Dortmund. Zwei Gelsenkirchener Stundenten können mit ihrer Drohne Feuerwehrleuten das Leben retten. Wie ihre neue Technik funktioniert.

Es riecht nach Vorabi-Party, erster Liebe und holprigen Annäherungsversuchen. Denn dicke Rauchschwaden quillen aus der Nebelmaschine, monotones Brummen schallt durch die große Halle im Dortmunder Industriegebiet. Und doch geht es hier um Leben und Tod. Theoretisch zumindest.

Das monotone Brummen, das kommt allerdings nicht vom DJ-Pult, sondern einer kleinen, zerbrechlichen Drohne. Nicht die Schwarz-Gelbe aus dem Bienenvolk, sondern die mit den vier Rotoren, die ferngesteuert immer öfter durch die Lüfte schießt. Und die Nebelmaschine steht auch nicht zum Spaß da.

Selbst ist der Drohnenpilot: Niklas Voigt (l.) und Jan-Nicklas Krämer haben ihre Drohne selbst gebaut und konfiguriert.
Selbst ist der Drohnenpilot: Niklas Voigt (l.) und Jan-Nicklas Krämer haben ihre Drohne selbst gebaut und konfiguriert. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Denn Niklas Voigt und Jan-Nicklas Kremer, Informatikstudenten der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen, trainieren für den Ernstfall. Ein Ernstfall, wie er nach dem Großbrand in der Essener Grünen Mitte im Februar 2022 auftrat, als die Flammen ein Wohnhaus beinahe komplett vernichteten. Als das Feuer gelöscht war, ging es für die Feuerwehr ans Eingemachte – nach potenziellen Glutnestern suchen, Opfer bergen (zum Glück gab es keine), kurz, den Schaden überblicken.

Doch in den Gebäuden könnte Einsturzgefahr herrschen, so die Befürchtung, Auftritt Hartmut Surmann, Professor für Informatik und Robotik an der Westfälischen Hochschule. Er steuerte eine Drohne durch die Brandruine, schoss 360-Grad-Fotos und fertigte 3D-Modelle an, sodass die Feuerwehr die Lage besser einschätzen konnte.

Testflug im Deutschen Rettungsrobotik-Zentrums in Dortmund

Bis jetzt kann nur Surmann die Drohne in solchen Einsätzen fliegen. „Warum“, mag sich nun der geneigte Drohnenpilot fragen, „bei mir klappt das doch auch ganz gut?“. Es gehe darum, erklärt Niklas Voigt, dass die Drohne auch in Gebäuden auf der Stelle schweben können muss, um in Ruhe zu fotografieren. „Unter freiem Himmel funktioniert das mit GPS-Signalen, da kann der Pilot die Fernbedienung einfach loslassen und die Drohne schwebt auf der Stelle.“

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In Gebäuden funktioniert das nicht, dort hält das Fluggerät mittels Sensoren die Position, sie messen den Abstand zum Boden. Und hier kommt die Nebelmaschine in der Dortmunder Halle ins Spiel. Die ist freilich nicht irgendeine Halle, sondern das Testfeld des Deutschen Rettungsrobotik-Zentrums (DRZ), vollgestopft mit hölzernen Testparcours für Drohnen aller Art, zu Luft, zu Lande, sogar zu Wasser. In eine Wohnungsattrappe üben die beiden Niklase, ihre Drohne auch bei starker Rauchentwicklung an Ort und Stelle zu halten – eben genau so, wie ihr Professor Hartmut Surmann.

Bodenlose Frechheit: Eine Drohne macht den Abflug

„Das ist eben ein bisschen in die Hose gegangen“, schmunzelt Jan-Nicklas, während er mit seinem Kollegen an ihrer Schöpfung schraubt. Vor lauter Rauch fand der Sensor an der Drohne nämlich den Boden nicht mehr, das Fluggerät schoss kurzerhand in die Höhe und krachte an die Hallendecke, „jetzt ist Schadensuche angesagt.“

Mit seiner 360-Grad-Kamera entdeckt die Drohne in Brandruinen alles – im Ernstfall stellt sich Niklas Voigt natürlich nicht mit in die verqualmte Bude.
Mit seiner 360-Grad-Kamera entdeckt die Drohne in Brandruinen alles – im Ernstfall stellt sich Niklas Voigt natürlich nicht mit in die verqualmte Bude. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Ihre Drohne, die sie liebevoll und inoffiziell „Invisidrone“ nennen, haben die beiden selbst gebaut, aus Komponenten anderer Fluggeräte, einer eigens gefrästen Karosserie und zweckentfremdeter Technologie. Die Idee, ganz klar, ist, dass das Duo schon bald die Feuerwehr unterstützen kann – nicht nur als Drohnenpiloten.

