Bottrop. Auf dem Gelände von Schacht 10 leben Flüchtlinge. Es ist die größte Unterkunft der Stadt. Wie sie wohnen und was alles umgebaut werden musste.
Erster Eindruck: Schön ist anders. Die WAZ durfte sich auf Schacht 10 anschauen, wie die Geflüchteten dort wohnen und leben. Bis zu 150 Menschen finden in der ehemaligen Bergwerksdirektion auf dem Gelände am Alten Postweg eine Bleibe. Es ist Bottrops größte Flüchtlingsunterkunft.
Spartanisch und pragmatisch sind die beiden Begriffe, die beim Blick in die Räume sofort in den Sinn kommen. Früher Büros von Mitarbeitern der Ruhrkohle AG, heute sind es Schlafräume. Das Zimmer mit der Nummer 35 ist bezugsfertig. Hier könnten zwei Menschen (zwei Alleinflüchtlinge oder ein Pärchen) auf circa 20 Quadratmetern leben.
Es gibt einen Tisch, einen Stuhl, eine Kommode, einen Kühlschrank und zwei abschließbare Spinde. Dazu zwei Betten mit Matratzen auf Metallgestellen. Wenn nötig, könnte zusätzlich ein Babybett aufgestellt werden. Komfort und Bequemlichkeit sind auf ein Mindestmaß reduziert. So wie im Zimmer 35 sieht es in fast allen Zimmern aus. Es gibt auch wenige, die dank Wanddurchbruch für mehr Personen geeignet sind.
Die jetzige Küche bestand früher aus zwei Räumen. Wie Dirk Jurczik, Bauleiter im städtischen Fachbereich Immobilienwirtschaft, erklärt, wurden beim Umbau des früheren Verwaltungsgebäudes zwei Wände eingerissen. Auch in der Küche dominiert der Minimalismus, wie an der Spüle zu sehen ist.
Vier Becken in einer Zeile aus Edelstahl. Untertische gibt es nicht. Geschirrspüler ist nicht vorhanden, es muss mit der Hand gespült werden. An den Steckdosen an der Wand sind zwei Herde angeschlossen. Außerdem gibt es Doppelkochplatten. Zu guter Letzt: Toiletten, getrennt nach Geschlechtern. Draußen befinden sich Container mit Waschmaschinen und Container mit Duschen. Das war’s.
Längst ist der Umbau abgeschlossen. Sozialamtsleiter Sascha Borowiak kann sich noch sehr gut an seinen ersten Besuch des Gebäudes erinnern. Es war der 1. April 2022 – und kein Tag für Scherze. Der Putz bröckelte, Leitungen hingen von der Decke, Steinwolle schaute aus den Wänden.
Weil das Gebäude zu der Zeit leer stand, hatten Vandalen in der Abgeschiedenheit des Alten Postwegs in Seelenruhe ganze Arbeit geleistet. „Hier war Chaos“, sagt Borowiak. Bauleiter Dirk Jurczik ergänzt: „Ein Rohbau zu sanieren, wäre leichter und schneller gewesen.“ Dem fügt Borowiak hinzu: „Das Problem ist nur, man muss auch die Fläche dafür haben.“
Seit Frühjahr dieses Jahres wird die Unterkunft belegt. Laut Amtsleiter sind zurzeit 71 Personen am Alten Postweg untergebracht. Ihre Herkunftsländer sind zum Beispiel Afghanistan, Irak, Syrien oder Angola. Die Unterkunft für Geflüchtete erstreckt sich auf zwei Gebäude. Der erste Trakt ist barrierefrei. Eine behindertengerechte Toilette ist in diesem Teil des alten Verwaltungsgebäudes übrig geblieben.
Das Problem damals? Es gibt keine behindertengerechten Dusche. Diese muss zusätzlich eingebaut werden, weil die Direktion nicht als Wohnraum vorgesehen war. Für das Sozialamt ist die Barrierefreiheit eine Erleichterung bei der Verteilung von Flüchtlingen. Anfang des Jahres war es so, dass viele Menschen mit Handicap nach Bottrop kamen. Dann auf die Schnelle eine behindertengerechte Wohnung oder Unterkunft bereitzustellen, stellte das Sozialamt vor Herausforderungen, wie Borowiak damals betonte. Im Augenblick werden jedoch kaum noch geflüchtete Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen der Stadt zugewiesen.
