Bottrop. Ein kurioser Fund: Die Sparkasse Bottrop hat beim Umzug Milliarden gefunden. Leider handelt es sich dabei nicht um Geld mit aktuellem Wert.

Beim Aufräumen mal eben 100 Milliarden finden – wer träumt nicht davon? So passiert jetzt bei der Sparkasse. Nein, es sind keine verborgenen Euro-Summen aus dunklen Kanälen.

„Wir sind beim Umzug innerhalb unserer Hauptstelle auf Bottroper Inflationsgeld aus der Zeit der Hyperinflation vor 100 Jahren gestoßen“, sagt Patrick Hötten. Sicher auch spannend für das hauseigene Archiv, aber im Stadtarchiv seien die Scheine sicher besser aufgehoben und können bei Bedarf auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, so der Kommunikationschef des Bottroper Geldhauses.

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„Stimmt“, sagt Stadtarchivarin Heike Biskup. Denn die Ereignisse vor 100 Jahren, genauer das Jahr 1923, hat auch die damals noch junge Stadt Bottrop ordentlich durcheinander gerüttelt. Die Ruhrbesetzung durch Franzosen und Belgier ist in vollem Gange. Die Zechenbelegschaften im Streik, Soldaten ziehen erst fünf Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs wieder durch die Stadt, nur dieses Mal, um den Abtransport von Kohle, Stahl und Holz an die Siegermächte zu überwachen.

Bottroper Zeitung veröffentlicht Horrormeldungen – im„Kurszettel für die Hausfrau“

Dann kriselt die Wirtschaft, die sich kaum erholen konnte, schon wieder. Die Inflation, die sich bereits Ende 1922 ankündigt, nimmt an Fahrt auf. Der Wert der Mark fällt ins Bodenlose. Wer spürt das? Vor allem die, die von ihrem Geld, ihren Löhnen und Gehältern leben müssen, die keine Sachwerte oder Naturalien haben. Am 26. April 1923 veröffentlicht die Bottroper Volkszeitung im „Kurszettel für die Hausfrau“: ein Pfund Weißkohl, 400 Mark. Kopfsalat 1100 bis 1200 Mark, das Pfund Rindfleisch: 3000 bis 3800 Mark, Schweinefleisch sogar 4000 bis 5400 Mark.

Es ist weder ein Bild aus dem Geldspeicher von Dagobert Duck, noch Spielgeld eines Inflation-Monopolys: Diese unglaublichen Summen waren als Papiergeld vor 100 Jahren in Bottrop, Gladbeck und Osterfeld im Umlauf. Gedruckt wurden sie ebenfalls vor Ort, da die Reichsbank 1923 nicht mehr in der Lage war, die notwendigen Zahlungsmittel ins besetzte Ruhrgebiet zu liefern.
Es ist weder ein Bild aus dem Geldspeicher von Dagobert Duck, noch Spielgeld eines Inflation-Monopolys: Diese unglaublichen Summen waren als Papiergeld vor 100 Jahren in Bottrop, Gladbeck und Osterfeld im Umlauf. Gedruckt wurden sie ebenfalls vor Ort, da die Reichsbank 1923 nicht mehr in der Lage war, die notwendigen Zahlungsmittel ins besetzte Ruhrgebiet zu liefern. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Es kommt noch schlimmer. Im November 1923 liegt der Weißkohl bei 500 Millionen, der Blumenkohl sogar bei 10 Milliarden Mark. Fleisch wird im „Kurszettel“ nur noch als „Büchsenfleisch“ für 12 Milliarden aufgeführt. Preissteigerungen von mehreren Millionen an einem Tag sind an der Tagesordnung. Nur der Milchpreis wird im November vorläufig begrenzt: auf acht Milliarden pro Liter. Der Preiswahnsinn gilt für alle Bereiche des täglichen Lebens, auch die Kultur.

