Bottrop. Viele in Bottrop machen sich Sorgen, wie es weitergehen soll. Bleibt auch noch die Wohnung im Winter kalt? Parteien fordern einen Notfallfonds.
Das erwartete Konzept der Stadt zur Bekämpfung von Energiearmut liegt jetzt offiziell vor. In den Blick nimmt das Bottroper Sozialamt damit auch die Bürgerinnen und Bürger, die keine Sozialleistungen erhalten, weil deren Einkommen gerade so ausreichen. Die explodierten Strom- und Gaspreise bringen jetzt aber auch sie in große Bedrängnis, lautet die Erkenntnis des Sozialamtes. Die schon länger bekannten Hilfsangebote der Stadt reichen von Notunterbringungen in Hotels bis zur Einrichtung von Wärmeorten für Menschen, die von zu hohen Energiekosten überfordert sind. Ist das alles?
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Diese Frage zieht sich zusammengefasst wie ein roter Faden durch die ersten Bewertungen, die die Bottroper Ratsvertreter vornehmen. Über Parteigrenzen hinweg halten die meisten das Maßnahmenbündel der Stadt nicht für ausreichend. Die SPD etwa sieht es - ähnlich wie die FDP - nur als ersten Schritt an. „Wir sind uns bewusst, dass diese Situation für viele Menschen belastend ist und sie sich Sorgen machen, wie es weitergehen soll“, sagt Ratsherr Matthias Buschfeld. Die Bürgerinnen und Bürger finanziell zu entlasten, sei Aufgabe des Bundes und des Landes. Die Stadt wiederum müsse dafür sorgen, dass diese Hilfe bei den Leuten ankommt. „Sie muss sicherstellen, dass niemand aufgrund der steigenden Energiepreise frieren muss“, betont der Vorsitzende des Sozialausschusses.
Warum hat die Verwaltung nicht längst begonnen?
CDU-Fraktionschef Hermann Hirschfelder fragt daher auch, warum die Verwaltung nicht schon mit der Umsetzung der Maßnahmen begonnen habe. Dafür müsse der Rat doch nicht erst ausdrücklich einen Auftrag erteilen. Der CDU-Ratsherr wirft dabei generell die Frage auf, welche Möglichkeiten die Stadt überhaupt habe, über die Hilfspakete der Bundesregierung hinaus zu handeln - außer durch die ohne Zweifel hilfreiche Beratung der Betroffenen und durch Appelle an Energieversorger. „Darauf erwarten wir Antworten von der Verwaltung“, sagte er. Der Umgang auch mit der Energiekrise sei für die CDU ohnehin die Aufgabe eines Krisenstabes.
Auch der ÖDP ist das längst bekannte Maßnahmenbündel zu wenig. „Uns fehlt vor allem der besondere Schutz von Kindern und Jugendlichen“, hält Ratsfrau Marianne Dominas fest. „Hier halten wir das Anbieten einer warmen Mahlzeit in Kitas und Schulen für wichtig“, unterstrich sie. Bedürftigkeitsprüfungen sollte es dafür keine geben. „Denn wir sind überzeugt, dass viele Familien nicht mehr jeden Tag werden kochen können, dies aber aus Scham verschweigen werden“, befürchtet die ÖDP-Vertreterin. Auch einen Aufruf des Rates an die Versorgungsunternehmen, Energiesperren bei Personen mit geringem Einkommen auszusetzen, halten die ÖDP-Vertreter im Rat für sinnvoll.
Enercity-Härtefonds aus Hannover Vorbild für die AfD
Die AfD werde dem Konzept des Sozialamtes zur Bekämpfung von Energiearmut nur unter Protest zustimmen, kündigte Fraktionsvorsitzender Patrick Engels an. „Zum einen, weil die dort genannten Maßnahmen wirklich nur das Mindeste sein können, um den Bürgern zu helfen“, begründete er. Zum anderen sei es ein Armutszeugnis, dass solche Maßnahmen nötig sind. Als Ursachen dafür sieht die AfD: „die nahezu völlig wirkungslosen Sanktionen sowie eine völlig verkorkste Energiewende“.
Engels schwebt ein Härtefallfonds vor, um unverschuldet in Not geratenen Bürgern zu helfen. Von Zahlungen für alle nach dem Gießkannenprinzip hält die AfD dabei aber nichts. Als Vorbild für Bottrop interessant finden ihre Ratsvertreter aber den Enercity-Härtefonds in Hannover. Dort wird der übliche Prozess aus Mahnungen und Energiesperren ausgesetzt, wenn Kunden Zahlungsprobleme haben. Der Härtefonds springt in solchen Fällen ein, wenn keine staatlichen Hilfen möglich sind. „Dies könnte aber nur auf Initiative der Ele funktionieren und liegt somit nicht allein in den Händen der Stadt“, meint AfD-Ratsherr Patrick Engels.
