Bottrop. Die langjährige Leiterin der August-Everding-Realschule in Bottrop geht in den Ruhestand. Zum Abschied hält sie ein Pladoyer für die Realschule.
Entspannt sitzt Maria Stolte-Enck zum Abschiedsgespräch am Konferenztisch in ihrem Büro. Kurz vor den Sommerferien herrscht in den Schulen oft die größte Hektik, doch der 63-Jährigen ist davon nichts anzumerken. Es sind ihre letzten Tage als Leiterin der August-Everding-Realschule (AER), deren Profil sie in knapp 20 Jahren geprägt hat. Sie kann zufrieden in den Ruhestand gehen. Blickt man auf die Anmeldezahlen, dann ist die AER die beliebteste Realschule der Stadt.
Maria Stolte-Enck kennt alle drei Realschulen Bottrop, arbeitete sie doch an der Marie-Curie- und der Gustav-Heinemann-Schule, bevor sie zu 2004 zunächst als Konrektorin an die AER wechselte. Diese war erst 2001 gegründet worden, mit Heinz-Günter Riese als erstem Schulleiter. „Ich habe die Aufbaujahre noch mitgemacht“, sagt die Pädagogin. Inklusive Integration neuer Kollegen in die wachsende Schulgemeinschaft und Weiterentwicklung des Schulprofils.
Maria Stolte-Enck initiierte bilingualen Zweig an Bottroper Realschule
„Was mir immer wichtig war, ist eine Verbindung aus Bildung und Erziehung.“ Das sei von Heinz-Günter Riese auch genau so angelegt worden, inklusive eines sozialen Engagements der Schülerschaft. Das zeigt sich heute nicht nur bei Sponsorenläufen, sondern auch bei Schulsanitätern, Sporthelfern oder Hausaufgaben-Tutoren.
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Dass die AER neben dem besonderen musisch-künstlerischen Schwerpunkt seit 2011 einen bilingualen Zweig anbietet, geht auf Stolte-Encks Initiative zurück. Ihre Studienzeit in Großbritannien habe sie geprägt; durch Reisen ins Ausland lerne man automatisch Toleranz für andere. Die AER hat eine Partnerschule in Peking; wünschen würde sich die Pädagogin eine weitere im näher liegenden englischsprachigen Raum. Alle Angebote, betont die langjährige Schulleiterin, wären nicht möglich ohne das Kollegium.
Für den Wandel der Realschule im Laufe der Jahre sieht Stolte-Enck viele Ursachen. „Als ich hier anfing, waren die Grundschulgutachten noch verpflichtend.“ Mit der freien Schulwahl durch die Eltern habe das Sterben der Hauptschulen begonnen, dadurch kamen auch schwächere Schüler an die Realschule. Die Inklusion, die Integration von Flüchtlingskindern – insgesamt habe sich das Klientel sehr verändert, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Pädagogik. „Ohne individuelle Förderung geht es nicht mehr.“
Maria Stolte-Enck: „Ich bin einer der größten Fans der Digitalisierung“
Die Corona-Krise hat sie übrigens gar nicht als „so gravierend“ empfunden, dafür aber sagt Stolte-Enck: „Ich glaube, ich bin einer der größten Fans der Digitalisierung!“ Sie sieht tolle Möglichkeiten, wie Zoomkonferenzen von Klassen mit Schulen im englischsprachigen Raum. Aber: „Wir sehen, dass die Schüler den Umgang wirklich lernen müssen.“ So beobachte sie Mobbing per Handy über den Schulschluss hinaus. Und die flächendeckende Geräte-Ausstattung an den Schulen lasse zu wünschen übrig. Sie sieht Land und Schulträger da in der Pflicht.
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Aktuell ist zu beobachten, dass ein Großteil der Viertklässler aufs Gymnasium wechseln will, im kommenden Schuljahr sind es über 40 Prozent. Hat die Realschule eine Zukunft? „Die Realschule in Bottrop ist 100 Jahre alt, und ich glaube, aus gutem Grund“, bekräftigt Stolte-Enck. „Es ist wichtig, dass es eine Schulform gibt, die auf schulische Bildungsgänge und gleichzeitig auf eine berufliche Ausbildung vorbereitet. Diesen Spagat hat die Realschule immer gut geleistet.“ In dem vergleichsweise kleinen System gebe es für jeden Schüler Zeit, sich zu entwickeln.
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Und was braucht Schule in Zukunft? „Grundsätzlich mehr Geld“ – etwa um zur Nachwuchssicherung die Besoldung anzuheben. Denn benötigt werde „engagiertes, gut ausgebildetes, motiviertes Personal“, das in Ruhe arbeiten könne. Und zwar am liebsten in kleineren Klassen als aktuell üblich. Das habe die Corona-Zeit gezeigt, in der teils jeweils nur eine halbe Klasse im Präsenzunterricht war. „Das hat sich sehr positiv auf das Klima und den Lernfortschritt ausgewirkt.“
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Zudem fordert sie: „Schluss mit Schulstruktur-Diskussionen. Ob Gesamt-, Sekundar- oder Realschule dran steht, ist nicht entscheidend. Das Wichtige ist, dass sich jemand für die Schüler interessiert. Es muss für jeden Schüler einen Weg geben, jeder muss nach seinen Fähigkeiten unterstützt werden. Ich glaube, dass das jede Schulform tut.“
Maria Stolte-Enck kommt aus Castrop-Rauxel, ist aber längst in Bottrop heimisch. Als Ruheständlerin keine täglichen Verpflichtungen mehr zu haben, darauf freut sie sich. Langeweile fürchtet sie nicht. Und das liegt nicht nur an den vier Enkelkindern, von denen zwei in London wohnen, und ihre geplanten Reisen mit dem Deutschlandticket. „Ich bin kein Mensch, der viel rumsitzt.“
Beruflicher Werdegang
Die Daten und Fakten zum beruflichen Werdegang von Maria Stolte-Enck auf einen Blick:
1979-1985: Studium an den Universitäten Essen und Bangor (Groß-Britannien); 1985: Erstes Staatsexamen
1988-1990: Referendariat; 1990: Zweites Staatsexamen
1990-1993: Dozentin an der VHS Essen
1993: Erste Stelle, Marie-Curie-Realschule Bottrop
1999: Zweite Realschulkonrektorin, Gustav-Heinemann-Realschule Bottrop
2004: Konrektorin an der August-Everding-Realschule Bottrop, ab 2005 kommissarische Schulleiterin, ab 2006 Schulleiterin