Bottrop. Steigende Kosten, steigende Preise, steigende Zinsen: Können sich in Bottrop Angehörige der Mittelschicht den Kauf ihres Eigenheims noch leisten?
Der Wunsch nach Eigenheimen und Eigentumswohnungen ist in Bottrop trotz der stark gestiegenen Lebenshaltungskosten und der höheren Kreditzinsen ungebrochen. Nach Erkenntnissen der Immobilienexperten der Bottroper Sparkasse und der Vereinten Volksbank geht die ganz große Nachfrage allerdings zurück. Kaufinteressierte nehmen sich mehr Zeit, um ihre Entscheidung zu überdenken. Nicht wenige stellten den geplanten Immobilienkauf jetzt erst einmal zurück. „Hatten wir vorher 30 Käufer, die ein Haus haben wollten, sind es jetzt zehn Interessierte, die sich das gut überlegen“, umschreibt Andreas Bucksteeg die Situation. Er ist der Leiter des Immobiliencenters der Bottroper Sparkasse.
Volksbank-Baufinanzierungsberater Christoph Beckmann betont sogar: „Gerade unter dem Aspekt der sehr hohen Inflation und der damit verbundenen negativen Realverzinsung von Vermögen ist die Investition in Immobilien grundsätzlich eine gute Entscheidung.“ Das Preisniveau auf dem Bottroper Immobilienmarkt bleibe ohnehin auf absehbare Zeit stabil, erklärt Andreas Bucksteeg: „Das Angebot ist immer noch gering. Das spricht gegen fallende Preise“. Er macht allerdings klar: Die Zeit für Mondpreise, zu denen Besitzer Häuser oder Wohnungen mal eben über bundesweite Immobilienportale verkaufen wollen, sei vorbei.
Urlaub im Sauerland oder zweimal auf den Malediven
Stattdessen sei gerade bei den Käuferinnen und Käufern von Immobilien jetzt fundierte Beratung gefragt. „Der Kauf eines eigenen Hauses ist ja für die meisten auch eine Frage ihrer zukünftigen Lebensplanung“, betont der Leiter des Sparkassen-Immobiliencenters. Den steigenden Beratungsbedarf stellt auch die Volksbank fest. Die Kundinnen und Kunden überlegten sich den Immobilienkauf wegen der Unsicherheit nach der Corona-Krise und den aktuellen Folgen des Ukraine-Krieges gut. „Diese Entscheidung ist ja auch sehr individuell zu betrachten“, meint Christoph Beckmann.
Für die Beratungsgespräche seien vor allem solche Fragen wichtig: Wie hoch plane ich meine Lebenshaltungskosten ein? Welche Zinssicherheit möchte ich während der Finanzierungslaufzeit haben? Welche beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten bieten sich? Wie möchte ich meine Familie absichern? Welchen Anspruch habe ich an die Immobilie? Wie viel Eigenkapital oder Eigenleistungen können erbracht werden? „Es ist schließlich ein großer Unterschied, ob eine Familie mit zwei Kindern 3000 Euro netto zur Verfügung hat oder ein Single“, sagt auch Andreas Bucksteeg. Auch die Lebensführung spiele eine Rolle. „Die Frage ist ja, worauf jemand zugunsten der eigenen Immobilie verzichten möchte“, erklärt der Leiter des Sparkassen-Immobiliencenters. „Fährt man dann einmal im Jahr ins Sauerland oder müssen es doch zweimal pro Jahr die Malediven sein“, macht er an einem zugespitzten Beispiel deutlich.
Faustregel sieht kritische Grenze bei 30 Prozent-Belastung
Es sei zwar eine ganz gute Faustregel, dass das Wohnen insgesamt nicht mehr als 30 Prozent des eigenen Einkommens kosten solle, doch in den Beratungsgesprächen bei der Sparkasse werden Einkommen und künftige Ausgaben genauer gegenübergestellt. „Das sollte am Ende ein deutliches Plus ergeben. Einige hundert Euro Einkommen sollten da schon übrig sein“, erklärt Andres Bucksteeg. Denn selbstverständlich sprechen die Beraterinnen und Berater der Sparkasse auch an, dass mögliche Käuferinnen und Käufer nicht nur mit den Kosten für die eigene Immobilie, sondern darüber hinaus auch mit den fast überall steigenden Kosten klar kommen müssen.
„Der Großteil der Kaufinteressierten in Bottrop sind Paare oder Familien“, weiß der Leiter des Immobiliencenters aus Erfahrung. Es gebe aber auch Singles, die Wohnungen kauften. Besonders gefragt seien daher Einfamilienhäuser, Doppelhaushälften und auch größere Eigentumswohnungen, die seniorengerecht sind. „Der Trend hält ja seit einigen Jahren an, dass sich ältere Eigentümerinnen und Eigentümer von ihren für sie zu groß gewordenen Immobilien trennen, wenn die Kinder aus dem Haus sind oder auch später, weil sie dann lieber eine Wohnung in einem Haus mit Aufzug mieten oder kaufen“, sagt der Fachmann. Gerade solche besonders gefragten Immobilien seien am Bottroper Markt zurzeit aber kaum zu finden.