Auch der Kulturbetrieb leidet: Konzertkarten kosten über Nacht zwei Milliarden mehr

So fordert der Städtische Musikverein, der im großen Saal des Kolpinghauses in der Innenstadt Konzerte organisiert, Karten- und Abo-Inhaber in der Tageszeitung auf, für ein Konzert mit dem Essener Städtischen Orchester oder Chorauftritte mit Solisten Zusatztickets zu zwei Milliarden Mark pro Kopf zu erwerben. Sonst könne man nicht einmal die Anfahrt der Musiker bezahlen, heißt es in der Zeitungsmeldung. Die Zusatztickets gibt es bei Postberg in der Stadtmitte.

Auch die „Bottroper Volkszeitung“ setzt ihren Abopreis fest: 350 Milliarden Mark, aber nur für die Zeit vom 19. bis 25. November 1923. Die Höhe danach? Ungewiss. Zu sehen sind damals Arbeiter, die ihren Lohn mit Schubkarren oder Waschkörben nach Hause bringen.

Viele Menschen waren ratlos und fühlten sich den Ereignissen in der 20er Jahren hilflos ausgeliefert. Die neuesten Informationen zu Preisen und Lebensmitteln gab es in der Tageszeitung oder an den Litfaßsäulen – wie hier an der Gladbecker Straße. Im Hintergrund: Das Stadtcafé - damals noch Jackelen.
Viele Menschen waren ratlos und fühlten sich den Ereignissen in der 20er Jahren hilflos ausgeliefert. Die neuesten Informationen zu Preisen und Lebensmitteln gab es in der Tageszeitung oder an den Litfaßsäulen – wie hier an der Gladbecker Straße. Im Hintergrund: Das Stadtcafé - damals noch Jackelen. © Stadtarchiv

Gezahlt wird mit Scheinen, die in immer kürzeren Abständen in Bottrop gedruckt werden. Zunächst 100 und 500 Markscheine. Wobei 500 Mark 1922 schon zwei guten Durchschnittslöhnen entsprachen. „Fast alle Städte aber auch Unternehmen drucken damals ihr eigenes Geld“, sagt Heike Biskup. Ab 1923 geben Bottrop, Gladbeck und Osterfeld gemeinsam ihr Inflationsgeld heraus. Die Reichsbank ist nicht mehr in der Lage, die notwendigen Zahlungsmittel ins besetzte Ruhrgebiet zu liefern. Erst Ende 1923 führt Deutschland die sogenannte Rentenmark als neue Währung ein und verhindert so den vollkommenen Zusammenbruch der Wirtschaft.

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Die neuen historischen Scheine aus Sparkassenbesitz sind im Archiv willkommen. „Wir haben zwar viele Exemplare, auch schön gestaltet zum Beispiel mit Bergbaumotiven, aber die wurden früher zumeist wie in einem Sammelalbum aufgeklebt“, berichtet die Stadtarchivarin. Aus konservatorischer Sicht natürlich sehr schlecht: „Der Klebstoff greift das Papier an, die Rückseite ist ebenfalls nicht zu sehen.“ Das neue Inflationsgeld wird nun in säurefreien Mappen archivgerecht aufbewahrt.

Inflation von heute lässt sich mit der vor 100 Jahren nicht vergleichen

Die heutige Inflation zwischen acht und zehn Prozent sei mit den Ereignissen vor 100 Jahren aber auch mit der Inflation nach Ende des Zweiten Weltkriegs nicht zu vergleichen, so Patrick Hötten. „Allerdings sitzen die Erinnerungen daran bei vielen älteren Menschen natürlich tief“, so der Bank-Fachmann. Man habe aus den Ereignissen damals, aber auch später aus der Banken-Krise nach der New Yorker Lehman-Pleite 2008, der Corona- und jetzt der Energiekrise gelernt. Es seien vermehrt Sicherungssysteme geschaffen worden, die es vor 100 Jahren einfach nicht gegeben habe.

Selbst die Inflation in den vergangenen Monaten müsse vor dem Gesamthintergrund der letzten Jahre betrachtet werden. „Da hat es nämlich so gut wie keine Inflation gegeben, rechnet man das zusammen, liege man auch jetzt fast im normalen Bereich.“ Ein bis drei Prozent Inflation seien für die Wirtschaft wichtig, das andere Extrem, eine Deflation, könne für die Gesamtwirtschaft weitaus schädlicher sein.