerhalb von fünf Jahren. Sie werde Kaufkraft abziehen und Investoren abschrecken. Steuerzahlerbund ruft Bürger auf, sich dagegen zu wehren.
Das Urteil auf die in rot-rot-grüner Koalition verabredete Erhöhung der Grundsteuer auf 855 Punkte fällt vernichtend aus. Armin Frenkert, Geschäftsführer des Eigentümervereins Haus und Grund, nennt die kurze Frist zwischen Bekanntgabe (Donnerstag) und Entscheidung (am Montag) „feige – so kann Demokratie nicht funktionieren.“
Allerdings: Der Bund der Steuerzahler sei nicht überrascht, erklärt Sprecherin Bärbel Hildebrand: In vielen Städten habe die Steuerschraube vor der Kommunalwahl gestoppt und rotiere nun weiter. Zwei Aspekte betont sie: Erstens würden überschuldete Städte „das Ruder nicht herumreißen, wenn sie die Bürger auf allen Ebenen abschöpfen“, statt ernsthaft zu sparen. Zweitens gebe es eine „Doppelzüngigkeit“ in der Politik, die Bürger ermuntert, als Altersvorsorge in Wohneigentum zu investieren, das aber durch Steuern verteuert.
Haus- und Grund-Geschäftsführer Armin Frenkert sagt, die Steuererhöhung sei „ein weiterer Schlag ins Gesicht der Hauseigentümer. Duisburg nimmt damit den traurigen Spitzenplatz in NRW ein.“
Wer die Musik bezahlt . . .
Schon die „Sparliste“ wurde als plan- und einfallslos gescholten. Immerhin hat sie eines gezeigt: Den – noch! – vorhandenen Willen der Stadtväter, Ausgaben zu überprüfen. Mit der Grundsteuererhöhung hat die Politik vor der eigenen Courage kapituliert.
Der Dreh an der Steuerschraube ist in mehrfacher Hinsicht eine Katastrophe: Er würgt die schwach ausgeprägte Kaufkraft weiter ab, verschlechtert Duisburgs Position im Konkurrenzkampf mit Nachbargemeinden um Neubürger und Unternehmen (Grundsteuer in Düsseldorf: 440 Prozent). Und die Erhöhung beschädigt auch das Vertrauen in Politik und Verwaltung: Wie viel Weit- und Durchblick haben Finanzverantwortliche, die in fünf Jahren viermal die Grundsteuer erhöhen um insgesamt 355 Prozent? Oder sollte das Salamitaktik sein? Dann haben die Entscheider an einer gammeligen Wurst geschnippelt.
Richtig ist: Die verlässliche Grundsteuer gilt als Königsweg der kommunalen Sanierung. In der Debatte darüber haben Gutachter aber darauf hingewiesen, dass den Bürgern bei einer Erhöhung auch mehr Mitsprache eingeräumt werden muss. Motto: Wer die Musik bezahlt, sollte sie auch bestellen dürfen. Mitsprache darüber, wie viele Bäder und Büchereien sie wollen, vielleicht gar – ein beliebtes Thema in Duisburg – wie viel die Geschäftsführer städtischer Gesellschaften verdienen sollen.
Doch statt um die Solidarität der Bürger mit ihrer Stadt zu werben, passiert das Gegenteil: Von der Bekanntgabe der politischen Verabredung (Donnerstag) bis zur Entscheidung (Montag im Rat) bleiben für die Diskussion gerade mal hundert Stunden Zeit. Augen zu und durch? Wenn die Entscheider sich mit der Taktik Stress vom Halse halten wollten, wage ich die Vorhersage: Der Stress fängt am Dienstag erst an.
Das Steuerplus in der Stadtkasse wird woanders Löcher reißen, ist Wilhelm Bommann überzeugt. „Damit gehen 25 Millionen Euro Kaufkraft verloren“, sagt der Chef des Einzelhandelsverbandes. Und: „Die Erhöhung trifft auch Mieter, die oft ohnehin wenig Geld haben.“
Denn nicht nur Eigentümer, auch Mieter werden belastet. Durch die Steuererhöhung „werden sich auch die Nebenkosten für Mieter erhöhen, da es sich um Betriebskosten handelt“, erklärt Kathrin Jansing von der LEG (betreut in Duisburg 5700 Wohnungen).