Zwei Einkommen zur Finanzierung des Hauskaufs
Dabei will auch der Kauf einer gebrauchten Immobilie gut überlegt sein. „Wer sich ein eigenes Haus kauft, will sich darin ja zum Beispiel nicht mit einer zwanzig Jahre alten Badewanne zufrieden geben“, weist Andreas Bucksteeg praxisnah auf die Sanierungskosten hin, die zusätzlich zum Kaufpreis fällig werden. Da stellten sich Kaufinteressierte jetzt die Fragen: Finde ich für die Sanierung auch Handwerksfirmen? Wie sehr steigen die Preise für Baumaterialien noch an? Bekomme ich Kostenvoranschläge oder legen die Firmen diese gar nicht vor, weil sie selbst gar nicht einschätzen können, wie sich ihre Kosten entwickeln werden?
Hinzu komme, dass auch die Finanzierung des Kaufs eines Hauses oder einer Wohnung deutlich teurer werde. „Zweieinhalb Prozent mehr Zinsen sind im Monat tausend Euro“, sagt Andreas Bucksteeg mit Blick auf klassische Finanzierungsbeispiele. Volksbank-Baufinanzierungsberater Christoph Beckmann weist daher auch darauf hin, dass bei der Finanzplanung der Kaufinteressenten meistens zwei Einkommen eingeplant werden. „Mittlerweile sind pro hunderttausend Euro Baukredit durchschnittlich monatlich zirka 460 Euro an Zins- und Tilgungsleistung zu erbringen“, sagt er. Die Volksbank-Berater empfehlen daher auch längere Zinsbindungen und Absicherungen vorzunehmen, um Finanzierungsrisiken zu vermeiden. „Zudem prüfen wir für unsere Mitglieder und Kunden das Thema der Fördermöglichkeiten von Kauf oder Renovierungen“ erklärt Beckmann.
Mittelschicht kann sich Eigenheime weiter leisten
Ist der Traum vom Eigenheim selbst für die Mittelschicht also ausgeträumt? Der Leiter des Bottroper Sparkassen-Immobiliencenters verneint diese provokative Frage, die das Immobilienportal Immowelt vor kurzem aufwarf. „Die Mittelschicht wird sich auch weiterhin vernünftige Immobilien leisten können“, versichert Andreas Bucksteeg. Nach einer bundesweiten Untersuchung des Internetportals dagegen können sich selbst Käuferinnen und Käufer mit Einkommen von 3500 Euro brutto in vielen deutschen Großstädten kein Wohneigentum mehr leisten.
Denn laut Immowelt müssen Alleinlebende in 56 von 80 Großstädten mehr als 30 Prozent ihres Gehalts für die Rückzahlung des Darlehens ausgeben. Damit liege allein dieser Kostenanteil schon über der empfohlenen Wohnkostenbelastung, Hausgeld sowie andere Nebenkosten kommen noch hinzu. Die höheren Zinsen und die gestiegenen Energiepreise erhöhten die monatlichen Kosten dabei noch zusätzlich. Die monatliche Belastung beim Immobilienkauf betrage für die breite Mittelschicht im Durchschnitt inzwischen mindestens 29 Prozent, errechneten Immowelt-Analysten.
Belastung in anderen Städten geringer als in Bottrop
Grundlage der Immowelt-Berechnung waren die Kaufpreise von etwa 60 Quadratmeter großen Bestandswohnungen aus den neunziger Jahren, die auf dem Immobilienportal inseriert wurden. Dabei handelte es sich also um Angebotspreise und nicht um die tatsächlichen erzielten Preise. Für die Kreditraten legte die Untersuchung eine 90-Prozent-Finanzierung auf zehn Jahre mit einer anfänglichen Tilgungsrate von zwei Prozent und einem Zinssatz von 3,5 Prozent zugrunde.
In Bottrop lag der Kaufpreis für die genannte Musterwohnung danach bei 140.100 Euro. Für Käufer mit monatlichen Bruttoeinkommen bis zu 2500 Euro liegt die Wohnkostenbelastung dann oberhalb der als kritisch beurteilten 30-Prozent-Linie. Für Bezieher des errechneten Mittelschicht-Einkommens von 3500 Euro brutto bleibt die Finanzierung in diesem Rechenbeispiel allerdings leistbar: Denn die Kostenbelastung liegt danach mit 26 Prozent etwas unterhalb der kritischen Grenze. Deutlicher geringer als in Bottrop sind nach diesen Berechnungen die Wohnkostenbelastungen der Normalverdiener in anderen Revierstädten wie Gelsenkirchen (19 Prozent) und Duisburg (22 Prozent).