Bottrop. Christoph Potowski, Priester in Kirchhellen, findet harte Worte für die Kirche. Ein Gespräch über Missbrauch, Zölibat und leere Gotteshäuser.

Christoph Potowski geht mit seiner Kirche hart ins Gericht. Der 37-Jährige ist seit zwei Jahren Pfarrer der katholischen Gemeinde St. Johannes in Kirchhellen und findet deutliche Worte zum Missbrauchsskandals: „Das ist eine große Baustelle, um die sich die katholische Kirche nicht ausreichend gekümmert hat.“

Er könne nicht nachvollziehen, warum die Aufarbeitung der Schreckenstaten so schleppend liefen, warum die Haltung so defensiv sei. „Es wird nur reagiert, wenn etwas herauskommt“ – eine Qual für die Betroffenen, die jedes Jahr ein neues Gutachten fürchten müssen.

Katholische Kirche in Bottrop: 90 Austritte allein in Kirchhellen in 2022

Christoph Potowski erlebt die Auswirkungen des Missbrauchsskandals auf das Vertrauen der Gläubigen jeden Tag: In Kirchhellen habe es in diesem Jahr bereits 90 Kirchenaustritte gegeben. Im vergangenen Jahr verzeichneten sowohl die katholische als auch evangelische Kirche Rekord-Austrittszahlen. Jeden, der die katholische Gemeinde verlässt, schreibt Pfarrer Potowski persönlich an, versucht, in den Dialog zu gehen.

Die, die jetzt austreten, seien meist praktizierende Katholiken, sie sind gläubig, wollen aber mit der Institution Kirche nichts mehr zu tun haben. Manche von ihnen empfängt Christoph Potowski weiterhin im Gottesdienst. „Wenn sie eine spirituelle Heimat suchen, sind sie willkommen.“

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Ja, er zweifle an den Verhaltensweisen der Kirche, „meinen Glauben betrifft das aber nicht“. Er sei für ihn ein Lebenshalt, mache sein Leben lebendig. Wenngleich er als junger Mann gezögert hat, den Weg des Priesteramtes einzuschlagen. In seiner Heimatgemeinde in Lünen habe ihn beeindruckt, was der Pastor macht. Nach dem Abitur ging er ins Priesterseminar, studierte Theologie, ließ sich aber zwischenzeitlich für ein Jahr beurlauben, um noch einmal aus diesem geschlossenen System rauszukommen und in sich zu gehen.

Schließlich ging er den Weg der Priesterausbildung, kam nach mehreren Stationen mitten in der Corona-Pandemie im Sommer 2020 in Kirchhellen an. Er folgte auf Pfarrer Ulrich Witte, der nach nur wenigen Monaten im Amt St. Johannes verließ und um die Entpflichtung von seinem Gelöbnis bat – um mit seiner Pastoralreferentin eine Familie zu gründen. Ein mutiger, konsequenter Schritt, wie Christoph Potowski findet.

Christoph Potowski: „Am Leben der Menschen teilhaben zu dürfen, ist ein Geschenk.“
Christoph Potowski: „Am Leben der Menschen teilhaben zu dürfen, ist ein Geschenk.“ © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Katholische Kirche in Deutschland: Nur 48 Priesterweihen in 2021

Die Zahl der Priester in Deutschland sinkt von Jahr zu Jahr, 12.280 waren es 2021, über 2500 weniger als zehn Jahre zuvor. Ebenso sinkt die Zahl der Priesteranwärter, lediglich 48 katholische Priesterweihen gab es im vergangenen Jahr. Was muss passieren, damit Menschen nachfolgen, die die Botschaft Gottes verkünden?

Die Freistellung des Zölibats würde nicht schaden“, sagt Pfarrer Potowski. „Für mich aber ist das eine lebenswerte Lebensform, sonst hätte ich sie nicht gewählt.“ Dass die Abschaffung des Zölibats für Nachwuchs sorgen würde, glaubt der 37-Jährige allerdings nicht mit Blick auf die evangelische Kirche, die ebenfalls unter Personalmangel leidet.

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Richtig findet er, dass über die Frauenpriesterweihe offen diskutiert wird, die Kirche müsse lernen, offen über theologische Fragen zu diskutieren, ohne sie im Keim zu ersticken. Seine eigene Haltung hat er zu dem Thema noch nicht gefunden.

Wandlung der katholischen Kirche: „Ein schmerzhafter, epochaler Prozess“

Klar aber ist ihm, dass Kirche sich wird wandeln müssen. „Das ist ein schmerzhafter, epochaler Prozess.“ Vor allem Älteren tue es weh, dass ihre Form der Kirche, wie sie sie kennen, so nicht weitergeht. Vor dem Schwund der Kirchenmitglieder dürfe man aber die Augen nicht verschließen. „Wir werden die Kirchen nie wieder vollkriegen“, sagt Christoph Potowski. „Die Volkskirche wird nicht mehr wiederkommen.“

Elitär sein solle der Glaube deswegen nicht. „Wir müssen ihn durch Überzeugung leben, nicht über Abgrenzung, auch wenn wir weniger werden.“ Er selbst sieht seine Arbeit als Seelsorger und die Möglichkeit, am Leben der Menschen teilhaben zu dürfen, als Geschenk. Und freut sich nun darauf, den Menschen seit diesem Sommer richtig zu begegnen – ohne Maske, wie es seit seinem Antritt in Kirchhellen Pflicht war.