Oberhausen. Seit er 25 Jahre alt ist, lebt ein Oberhausener Pfarrer im Zölibat. Mit uns spricht er über Enthaltsamkeit und seine Sichtweise der Liebe.
Als Kind träumte Vinzent Graw davon, Raumschiffe zu bauen, das Weltall faszinierte ihn. Mit dem Himmel beschäftigt er sich heute immer noch – jedoch auf ganz andere Weise: seit 2017 ist er Pfarrer der Pfarrei Herz Jesu in Oberhausen. Damit einher geht ein Leben in Enthaltsamkeit, um sich ganz der Beziehung mit Gott widmen zu können. Doch was veranlasst einen jungen Menschen dazu, das Zölibatsgelübde abzulegen?
„Ich habe mich nicht gegen etwas entschieden, sondern für etwas“
Ein Leben ohne Beziehung und körperliche Nähe: Für viele Menschen scheint dieser Lebensweg nicht vorstellbar. Für Vinzent Graw ist genau das jedoch Alltag. 2006 legte er den Zölibat ab, lebte jedoch auch schon zuvor enthaltsam. Ihn erfüllt das Leben als Pfarrer vollkommen: „Ich habe mich ja nicht gegen etwas entschieden, sondern für etwas – die Liebe zu Gott ist so groß, dass da keine andere Beziehung mehr in mein Leben passt!“ Die Beziehung mit Gott weist für ihn dabei durchaus Parallelen zur Ehe zwischen zwei Menschen auf: „Ich lebe mit Gott in einem selbstverständlichen Miteinander, wie in einer guten Ehe. Man weiß, dass der andere für einen da ist, wenn man ihn braucht, und umgekehrt.“
Suchen andere Paare die Nähe zum Partner, verbringt Graw Zeit mit Gott, indem er betet. Machen andere Paare einen romantischen Ausflug, plant der Pfarrer einen „Wüstentag“ ein, an dem er den ganzen Tag mit Gott verbringt und den Kontakt zu anderen Menschen bewusst meidet – beispielsweise an einem Wallfahrtsort oder in einem Kloster. Ist Graw erledigt vom Tag, legt er sich abends gerne auch mal aufs Sofa und schaltet den Fernseher ein, so wie andere Paare auch – Entspannen mit Gott also.
Anfang 20 und verliebt: Zweifel vor der Priesterweihe
Graw wuchs in einer gläubigen Familie auf, ging regelmäßig in die Kirche. Schon in jungen Jahren beschäftigte er sich viel mit Gott, engagierte sich als Messdiener und in der kirchlichen Jugendarbeit. Nach dem Abitur beschloss er, in ein Priesterseminar einzutreten – „Das ist vergleichbar mit einem Studentenwohnheim, nur mit extra Programm wie beispielsweise gemeinsamen Gottesdiensten.“ Bis zur Priesterweihe hatte er damals noch sieben Jahre Zeit, um zu entscheiden, ob er sich ein Leben im Zölibat tatsächlich vorstellen kann.
Besonders während seines Studiums in Bochum kamen bei dem angehenden Pfarrer Zweifel auf. „Ich war ein junger Mann Anfang 20 und verliebt. Da habe ich mich schon gefragt, ob eine Beziehung zu einer Frau nicht eher etwas für mich wäre. Ich habe gemerkt, wie stark Gefühle des Verliebtseins sein können.“ Für Graw sei dies vergleichbar mit den Gedanken, die sich Eheleute vor der Hochzeit machen. Auch hier überlege man sich im Vorfeld, ob man sein restliches Leben tatsächlich nur mit dieser einen Person verbringen möchte, auch hier müsse man ja schließlich auf viele andere Möglichkeiten verzichten. Deshalb sei der Hochzeitstag ebenso wie der Tag der Priesterweihe ein ganz besonderer Schritt. Für Graw überwog am Ende die Liebe zu Gott.
Für Familie und Freunde sei es keine Überraschung gewesen, als Graw beschloss, Pfarrer zu werden. „Das hat für sie ganz gut in mein Gesamtbild reingepasst“, erklärt er. Seine Eltern hätten sich dennoch ihre Gedanken gemacht, ob dies tatsächlich der richtige Weg für ihren Sohn sei und er so glücklich werden könne. Anfängliche Zweifel seien allerdings schnell verflogen, wie Graw erklärt: „Je mehr meine Eltern gespürt haben, dass ich mit meinem Leben glücklich bin, desto mehr standen sie dahinter, sie unterstützen mich da voll und ganz. Ich weiß aber auch, dass sie mich genauso unterstützen würden, wenn ich doch noch merken sollte, dass dieser Lebensweg nicht der richtige für mich ist.“
Liebe: Auch eine Entscheidung des Willens
Ganz wichtig sei für Graw, zwischen Verliebtsein und Liebe zu unterscheiden: „In einer Beziehung gibt es natürlich Gefühle des anfänglichen Verliebtseins, die uns sehr viel empfinden lassen. Das habe auch ich insbesondere während meiner Ausbildung erlebt, als ich beispielsweise neue Formen des Betens kennengelernt habe. Auf Dauer sind im Alltag allerdings nicht immer solche starken Gefühle da, deshalb ist Liebe auch eine Entscheidung des Willens. Eheleute entscheiden sich dafür, auch dann beieinanderzubleiben, wenn es mal schwierige Zeiten gibt. Und ich entscheide mich eben für Gott, auch wenn das manchmal herausfordernd ist.“