Unternehmer fordern Konzept statt „Berücksichtigung von Klientelinteressen“
Wolfgang Schmitz, Chef des Unternehmerverbandes, sagt, die „maßlosen und fortwährenden Steuererhöhungen sind ein Angriff auf unseren Wirtschaftsstandort.“ Es gebe kein langfristiges Haushaltskonzept, sondern nur die Berücksichtigung von Klientelinteressen. „Sparanstrengungen? Fehlanzeige!“ Er fragt, ob die politische Mehrheit nicht verstanden habe, dass Duisburg ein Arbeitsplatz- und Investitionsproblem habe: „Wir schrecken jeden ab, der investieren will. Schon die Gewerbesteuererhöhung war ein Rohrkrepierer, weil sie wirtschaftliche Dynamik erstickt.“
Ausgerechnet am Donnerstag, als die Erhöhung in Duisburg bekannt gegeben wurde, hat der Bund der Steuerzahler einen Aufruf veröffentlicht, Bürger sollten sich mit Eingaben an die Räte in ihren Städten gegen höhere Grundsteuern wehren. Einen Musterbrief dazu gibt’s auf www.steuerzahler-nrw.de
Der Zusammenhang von Messbetrag und Hebesatz
Wie Erhöhungen der Grundsteuer sich auswirken, muss für jeden Einzelfall berechnet werden. Grundlage ist der Messbetrag (nachzulesen im Steuerbescheid), der sich aus dem nach Bundesgesetz ermittelten Einheitswert ableitet. Dabei spielen Baujahr, Ausstattung oder Grundstück eine Rolle.
Der Messbetrag wird multipliziert mit dem Hebesatz, den jeweils die Stadt festlegt. In der Tabelle haben wir mit realistischen Mittelwerten gerechnet. Altbauten und Mehrfamilienhäuser sind derzeit begünstigt, neuere Gebäude und Eigentumswohnungen haben hohe Messbeträge. In Duisburg gibt es 127 378 Immobilien mit 82 000 Eigentümern.
Die steigende Grundsteuer-Belastung
Hebesatz in % | Einfamilienhaus (130 qm) | Eigentumswohng. (90qm) | Mietwohnung (70qm) |
2010 = 500 % | 600 € | 350 € | 100 € |
2011 = 550 % | 660 € | 385 € | 110 € |
2012 = 590 % | 708 € | 413 € | 118 € |
2013 = 695 % | 834 € | 486,50 € | 139 € |
2015 = 855 % | 1026 € | 598,50 € | 171 € |
Die mit der Sparliste bedrohten Einrichtungen freuen sich über Steuererhöhung
Noch herrscht nur zaghafte Freude bei den meisten Menschen, die sich für den Erhalt der von der „Tränenliste“ bedrohten Einrichtungen eingesetzt haben. „Ich freue mich erst, wenn ich es schriftlich habe“, betont Martina Linn-Naumann, Chefin der „Säule“. Dann wäre sie allerdings „hochgradig glücklich und mit mir Tausende, die für den Erhalt unterschrieben haben.“ Eine kleine Feier am Tag nach der Ratssitzung könnte sich David Kischke vorstellen. Er engagiert sich in der Initiative zum Erhalt des Spielzentrums Süd. „Wir müssen in den sauren Apfel beißen und mehr Steuern zahlen. Aber wenn man das mit einer Begründung an die Bürger heranträgt, haben sie hoffentlich Verständnis“, sagt er. Michael Horz, der sich für den Fortbestand des Bades in Homberg einsetzt, erklärt: „Wenn es in die Richtung gegangen wäre, die die Verwaltung eingeschlagen hatte, wäre Duisburg tot.“