Jan-Nicklas und Niklas haben als Informatiker nämlich auch die Programmierung, genauer die Konfigurierung, ihrer Drohne übernommen. „Fliegen können die gekauften Drohnen natürlich von alleine, nur halt nicht gut“, lacht Niklas. Die spezielle Abrichtung der robotischen Hummel können in Zukunft dann auch die Feuerwehr, das THW und andere auf ihre Drohnen spielen.

Die beiden Gelsenkirchener Studenten sind einsatzbereit

Bei so professioneller Herangehensweise fällt es schwer, Niklas zu glauben, wenn er sagt, dass die Drohnenfliegerei bloß ein „Hobby“ der beiden ist. Spaß haben sie bei ihrer Arbeit aber ganz offensichtlich. Jan-Nicklas wirft die Nebelmaschine an und schaut dann gebannt zu, wie sein Kollege die Drohne abermals durch die rauchgeschwängerte Wohnungsattrappe steuert. Diesmal haut alles hin, kein spontaner Himmelflug der Inivisdrone.

Üben für den Ernstfall: Im Deutschen Rettungsrobotik-Zentrum in Dortmund können Niklas Voigt und Jan-Nicklas Krämer verschiedenste Szenarien durchspielen.
Üben für den Ernstfall: Im Deutschen Rettungsrobotik-Zentrum in Dortmund können Niklas Voigt und Jan-Nicklas Krämer verschiedenste Szenarien durchspielen. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

„Im Prinzip könnten wir sofort in den Einsatz“, nicken die beiden, die erst seit einem Jahr gemeinsam an dem Projekt arbeiten, „bis jetzt hat es aber leider, zum Glück nirgends gebrannt“, schmunzelt Niklas hinterher. Ein echter Einsatz würde sich nur wenig von den Übungen in der Halle unterscheiden, einzig ein leistungsstärkerer Laptop wäre mit von der Partie, „damit die 3D-Modelle direkt vor Ort gerendert werden können.“

3D-Modelle in zehn Minuten

Und damit die 360-Grad-Fotos schnell und hochauflösend zur Feuerwehr kommen. Die 360-Grad-Fotos, erklärt Niklas auf dem Weg nach draußen, seien übrigens auch der Grund für den Namen „Invisidrone“. „Oben und unten an der Drohne sitzen Kameras“, sagt er und zeigt auf zwei glubschäugige Halbkugeln, „die beiden Fotos werden zu einem zusammengefügt und die Drohne ist darauf unsichtbar.“ Invisible eben, wie der Engländer sagt.

Hobby zu Beruf: Für Jan-Nicklas Krämer (l.) und Niklas Voigt ist die Arbeit mit den Rettungsdrohnen Spaß und Beruf gleichermaßen.
Hobby zu Beruf: Für Jan-Nicklas Krämer (l.) und Niklas Voigt ist die Arbeit mit den Rettungsdrohnen Spaß und Beruf gleichermaßen. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Auf dem Hof hinter Halle demonstrieren die beiden dann noch, wie flott sie ein 3D-Modell erstellen können, ihre eigene Hochschule in Gelsenkirchen haben sie so schon digitalisiert. Niklas zieht die futuristische Brille über die Augen, einer Virtual-Reality-Brille nicht unähnlich, und sieht nun, was die Invisidrone sieht. Drei Mal umkreist er den Container-Übungsparcours, dann landet er sicher auf der weichen Start-Lande-Matte.

Ob ihm dabei nicht schlecht wird? „Ne“, grinst er, „macht ja Spaß“. Ein Kreis, erklärt Jan-Nicklas, hätte eigentlich sogar schon gereicht, mit dem Hochleistungsrechner des Ernstfalls stünde so keine zehn Minuten nach dem Drohnenstart das 3D-Modell bereit, innen wie außen. Was für die beiden Drohnenprofis Hobby und Spaß ist, könnte Feuerwehrleuten in Zukunft das Leben retten.

>> DROHNENEINSATZ AUCH IM AHRTAL

  • Hartmut Surmann und seine Drohnen kamen schon bei der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 zum Einsatz. Auch dort erforschten sie potenziell einsturzgefährdete Gebäude.
  • An der Westfälischen Hochschule entwickeln der Professor und seine Studenten aber auch andere Drohnen und Roboter, die beispielsweise selbstständig Gefahrenstoffe sichern können.
  • Am Projekt im DRZ sind neben der Hochschule, unter anderem, auch die Fraunhofer-Gesellschaft und das Deutsche Forschungszentrum für künstliche Intelligenz beteiligt.