Bottrop. Hilfstransporte sind unterwegs, Flüchtlingshelfer an den Grenzen im Einsatz – auch aus Bottrop. So erleben die Bottroper die Situation vor Ort.
„Tapfer“ – mit diesem Wort beschreibt Vera Sadowski die Ukrainerinnen und Ukrainer, die ihre Heimat verlassen mussten und denen sie begegnet ist. Gemeinsam mit weiteren Helferinnen und Helfern hat die Pfadfinderin aus Bottrop Hilfsgüter zur rumänisch-ukrainischen Grenze transportiert. Auf dem Rückweg hat das Team Flüchtlinge mit nach Deutschland gebracht.
„Ich mag mir nicht vorstellen, was sie erlebet haben und sie lassen sich nach außen nichts anmerken, das gilt auch für die Kinder“, schildert Vera Sadowski ihre Eindrücke, die sie vor Ort gewonnen hat und die sie zu ihrer Einschätzung vom Beginn kommen ließen.
Nicht alle Flüchtlinge wollen nach Deutschland, viele hoffen auf schnelles Kriegsende
Gleichzeitig seien sie auch verunsichert und verängstigt. Es sei eben nicht so gewesen, dass alle sofort nach Deutschland hätten aufbrechen wollen. Vielmehr seien sie unsicher, was sie tun sollen, ob sie auf ein rasches Ende des Krieges hoffen sollen und vor Ort in der Nähe der Grenze bleiben sollen. Dort gebe es entsprechende Lager in Rumänien, berichtet die Helferin aus Bottrop. Daneben gebe es auch Transitlager für diejenigen, die weiter in ein anderes Land wollten – so wie die zwölf Menschen, die der Trupp aus Essen nun mitgebracht hat.
In München haben sie einige der Flüchtlinge rausgelassen, andere wollen weiter nach Berlin oder Lübeck. Eigentlich sei ursprünglich geplant gewesen, sie an zentralen Aufnahmeeinrichtungen abzusetzen. Doch die Dinge entwickeln sich schnell und unterwegs sei dann plötzlich die Ansage gekommen, sie dorthin zu bringen, wo es sie hinzieht, weil die Einrichtungen zu voll sein.
Die Einladung von Bottrop nach Kiew – nach dem Ende des Kriegs
Hier, beim Abschied, sei dann auch die Fassade gebröckelt, sei deutlich geworden, wie erleichtert die Menschen waren, das Kriegsgebiet hinter sich lassen zu können. Gleichzeitig sei das aber auch für sie als Helferin ganz merkwürdig gewesen, erinnert sich Vera Sadowski.
Auch interessant
„Da war die ältere Frau, die wir an der Aufnahmeeinrichtung in München rausgelassen haben, die sich da angestellt hat. Die hat in ihrem Leben die Ukraine nie verlassen und muss nun in dem Alter woanders neu anfangen.“ Man könne sich nicht vorstellen, was das bedeutet, sagt sie und muss beim Erzählen immer wieder tief schlucken.
Schlechte Erfahrungen an der Grenze von Rumänien zu Ungarn
Genauso: Was antwortet man jemanden, der sich weiter auf den Weg von München nach Berlin macht und dann als Zeichen der Dankbarkeit ankündigt: „Wenn der Krieg vorbei ist, dann warte ich in Kiew auf dich.“ Das sind viele Emotionen, die da auf Helfer und Flüchtende einstürzen, die erst einmal verarbeitet werden müssen.
Ebenso die schlechten Erfahrungen. Da fallen Vera Sadowski spontan die Erfahrungen bei der Ausreise von Rumänien nach Ungarn ein. Dort habe man die Flüchtlinge einfach warten lassen, wollte sie erst gar nicht ins Land lassen. Erst nach massivem Protest der Helfer und dem Verweis auf das EU-Recht, habe es schließlich geklappt – zum Glück für alle Beteiligten.
Bottroper transportiert Flüchtlinge von der Grenze zu den Bahnhöfen
Was die Menschen, mit denen sie unterwegs war, durchgemacht habe, weiß sie im Detail nicht. Es gilt: Danach fragt man nicht, wenn sie erzählen wollen, dann tun sie es von allein. So wie Frau, die sie noch bis Duisburg mitgenommen haben, um ihr über Hamburg die Weiterfahrt zu ihrem Bruder nach Lübeck zu ermöglichen. Sie habe keine Englisch gesprochen, mit Hilfe des Google-Translators habe sie dann geschildert, was sie erlebt hat. Für die Helfer ein schwerer Moment. Schließlich könne man aus Betroffenheit nicht einfach losweinen, sagt Vera Sadowski.
Ähnliche Erfahrungen hat auch Devrim Huys gemacht. Der Bottroper ist als Helfer an der polnisch-ukrainischen Grenze im Einsatz, hinter Krakau. Dort ist er als Fahrer registriert, transportiert Menschen, die die Grenze überquert haben weiter ins Landesinnere. Warum registriert: Ganz einfach, schließlich wolle man Menschenhändlern vorbeugen.
Temperaturen um den Gefrierpunkt und Schneefall
Seit Montag ist der Bottroper im Krisengebiet. Dort packt er an, wo Hilfe benötigt wird, hat auch schon Spendengüter sortiert, denn längst nicht alles, was dort ankomme, werde auch tatsächlich im Grenzgebiet gebraucht, so seine Feststellung. „Hier kommen die Menschen an, wärmen sich auf, decken sich mit den Nötigsten ein wie etwa warme Kleidung.“ Schließlich kämen sie von der Grenze ins Landesinnere, verteilen sich weiter.
Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und Schneefall. Eine große Lagerhalle ist geöffnet, daran steht in kyrillischen Buchstaben, aber auch auf Englisch, „Humanitarian Aid Centre“, frei übersetzt: „Zentrum für humanitäre Hilfe“. Hier können sich die Flüchtenden mit warmer Kleidung eindecken, erhalten auch was zu essen, bevor sie weiterziehen – beziehungsweise von den Helfern gefahren werden.
Bottroper erlebt viel Elend an der Grenze von der Ukraine zu Polen
Die Atmosphäre rundherum? „Bedrückend“, sagt Devrim Huys und berichtet von den Gesprächen mit den Menschen dort. Die Frau, die ihm berichtet, dass sie ihre alte Mutter zurücklassen musste. Die andere Frau, die noch nie vorher in ihrem Leben die Ukraine verlassen hat und nun auf der Flucht ist. „Man hat es hier wirklich mit Elend zu tun, die Leute sind fertig“, schildert der Bottroper seine Erfahrungen.
- Wahl: Landtagswahl in Bottrop – das sind die Direktkandidaten
- Radverkehr: Bürger in Bottrop setzen ihre Ideen für sichere Radwege durch
- Benzinpreise: Steigende Benzinpreise – für viele geht es um die Existenz
- Frühjahr: Biergärten in Bottrop – Diese Locations öffnen jetzt
Gleichzeitig seien sie dankbar für die Hilfe, für das Lunchpaket, das man ihnen bringt oder auch einfach nur für die Möglichkeit, im Auto das Handy aufzuladen. Trotzdem: „Ich hätte nie gedacht, dass so etwas passiert, sagt er mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. Einen Krieg, von dem man an der Grenze nichts mitbekomme, weil die Gefechte weit entfernt stattfinden. „Es wirkt alles so surreal“, sagt er. Erst nach der Rückkehr nach Hause, werde er da wohl länger drüber nachdenken können.