Aber so ein Duschen-Einbau ist nur eine Unwägbarkeit, mit die der Fachbereich Immobilienwirtschaft zu kämpfen hatte. Nach den Sommerferien 2022 beginnt der Umbau zur Flüchtlingsunterkunft. Dirk Jurczik: „Wir hatten anfangs keinen Strom.“ Hierfür müssen eigens Generatoren organisiert werden. Im Winter, so Jurczik, wurde „durchgearbeitet“. Eine funktionierende Stromleitung ist nicht vorhanden. Über weitere Generatoren wurde Strom für die Heizung produziert.
Die nächste Schwierigkeit nennt Jurczik die „Stadt-Land-Problematik“. Weil der Alte Postweg eine Landstraße ist, demzufolge in der Verantwortung des Landes Nordrhein-Westfalen liegt, konnten nicht so problemlos notwendige Versorgungsleitungen verlegt und angeschlossen werden. „Wir mussten Anträge beim Land stellen“, so der Bauleiter. Das dauerte Zeit, die man in einer Flüchtlingskrise eigentlich nicht hat.
Der Zustrom reißt nicht ab. „Nächste Woche kommen 30 neue Geflüchtete nach Bottrop“, sagt der Sozialamtsleiter. Wie immer ist es so, dass das Sozialamt vom Land circa 14 Tage im Voraus von denjenigen, die kommen, nur folgende Informationen erhält: „Den Namen, das Alter und das Herkunftsland und gegebenenfalls ob der- oder diejenige gesundheitliche Einschränkungen aufweist.“
Die konkrete Zahl an Geflüchteten in den Unterkünften in Bottrop scheint kaum greifbar zu sein. Zu schnell ist die Fluktuation. „Manche finden schnell eine Wohnung, andere nicht“, sagt Sascha Borowiak. Eine Vorhersage sei kaum möglich.
Abwechslung bieten ein kleiner Bolzplatz, gespendete Fahrräder oder ein eigens geschaffener Aufenthaltsraum für Kinder. An Schacht 10 sind die Geflüchteten jedoch selbst für die Verpflegung verantwortlich. Die Tafel hatte kürzlich, weil immer weniger Lebensmittel an sie gespendet wird, die weiße Fahne gehisst. Eine Ausgabe findet dort vorerst nicht statt.
Ein Taxibus bringt die Menschen vom Alten Postweg in die Stadt oder ins Dorf nach Kirchhellen. Spontane Ausflüge sind mit dem Bus aber nicht drin – eine Fahrt muss im Voraus zeitlich geplant werden. Dasselbe gilt für Termine bei Ämtern oder im Jobcenter. Für den Fall, dass man den Taxibus nimmt.
Ein weiterer Transfer ist auch geregelt. Die Kinder, die in Kirchhellen zur Schule gehen, werden mit dem Bus an der Haltestelle am Gelände abgeholt und zurückgebracht. Hilfe vor Ort erhalten die Geflüchteten vom Arbeiter-Samariter-Bund, der die Betreuung übernommen hat. Gesichert wird die Unterkunft von MSM Security.
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Letztlich kommt die Frage auf, wer zahlt einen derartigen Umbau und Anschaffungen wie Container, Haushaltsgeräte etc. auf Schacht 10? Antwort: die Stadt. Sie erhält Geld – dank des Flüchtlingsaufnahmegesetzes. „Aber wenn man realistisch ist, ist es nicht kostendeckend“, sagt Sascha Borowiak offen und ehrlich.
Krieg in der Ukraine, Krieg in Israel, Erdbeben in Afghanistan oder der Konflikt um Bergkarabach, die Probleme in der Welt werden nicht weniger. Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen sind so viele Menschen wie nie auf der Flucht – Schätzungen zufolge rund 110 Millionen.
Wie andere Kommunen kämpft auch Bottrop mit den Folgen und wappnet sich für den Fall, dass neue Unterkünfte benötigt werden. Laut Sozialamtsleiter gibt es eine Liste mit möglichen weiteren Standorten im Stadtgebiet.