Bottrop. Zu Ärzten wird sie transportiert, aber zu privaten Zwecken hat eine Bottroperin keine Chance, die Wohnung zu verlassen. Sie fühlt sich gefangen.

Marianne Giavarra wohnt in der ersten Etage, 21 Stufen sind es bis nach unten. Sie weiß es genau, denn diese Stufen sind für die 78-Jährige ein unüberwindbares Hindernis. „Ich komme die Treppe nicht mehr runter“, sagt sie. Und ist damit in ihrer Wohnung mehr oder weniger gefangen. Freizeitaktivitäten? Sind für die Bottroperin im Moment kaum zu realisieren.

Vor sieben Jahren erlitt sie einen Schlaganfall. Zunächst schaffte sie die Stufen trotzdem, „wenn auch nur mit großer Mühe und in Begleitung“, wie ihr Lebensgefährte Günter Biehl berichtet. Derzeit aber gehe nichts mehr, trotz Physiotherapie.

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Nun gibt es in solchen Fällen Hilfen. Transporte zu notwendigen Arztterminen werden bei Vorlage des entsprechenden Transportscheins nicht nur finanziell übernommen, per Tragestuhl wird Marianne Giavarra bei diesen Krankentransporten dann auch die Treppen von der Wohnung hinunter und bis zum Fahrzeug gebracht, erzählt sie.

DRK-Fahrdienst ist kein Krankentransport

Doch der Besuch des Chorkonzertes, bei dem ihr Lebensgefährte mitsingt? Die Feier zum 80. Geburtstag ihrer Cousine? Scheinen ihr schier unerreichbar, so lange sie nicht selbst für den Weg dorthin zahlt. Dabei übernimmt das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in Bottrop im Auftrag des die Kosten tragenden Landschaftsverbandes sogar solche Freizeitfahrten – wenn Marianna Giavarra die Treppe anderweitig bewältigt bekäme und zum Abholen bereit unten stünde. Dass die DRK-Mitarbeitenden der Rolli-Fahrerin nicht die Stufen herunterhelfen, erklärt DRK-Fahrdienstleiter Matthias Zimmermann so:

Der Fahrdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Bottrop für Rollstuhlfahrer ist nicht gleichzusetzen mit einem Krankentransport, sagt der Verantwortliche, Matthias Zimmermann.
Der Fahrdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Bottrop für Rollstuhlfahrer ist nicht gleichzusetzen mit einem Krankentransport, sagt der Verantwortliche, Matthias Zimmermann. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

„Wir gelten rechtlich als Mietwagengewerbe, nicht als Krankentransport.“ Die Hilfsmittel zum Heruntertragen von Personen, wie etwa der Tragestuhl, dürften aufgrund von Gesetzesvorgaben nur von qualifizierten Krankentransporten eingesetzt werden. „Wir haben auch kein medizinisches Personal beschäftigt, Übersetztätigkeiten machen wir nicht.“ Also etwa vom Rolli in den Tragestuhl und umgekehrt. Nun hätte es sich über die vergangenen 30 Jahre „eingeschlichen, dass wir die Leute einfach im eigenen Rollstuhl sitzend heruntergetragen haben“, so Zimmermann.

DRK-Fahrdienstleiter: „Wir dürfen nicht tragen“

Indes: Diese zwar gelebte, aber nicht abgesicherte Praxis sei vor nicht allzu langer Zeit von der Berufsgenossenschaft ausgebremst worden. Für diese Art Tragerei sei der DRK-Fahrdienst nämlich gar nicht versichert. „Diese Trage-Fahrten sind also tatsächlich ausgesetzt“, bestätigt Zimmermann. „Wir dürfen nicht tragen.“

Die Stadt Bottrop und der Landschaftsverband seien darüber informiert, dass dies für so manchen Rollstuhlfahrer in einer Wohnung in einer höheren Etage ohne Aufzug ein Problem ist. Daher sei die ganze Angelegenheit seit Mitte Oktober in der Prüfung. Mit ungewissem Ausgang. „Wir können nur warten“, meint Zimmermann fürs DRK.

Den Beförderungsvertrag mit dem LWL, der für private Fahrten von Rollstuhlfahrern unter bestimmten Voraussetzungen aufkomme, habe für Bottrop aber ausschließlich das DRK, erklärt Matthias Zimmermann. Engagiert Marianne Giavarra nun einen privaten Fahrdienst für ihre Freizeit-Vorhaben, müsse sie 55 Euro pro Fahrt innerhalb von fünf Kilometern zahlen, sagt sie. „Die würden mich aber dann auch die Treppe herunterbringen.“

Das irgendwann wieder selbst zu schaffen, ist die große Hoffnung der Bottroperin; derzeit aber ist es ihr größtes Handicap. Daher meint ihr Lebensgefährte aktuell mit Blick auf die Kosten für einen Privat-Transport: „Sie lassen folglich einen Ausflug – Konzert, Feiern, Besuche – nur in sehr seltenen Fällen zu.“ Behindertengerecht ist das aus seiner Sicht nicht.

Matthias Zimmermann regt an, dass jeder, der in so einer Situation ist, einmal mit seiner Pflegekasse Kontakt aufnimmt. Möglicherweise lasse sich auf diesem Wege ja als Hilfsmittel etwa ein Treppensteiger finanzieren und besorgen.

Assistenzdienst für Freizeitaktivitäten

Mike Herrmann von der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) berät Menschen mit Behinderungen zu den Möglichkeiten, im Bereich der Freizeitaktivitäten unterstützt zu werden. Über den Landschaftsverband kommt demnach die Hilfe zur Teilhabe bzw. zur Mobilität in Frage. „Es gibt Assistenzdienste, an die Betroffene sich wenden können“, so Herrmann. Leistungen würden allerdings nur auf Antrag gewährt. „Wichtig ist, dass der Bedarf vorliegt“, erläutert der Fachmann. Das werde entsprechend geprüft.

Kontakt zur EUTB im Haus der Vielfalt, Gerichtsstraße 3: 02041 77 30 600.