Appelle an Energieversorger und Wohnungsunternehmen
Kritik herrscht auch bei der Linkspartei vor. „Das ist völlig unzureichend und wird nicht reichen, um große Gruppen in der Bevölkerung vor Energiesperren oder gar dem Verlust der Wohnung zu bewahren“, meint Niels Schmidt. Skeptisch sieht der Ratsherr die Einrichtung von Wärmeorten. „Keinem Menschen ist damit geholfen, sich eine Stunde in einem warmen Warteraum aufzuwärmen, wenn er auf Wochen und Monate zuhause nicht heizen kann oder gar Gas und Strom abgestellt werden“, sagte er. Außerdem sei das wegen der aufkommenden neuen Corona-Welle problematisch.
Der Linke hält es auch für sinnvoller, Bewohner auch bei Zahlungsausfällen in ihren Wohnungen weiterhin mit Strom und Gas zu versorgen, als sie auf Kosten der Stadt in Hotels unterzubringen. Die Ele als Grundversorger müsse in der Energiekrise daher auf Strom- und Gassperren verzichten. Auch die stätische Wohnungsbaugesellschaft GBB solle auf Kündigungen verzichten, wenn Mieter die Nebenkosten nicht mehr bezahlen können, fordert Schmidt. Oberbürgermeister Tischler solle darüber auch Gespräche mit anderen Energieunternehmen und Wohnungsgesellschaften führen.
Warnung vor populistischem Überbietungswettbewerb
Die CDU im Rat sieht in solchen Aufrufen dagegen eher Zeichen der Hilflosigkeit. Fraktionschef Hermann Hirschfelder weist darauf hin, dass Energieunternehmen ohnehin Hilfen anbieten und das Sperren von Strom oder Gas erst als allerletzten Schritt vornehmen. Auch SPD-Vertreter Matthias Buschfeld erklärt, dass die Übernahme von Stromschulden zum Beispiel über Darlehen schon lange für jedermann möglich sei. Hilfsfonds seien schnell gefordert, die Finanzierung für eine finanzschwache Stadt wie Bottrop sei aber nicht so einfach. Auch FDP-Vorsitzender Andreas Mersch warnt daher vor einem Überbietungswettkampf von Parteien.
„Das wichtigste ist, den betroffenen Personen zur Seite zu stehen“, sagte der Liberale. Wichtig sei unkomplizierte Hilfe. „Die betroffenen Personen dürfen dabei nicht zu Bittstellern werden und sich durch verschiedene Ämter telefonieren müssen“, forderte Mersch. Dabei komme es gerade auch auf Beratung an. Nicht nur Fachleute der Hochschule Ruhr West und der Innovation-City-Gesellschaft sollten daher Möglichkeiten zum Energiesparen aufzeigen, sondern auch die Ele. In finanziellen Notfällen müsse die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen direkt helfen, indem sie gegenüber den Energieversorgern als Vermittlerin auftrete. Denn auch der FDP-Chef ruft dazu auf: „Energiesperren sollten in diesem Winter vermieden werden.“
Grüne setzen sich für städtischen Notfall-Fonds ein
Die Grünen wollen einen Bottroper Notfallfonds schaffen. Mit dem Geld sollen dann Zuschüsse an alle Bewohner gezahlt werden, wenn diese ihre zu hohen Energierechnungen nicht mehr schultern können. Sie hoffen, dass besser verdienende Bottroperinnen und Bottroper dabei helfen, indem sie zum Beispiel die Einmalzahlungen des Bundes spenden. „Abgesehen von den Hilfspaketen des Bundes, muss die Verwaltung auf kommunaler Ebene, die Gelder für Strom und Energie bei Menschen im Leistungsbezug mehrmals im Jahr dynamisch erhöhen und anpassen“, fordert Grünen-Vertreterin Liane Beyer.
Ein Konzept der Verwaltung zur Bekämpfung der Energiearmut sei längst überfällig, meinen die Grünen. „Darum sind wir froh, dass die Bottroper Verwaltung dieses Thema endlich angeht. Aus unserer Sicht wurde zu lange auf Zeit gespielt und es ist enorm wichtig, ein Konzept und konkrete Maßnahmen sofort umzusetzen“, sagte Liane Beyer. Denn die Grünen GRÜNE sehen die steigende Gefahr, dass es ab herbst und Winter zu zahlreichen Versorgungssperren kommt und sich mehr und mehr Verbraucherinnen und Verbraucher verschulden.