Bottrop. Nach 26 Jahren schließt Friseurin Annemarie Rogge ihren Salon. Wie davon nun ein Kollege, der im Sommer Opfer der Flut wurde, profitiert.

Nach 26 Jahren ist Schluss. Annemarie Rogge schließt ihren Salon auf der Bottroper Hansastraße. Als letzte Amtshandlung zeigt die Friseurmeisterin ihr großes Herz und spendet das Inventar an einen Friseurkollegen aus Euskirchen, der bei der Flutkatastrophe sein gesamtes Hab und Gut verloren hat.

Am Dienstag haben sie und ihre Mitarbeiterinnen sich noch um die Haare der Kunden gekümmert. Neben liebevollen Worten des Abschieds erhielt das Team so manches Geschenk als Erinnerung an die vielen schönen Stunden. Vor allem bei älteren Kundinnen flossen vereinzelt die Tränen. „Es war sehr emotional“, sagt Annemarie Rogge. Mit ihr hören auch die anderen Kolleginnen auf.

Seit 1995 gibt’s Friseur Rogge an der Bottroper Hansastraße

Sie selbst kennt die Räume in der ersten Etage an der Hansastraße 17 seit mehr als vier Jahrzehnten. Als junge Friseurin hat sie 1974 angefangen. Damals hieß das Geschäft noch Friseur Schneider, benannt nach ihrem Chef Emil Schneider. Aus Altersgründen hört dieser im Jahr 1995 auf. „Dann habe ich übernommen“, sagt Rogge.

Ein großer Teil des Inventars von Annemarie Rogge ist zum Zeitpunkt der Aufnahme schon im Transporter verstaut. Auch der Rest findet eine neue Heimat in Euskirchen und zwar im Geschäft von Abdul Razek (rechts). Der Friseur hat nach der Flutkatastrophe alles verloren.
Ein großer Teil des Inventars von Annemarie Rogge ist zum Zeitpunkt der Aufnahme schon im Transporter verstaut. Auch der Rest findet eine neue Heimat in Euskirchen und zwar im Geschäft von Abdul Razek (rechts). Der Friseur hat nach der Flutkatastrophe alles verloren. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Nun, 26 Jahre später, ruft der eigene Ruhestand. Das Gebäude wird vom Eigentümer demnächst kernsaniert. Unabhängig davon hat sie schon häufiger mit dem Gedanken gespielt aufzuhören. „Ich bin jetzt 66 und im Rentenalter“, sagt sie und zitiert lächelnd einen Udo-Jürgens-Klassiker. „Mit 66 Jahren fängt das Leben an.“

Das Inventar geht nach Euskirchen ins Flutgebiet

Am Mittwochvormittag ist schließlich alles für den Abtransport vorbereitet. Das Inventar ist haarklein aufgelistet: Handspiegel, Standhauben, Föhne, Scheren, Bürsten, Umhänge, Spiegelwände, mehr als 1000 Lockenwickler und noch vieles mehr. „Aber wohin damit?“, diese Frage stellte sie sich vor ein paar Monaten. „Auf Ebay hatte ich keinen Bock. Das ist mir zu doof“, sagt sie. Vielmehr wollte sie helfen. Daraufhin habe sie Bezirksbürgermeister Klaus Kalthoff gefragt, ob er nicht eine Idee hätte. Sein Vorschlag: einfach mal bei der Kreisverwaltung Ahrweiler nachfragen. Rogge nahm ihn beim Wort.

Das Ladenlokal in der ersten Etage an der Hansastraße 17 in Bottrop war mehr als 40 Jahre lang der Arbeitsplatz von Annemarie Rogge.
Das Ladenlokal in der ersten Etage an der Hansastraße 17 in Bottrop war mehr als 40 Jahre lang der Arbeitsplatz von Annemarie Rogge. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Dort riet man ihr, sich bei der Handwerkskammer Köln zu melden. Sie setzte eine E-Mail auf und schrieb, dass sie einen komplett eingerichteten Friseursalon abzugeben habe. „Ich wollte nicht, dass das Inventar auf der Müllkippe landet, sondern dass ich damit einen Menschen glücklich machen kann“, sagt die Bottroperin. Dieser glückliche Mensch ist Abdul Razek. Er war es, der plötzlich bei ihr anrief. Die Handwerkskammer hatte ihm ihre Telefonnummer gegeben.

Der Friseur betreibt den Salon Deluxe in Euskirchen. In diesem Sommer hat er nach der Flutkatastrophe alles verloren. „Die komplette Innenstadt von Euskirchen ist abgesoffen“, sagt er. Dort befindet sich sein Ladenlokal. Die Aufräumarbeiten dauern an. „Die ganze Innenstadt ist eine Baustelle.“ Nur langsam kehrt das Leben zurück. „Man hilft sich gegenseitig“, sagt er. „Das größte Problem war der Strom.“ Kein Internet, kein Telefon. „Mir kamen die Tränen, als ich die Bilder damals im Fernsehen gesehen habe“, erinnert sich Annemarie Rogge. Das Problem mit dem Strom ist vor Ort mittlerweile dank Hilfe und Solidarität gelöst.

Annemarie Rogge will den Ruhestand genießen

In Euskirchen wird das Inventar aus Bottrop im Salon Deluxe ein neues Zuhause finden. „Anfang Januar machen wir weiter“, sagt Abdul Razek. Der Friseur steht am Mittwoch ein wenig ungläubig im Bottroper Ladenlokal und weiß gar nicht, was er sagen soll. Er ist fast sprachlos vor Glück. Dank der Spende von Annemarie Rogge kann er neu anfangen. In den Jahren ist viel zusammengekommen. „Ich glaube, das bekommen wir nicht alles auf einmal mit“, sagt er. Einen Teil des Inventars will er zudem an zwei befreundeten Friseuren in Euskirchen weitergeben.

Einmal wird Annemarie Rogge noch offiziell arbeiten. Nächste Woche wird sie sich bei Friseur Dirk Gresch an der Osterfelder Straße für ein paar Stunden den Haaren ihrer Kunden widmen. Es ist die letzte Dienstleistung, damit sich ihre Stammkundschaft an eine neue Umgebung und Mitarbeiter gewöhnen kann. Tags drauf ist endgültig Schluss. Und dann? „Ich werde ausschlafen und eine Massage buchen für meinen Rücken und für meine Schultern.“

Zur Person: Annemarie Rogge

Am 22. September 1986 bestand Annemarie Rogge vor der Handwerkskammer für den Regierungsbezirk Münster die Meisterprüfung. Anschließend war die heute 66-Jährige nicht nur Friseurmeisterin. Sie war zudem stellvertretende Obermeisterin der Friseurinnung Bottrop sowie Werkstattleiterin im Berufskolleg Bottrop in der Abteilung Körperpflege.

2018 wurde ihr vom Friseur- und Kosmetikverband Nordrhein-Westfalen in Anerkennung der besonderen Verdienste für das nordrhein-westfälische Friseurhandwerk die Ehrennadel des Verbandes in Silber verliehen.