Bottrop/Ahrweiler. Eine Bombe explodiert in Bottrops Innenstadt, drei Menschen sterben, viele sind ohne Strom und Wasser: Die Stadt probt das Katastrophen-Szenario.
Der 27. September 2022 ist ein trockener und schöner Tag. Am Vortag haben Bauarbeiter nahe der Kreuzung Friedrich-Ebert-/Horster Straße eine britische Fünfzentnerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. Rund 1300 Anwohner sind am Morgen in Sicherheit gebracht worden, als die Bombe um 9.11 Uhr im Wortsinn hochgeht: Bei einer gewaltige Explosion wird ein Entschärfer schwer verletzt, zwei weitere werden am Nachmittag tot im Bombenkrater gefunden werden. Eine Hauptwasserleitung platzt, ein Strom-Umspannwerk fällt aus. Tausende Haushalte zwischen Fuhlenbrock und Welheim haben keinen Strom und kaum Wasser. Das ist die Ausgangslage bei der Bottroper Katastrophenschutzübung in der „Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung“ (BABZ).
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Die Bombenexplosion mitten in der Innenstadt ist die Ausgangslage für eine der großen Übungen, in der nicht nur die Feuerwehr den Großeinsatz simuliert, sondern auch die Stadtspitze den Aufbau und die Funktion eines Krisenstabes probt. Darin sollte sie aber doch eigentlich geübt sein, oder? Seit mehr als zwei Jahren tagt regelmäßig der Corona-Krisenstab, seit einem halben Jahr der „Ereignisstab Ukraine“, der sich um die Unterbringung der Flüchtlinge kümmert und um die Vorbereitungen auf die erwartete Energiekrise im Winter.
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Diese Stäbe arbeiten ähnlich, sind aber nicht wirklich Krisenstäbe, hat Feuerwehrchef Kim Heimann schon bei der Planung der wegen Corona zweimal verschobenen Übung erläutert. Anders als bei Corona und Ukraine geht es bei der Übung „Risiko- und Krisenmanagement für untere Katastrophenschutzbehörden“ um die schnelle und ämterübergreifende Reaktion der Behörden auf vorhergesehene Großschadensereignisse mit Auswirkungen auf die ganze Stadt und darüber hinaus.
Katastrophenübung: Wenn mitten in Bottrop eine Bombe hochginge
Nach der Explosion ist natürlich zunächst die Feuerwehr am Zuge. Sie schickt Löschzüge und Rettungswagen zu den zerstörten und teilweise brennenden Gebäuden rund um den Bombenkrater, löst Vollalarm aus und setzt die ersten Hilferufe um Verstärkung.
Was folgt, ist oft geübt und passiert ganz schnell: Die alarmierte Einsatzleitung um Brandrat Frank Lindemans bildet Sachgebiete und Einsatzabschnitte, kümmert sich um die Menschen, die vorerst nicht zurück in ihre Wohnungen kommen. An der Zeche Prosper-Haniel und an der Ortswehr Boy werden die Verstärkungskräfte aus an deren Städten empfangen, eingewiesen und verpflegt. Das Technische Hilfswerk (THW) versorgt die Retter und die Evakuierten mit Wasser und Notstrom.
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Ab 11.30 Uhr nimmt dann der Krisenstab seine Arbeit auf. Dessen Leiter, Dezernent Klaus Müller, definiert seine Aufgabe so: „Wir bündeln alle Unterstützung, die die Stadtverwaltung geben kann, und versuchen, vor die Lage zu kommen.“ Das bedeutet in diesem Fall: Was tun, wenn die Menschen zwischen Fuhlenbrock und Welheim länger ohne Strom auskommen müssen? Und die Altenheime? Und die Pflegedienste?
Polizei und Straßenverkehrsamt entwickeln ein Verkehrskonzept – und müssen gleich noch mal neu denken, als die Übungsleitung des Zentrums das nächste Bömbchen platzen lässt: Die Notstromversorgung des Marienhospitals wackelt. Was tun? Marienhospital evakuieren und am Knappschaftskrankenhaus einen zentralen Behandlungsplatz einrichten. Während die 210 Patienten aus dem Marienhospital in andere Städte gefahren werden, sperrt die Polizei dafür die Kirchhellener Straße.
Um 15.15 Uhr sind die Brände unter Kontrolle
Kurz nach 15 Uhr „Spielzeit“ stabilisiert sich die Lage. Die Brände rund um dem Bombenkrater sind gelöscht oder unter Kontrolle. Das ist eine gute Nachricht auch für die Wasserversorgung: Wenn nur noch wenig Löschwasser gebraucht wird, kann der Versorger den Wasserdruck weiter erhöhen. Aber mit dem Strom sieht es übel aus. Inzwischen sind im Bombenkrater die Leichen der beiden Vermissten entdeckt worden. Außer Polizei und Gerichtsmedizin kommt dort erstmal niemand hin, auch nicht der Stromversorger, um den Schaden zu begutachten und zu reparieren.
Katastrophenübung: Ablösung wird für 18 Uhr organisiert
Spätestens jetzt sollte der Krisenstab, wie Müller formuliert hatte, vor die Lage gekommen sein. Jetzt muss Vorsorge getroffen werden für die Nacht und den nächsten Tag. Die Einsatzleitung hat längst die Ablösung aller eingesetzten Kräfte ab 18 Uhr organisiert.
Aber jetzt ploppen weitere Probleme auf: Wohin mit den Menschen aus Alten- und Pflegeheimen ohne Strom? Wie das Aufbereiten von Babynahrung organisieren? Wie die leeren und beschädigten Wohnungen gegen Plünderungen sichern? Koordinator Markus Müller fordert die Mitglieder des Stabes auf: „Versetzt euch in die Lage eines betroffenen Bürgers. Was wird für den in den nächsten Stunden wichtig werden?“
Reaktion im Notfall: Rückgriff auf bewährte alte Technik
Auf jeden Fall auch neue Formen der Krisenkommunikation, sagt Christoph Lang, der Feuerwehr-Vertreter im Stab. Ohne Strom machen die Laptops und Smartphones schlapp, immer mehr Menschen werden darüber nicht mehr erreicht und können selbst niemanden mehr erreichen. Also richtet die Feuerwehr an den Gerätehäusern der Ortswehren Altstadt, Eigen und Fuhlenbrock Notfall-Infopunkte ein. Hier können die Menschen sich informieren und Notrufe absetzen, die die Feuerwehr per Funk weiterleitet. Aber wie die Menschen informieren ohne digitale Endgeräte. Dann kommt bewährte alte Technik zum Einsatz: Lautsprecherdurchsagen.
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Am Morgen danach ist die Übung beendet. Die „große“ Manöverkritik mit den Experten des BABZ steht noch aus, aber Feuerwehrsprecher Michael Duckheim hat ein gutes Gefühl: „Wir haben die Lage eigentlich gut im Griff gehabt und positive Rückmeldungen bekommen.“ Gut auch für die Stadtspitze und Klaus Müller. Der Baudezernent hat jetzt seine dritte Katastrophenschutzübung geleitet und kann im Wechsel mit Jochen Brunnhofer und Paul Ketzer jetzt einen echten Krisenstab führen. Zum Beispiel, wenn am Morgen des 27. September wirklich eine Bombe hochgeht.