Bottrop. Die Missbrauchsstudie der Universität Münster hat hunderte Fälle im Bistum aufgedeckt. St. Johannes in Kirchhellen will weitere Aufklärung.

Hörte man am Montag den Historikern der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) bei der Präsentation ihrer Missbrauchsstudie zu, überfiel einen ein Gefühl der Beklemmung. 610 Betroffene, 196 beschuldigte Kleriker – das Ergebnis der Studie, die Missbrauchsfälle zwischen 1945 und 2020 untersucht hat, ist erschreckend; die Dunkelziffer der Opfer könnte um ein Zehnfaches höher sein.

„Die Kirche ist eine Täterorganisation“, sagte der Historiker Thomas Großbölting, der mit einem Team von insgesamt fünf Wissenschaftler der WWU seit Ende 2019 an der Studie gearbeitet hat. Dem stimmt auch Christoph Potowski, Pfarrer der katholischen Gemeinde St. Johannes in Kirchhellen, Grafenwald und Feldhausen, zu. „Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass wir Teil einer Organisation sind, die Täter geschützt hat und zum Mittäter geworden ist. Wir sind in Teilen eine Täterorganisation.“ Diese deutlichen Worte will Potowski auch in seiner Predigt am Wochenende finden.

Missbrauch im Bistum Münster: Nicht alle Fälle kommuniziert

Zwar sind in der Studie keine Fälle aus Kirchhellen aufgelistet. Dass es sie tatsächlich nicht gegeben hat, ist aber unwahrscheinlich. Zum einen ist die Dunkelziffer der Opfer weit höher als das Dokumentierte. Zum anderen listet die Studie exemplarische Einzelfälle und Fallstudien auf, hat aber bis dato nicht alle erfassten Fälle kommuniziert, auch nicht an die Kirchengemeinden. „Keine Kirchengemeinde weiß bislang, was mit den anderen Fällen ist, die dort aufgeführt sind“, sagt Potowski. „Mir sind bislang keine bekannt.“

Auf der in der Studie veröffentlichten Karte sind Punkte überall da im Bistum eingezeichnet, wo Missbräuche von Kindern und Jugendlichen bekanntgeworden sind. Sie erstrecken sich über das gesamte Bistumsgebiet, kaum ein Ort, an dem ein Seelsorger sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht an Kindern vergriffen hat.

Pfarrer Christoph Potowski ist seit zwei Jahren Seelsorger in der Kirchhellener Gemeinde St. Johannes.
Pfarrer Christoph Potowski ist seit zwei Jahren Seelsorger in der Kirchhellener Gemeinde St. Johannes. © FUNKE Foto Services | Joachim Kleine-Büning

Kirchhellener Pfarrer: „Das Schweigen muss durchbrochen werden“

Christoph Potowski ist froh, dass es diese unabhängige Studie gegeben hat, dass sie so schonungslos aufzeigt, welch Gräueltaten in der katholischen Kirche verübt wurden. „Nur so gibt es wirklich eine Möglichkeit für Veränderung“, sagt der Seelsorger. „Ein ,weiter so’ darf es nicht geben.“ Er denke aber auch daran, was das mit den Betroffenen macht, bei denen schmerzliche Erinnerungen losgetreten werden, deren Leben zerstört wurden, die beziehungs- oder arbeitsunfähig sind aufgrund des Erlittenen.

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Pfarrer Potowski will weitere Betroffene ermutigen, sich zu melden, um die Aufklärungsarbeit weiter voranzutreiben. In den aktuellen Pfarrinformationen zeigt er Kontaktmöglichkeiten für Betroffene auf – auch kirchenunabhängige (siehe Info). „Die Macht der Täter ist das Schweigen“, sagt Christoph Potowski. „Das muss durchbrochen werden.“

Präventionsarbeit in der katholischen Kirche: Workshops und Kodex

Zudem werde seit Jahren intensive Präventionsarbeit in der katholischen Kirche geleistet, auch in St. Johannes. Alle Hauptamtlichen sind zu Schulungen verpflichtet, es gibt ein Präventionskonzept, einen Präventionsbeauftragten. Die Ehrenamtlichen werden regelmäßig in Workshops geschult, in einem Kodex ist das Verhalten gegenüber Kindern und Jugendlichen festgelegt.

Dunkelräume sollen vermieden werden, Gruppenleiter und Seelsorger nicht alleine sein mit Schutzbefohlenen. Oft hätten Täter in der katholischen Kirche das Vertrauensverhältnis zu den Betroffen ausgenutzt, sie isoliert und schändlich missbraucht.

Neben den sexuellen Übergriffen sei auch zu untersuchen, welche Rolle körperliche Gewalt in der Kirche gespielt hat. „Das kommt mir in der Studie zu kurz“, sagt Pfarrer Potowski. Auch das früher nicht unübliche Schlagen von Kindern und Jugendlichen sei „eine widerliche Form des Machtmissbrauches“.

Anlaufstellen für Betroffene

Das Bistum Münster hat eine Hotline eingerichtet, unter der sich Betroffene melden und mit fachkundig geschultem Personal sprechen können. Die Hotline ist noch bis Sonntag von 10 bis 19 Uhr freigeschaltet: 0251 495-6252. Zudem stehen auch die Seelsorger von St. Johannes jederzeit für Gespräche zur Verfügung. Das kirchlich unabhängige Hilfe-Telefon erreichen Betroffene ebenfalls kostenlos unter der 0800 2255530. Die Gespräche sind vertraulich und diskret und können auch anonym geführt werden. „Es werden keine Namen veröffentlicht, außer die Betroffenen wollen das, und es gibt auch keine Gegenüberstellung mit Tätern“, stellt Christoph Potowski klar.