Bottrop/Essen/Gelsenkirchen. Das Bottroper Tierheim war Henrys Rettung, sonst wäre er eingeschläfert worden. Jetzt wird er ein Giftköder-Suchhund und schützt so andere Tiere.
Nicole Momma versteckt ein Stück Fleischwurst an einer Baumwurzel. Eine Scheibe Mortadella verbirgt sie an einem Baumstumpf, dazu noch eine Scheibe rohen Schinken, den sie im Laub auf dem Waldboden drapiert. Dort fällt das Stück kaum auf. Jetzt nimmt sie Blickkontakt auf zu Henry. Der Rüde steht mit seinem Frauchen abseits und ist schon ganz aufgeregt.
Nicole Momma senkt die Hand auf den Waldboden, deutet an das sie etwas ablegt. Für Henry ist es das Startsignal – ebenso für Frauchen Stefanie Westerwich. „Such den Giftköder, such“, fordert sie Henry auf – und der schnüffelt los.
Noch ist Henry in der Ausbildung. Die Essener Hundetrainerin Nicole Momma bietet die Ausbildung zum Giftköder-Suchhund an. Immer wieder gibt es Meldungen über vergiftetes oder mit Rasierklingen gespicktes Futter. Tiere, die so etwas fressen ziehen sich lebensgefährliche Erkrankungen und Verletzungen zu, verenden nicht selten qualvoll. Die Tiere, die Nicole Momma trainiert, sollen genau das verhindern. Sie spüren solche Köder auf und sind darauf trainiert, sie nur anzuzeigen, sie nicht zu verschlingen.
Jeder Hund kann zum Giftköder-Suchhund ausgebildet werden
„In meiner Siedlung in Gelsenkirchen-Horst sind tatsächlich Giftköder gefunden worden. Da kam so ein Suchhund zum Einsatz. Ich hatte das noch nie gesehen und war total fasziniert“, erinnert sich Stefanie Westerwich an ihren ersten Kontakt mit dem Thema. Zumal sie auch schonmal betroffen war, einer ihrer Hunde hat einen solchen Giftköder gefressen, es aber zum Glück überstanden. Einige Tage nach dieser Begegnung folgte die Kontaktaufnahme und schnell war klar, Henry, den die Gelsenkirchenerin aus dem Bottroper Tierheim geholt hatte, ausbilden zu lassen.
Jeder Hund sei geeignet, um als Giftköder-Suchhund zu arbeiten, so Nicole Mommas Erfahrung. „Allerdings ist es gut, wenn ein Grundgehorsam da ist, Kommandos wie Sitz, Platz oder Bleib befolgt werden.“ Der Rest sei eine Sache des Trainings. Wie lang die Ausbildung dauert? Das sei abhängig von Herrchen oder Frauchen. Denn neben den fünf Stunden in Begleitung sei es wichtig, kontinuierlich zu üben.
Das Trainingsmaterial stammt aus Frauchens Kühlschrank
Henry und Stefanie Westerwich üben zwei- bis dreimal die Woche. Sie plündere dann den Kühlschrank und zieht los. „Zuletzt hatten wir noch ein Cevapcici vom Wochenende übrig“. Henrys absoluter Favorit ist Fleischwurst. Die erschnüffelt er sofort und die gibt’s auch als Belohnung. Dabei ist ganz wichtig: Die Belohnung gibt es aus der Hand von Frauchen – und selbstverständlich ist es nicht die Scheibe, die vorher noch als vermeintlicher Giftköder am Boden lag. Schließlich kommt es darauf an, genau das aufzuspüren, anzuzeigen und liegen zu lassen, damit es eingesammelt werden kann. Henry lernt quasi Fressbares aufzuspüren, es aber nicht anzurühren.
Bis Nicole Momma und Stefanie Westerwich Henry mit offen liegenden Leckereien trainieren, hat es etwas gedauert. Jetzt wissen sie, Henry geht da nicht mehr dran. Doch um das zu erreichen war ein erster Schritt das Training mit Leckereien in der Dose. Den Duft können die Hunde wittern, aber sie kommen nicht dran. In der Zeit lernen sie, die Dose zu finden und wissen, dass es dafür eine Belohnung aus der Hand gibt. So arbeitet man sich vor.
Für die Tierfreunde Bottrop war Henry lange ein „Sorgenkind“
Dass Henry jetzt so lebhaft durch den Wald springt, seine Energie für die gute Sache einsetzt, das war nicht absehbar. Als die Tierfreunde Bottrop den Zwergpinscher übernommen haben, ging es um Leben und Tod. Seine vorherigen Besitzer hatten ihn übers Internet gekauft. Irgendwann hatte Henry sich beide Vorderbeine gebrochen, unklar, wie es passiert ist. Seine Vorbesitzer hatten in der Tierklinik angegeben, Henry sei vom Sofa gesprungen und habe sich so verletzt. Allerdings fehlte das Geld für die OP. Auf Nachfrage der Klinik sind die Tierfreunde eingesprungen und haben Henry auch übernommen.
Mit zwei geschienten Beinen kam er über die Tierfreunde in eine Pflegestelle zu Rosemarie Werner. Die Oberhausenerin hat den Kleinen wieder hochgepäppelt, hat ihn sieben Monate betreut und zahlreiche Tierarztbesuche und -untersuchungen mit ihm durchgestanden. Wenn sie ihn jetzt hier durch den Wald toben und trainieren sieht, ist sie ganz begeistert. „Das hätte ich mir nie so vorgestellt, das war wirklich nicht abzusehen.“ Schließlich bezeichneten ihn die Tierfreunde im Dezember noch in ihre Mitgliederzeitschrift als „Sorgenkind“.
Der Zwergpinscher braucht eine sinnvolle Beschäftigung
Davon ist nichts mehr zu sehen. Seit 2018 lebt er nun bei Stefanie Westerwich, die Henry mit dieser Ausbildung auch fordert – und zwar geistig und körperlich. Das sei für Henry aber auch wichtig, hat sie beobachtet, denn der lebhafte Zwergpinscher braucht eine Beschäftigung.
Heute im Wald unter den Augen von Nicole Momma läuft alles bestens. Als erstes erschnüffelt Henry den Schinken im Laub. Stefanie Westerwich greift in die Tüte in ihrer Jackentasche und angelt nach der Belohnung, auf die Henry schon wartet – Fleischwurst. Er schnüffelt weiter und entdeckt rasch auch den Kochschinken, stellt sich auf und wartet geduldig auf seine Fleischwurst. Anschließend nimmt er wieder Witterung auf, läuft ein- zweimal an der gut versteckten „Köder-Fleischwurst“ vorbei, nimmt aber immer wieder die Spur auf und findet auch die gut versteckt Scheibe. Er stellt sich auf, streckt die Brust raus und nimmt die Belohnungsfleischwurst in Empfang.
>>> Infos zur Ausbildung als Giftköder-Suchhund
Die Essener Hundetrainerin Nicole Momma ist nach eigenen Angaben die einzige Anbieterin überhaupt, die Giftköder-Suchhunde ausbildet. Die Idee geht zurück auf den Hundetrainer Denis Pathen, von dem habe sie die Ausbildung übernommen und inzwischen rund 15 Tiere entsprechend trainiert, sagt Nicole Momma. Die Ausbildung umfasst Theorie und fünf Praxisstunden. Am Ende steht eine Prüfung, wobei das kein Zwang sei.
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Für Stefanie Westerwich und Henry steht jedoch schon fest, dass sie auch die Prüfung absolvieren wollen. Dazu müssen die Tiere eine 15-minütige Suche in unbekanntem Terrain absolvieren und die vorher versteckten Köder finden und anzeigen. Für Stefanie Westerwich ist aber auch klar, dass sie sich im Anschluss bei den Giftköder-Suchhunden engagieren will.
Nach dem Hinweis auf vermeintliche Giftköder beginnt die Recherche
Nicole Momma koordiniert diese ehrenamtliche Truppe, die zum Einsatz kommt, wenn irgendwo Giftköder gefunden werden. Dann geht es darum aufzuspüren, ob weitere Köder versteckt sind oder ob Hundebesitzer ihre Lieblinge in einem überprüften Gebiet wieder sorglos ausführen können.
Vor allem über die sozialen Netzwerke, Facebook-Gruppen, erhält Nicole Momma solche Hinweise. Für sie beginnt anschließend die Recherche. Wie plausibel ist diese Meldung? Wer steckt dahinter? Ist derjenige zu erreichen, kann sie Kontakt zu ihm aufnehmen? Schließlich entscheidet sie, ob sie die ehrenamtlichen Helfer losschickt. „Auf zehn Hinweise erfolgen etwa fünf bis sechs reale Einsätze“, gibt sie einen Überblick.
Doch auch vor Ort ziehen nicht sofort die Hunde los. Zuerst müssten Herrchen und Frauchen das Gebiet überblicken. Birgt es noch andere Gefahren für die Tiere? Ist es etwa von Scherben übersät? Nicole Momma: „Wenn für meinen Hund Gefahr besteht, sage ich ,nein’“. Zuletzt seien Helfer in Wulfen unterwegs gewesen. Stefanie Westerwich und Henry könnten künftig in Gelsenkirchen für mehr Sicherheit von Hund und Herrchen sorgen.
Die Giftköder-Suchhunde sind über Facebook zu erreichen. Mit dem Begriff „Giftköder-Suchhunde“ ist die Seite auffindbar.