Bottrop. Die Einsatzkräfte schildern ihre Eindrücke im Hochwassergebiet in einem Stadtteil von Bad Münstereifel. Geschlafen wurde in der JVA Euskirchen.
Iversheim, dieser Name wird vielen Helfern beim Ortsverband des Technischen Hilfswerks (THW) Bottrop lange im Gedächtnis bleiben. Im Stadtteil von Bad Münstereifel im Kreis Euskirchen ist seit der Flutkatastrophe nichts mehr, wie es war. Ein Einsatz für die Bottroper, der Wochen später noch immer emotional nachwirkt.
„Als wir ankamen, waren wir erstmal geschockt“, sagt Paulo Hommel, zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Die Helfer sehen das Ausmaß der Zerstörung mit eigenen Augen. Bei der Ankunft begrüßt sie vor den Toren des Dorfes ein großer Haufen aus Müll, Unrat und Schrott. „Circa vier Meter hoch auf der gesamten Breite der Bundesstraße“, so Hommel. Innerhalb einer Woche wuchs dieser Haufen auf eine Länge von knapp 100 Metern an. „Es war unglaublich, zu sehen, wie viel tatsächlich kaputt gegangen ist“, sagt der Mann vom THW.
Iversheim gleicht einem Trümmerfeld
Die Erft war über die Ufer getreten. Fast nichts wurde von dem reißenden Fluss verschont. Im Dorf der nächste Schock. Hommel ging damals folgendes durch den Kopf. „Man geht ins Dorf und denkt „hier ist es aber schlimm“ und dann geht man in eine andere Straße und dort ist es noch viel schlimmer.“ Lars Tietz, Ortsbeauftragter, beim THW Bottrop: „Das ist eine Situation, die man nicht trainieren kann. Ich habe noch nie so etwas Schockierendes gesehen.“ Und er sei bei vielen Einsätzen, auch in Hochwassergebieten, gewesen.
Spürbare Dankbarkeit kommt aus der Bevölkerung. „Die Anwohner aus dem Dorf haben sich riesig über die Hilfe gefreut“, sagt Hommel. Alle haben mit angepackt. Das THW Bottrop räumt unter anderem Bachläufe, Straßen und Feldwege frei. Umgestürzte Bäume und angespülte Trümmer müssen teils mit schwerem Gerät wie Bohr- und Aufbrechhammer entfernt werden. Ein Carport droht einzustürzen und wird vorsorglich mit Seilwinde und Kettensäge in seine Einzelteile zerlegt.
Vor zerstörten Häusern legen die Helfer zahlreiche Sandsäcke ab, um weiteres Eindringen von Wasser zu verhindern. An gefährlichen Stellen, wie Brücken ohne Geländer, und Erdlöchern werden Notbeleuchtungen aufgestellt. Helfer richten eine zentrale Ausgabestelle von Spenden ein. Tag und Nacht sind bis zu 22 THW-Kräfte aus Bottrop vor Ort.
JVA Euskirchen dient als Schlafplatz
Ständig muss die Gruppe flexibel sein und zur Not improvisieren. Die ursprünglichen Bereitstellungsräume des THW, wo die Männer und Frauen in Zelten zur Ruhe kommen sollen, liegt zu weit entfernt. Also wird spontan die nahe gelegene Justizvollzugsanstalt (JVA) Euskirchen als Schlafunterkunft genutzt. Denn im Ernstfall zählt jede Sekunde und die Hilfskräfte müssen wieder schnell vor Ort sein. Wegen der Flut musste die JVA vorher evakuiert werden. Normalerweise sind dort mehrere Hundert Häftlinge im offenen Vollzug untergebracht. „Wir haben in den Zellen geschlafen“, sagt Tietz.
An Schlaf ist in jenen Katastrophen-Tagen jedoch kaum zu denken. Wenige Stunden vor Iversheim stehen Hochwasser-Einsätze in Kirchhellen und Mülheim auf dem Plan. In Kirchhellen ist eine Straße unterspült, in Mülheim muss eine Tiefgarage leer gepumpt werden. Dann das nächste Ziel: Bad Münstereifel, rund 150 Kilometer von Bottrop entfernt. „Eine komplett andere Welt“, wie es Tietz nennt, obwohl man die Eindrücke im Grunde nicht beschreiben kann.
Autos werden von der Hochwasserflut zerquetscht
Ortsverband: THW Bottrop
Der Ortsverband wurde 1953 gegründet. Aktuell hat der Verband insgesamt 123 aktive Mitglieder. Der Anteil an Frauen liegt laut Lars Tietz, Ortsbeauftragter, bei ungefähr zehn Prozent. Der Standort ist an der Stenkhoffstraße 119a.
Wer sich engagieren möchte, sollte aufgrund der Corona-Regeln vorab einen persönlichen Termin vereinbaren. Erreichbarkeit der Dienststelle per E-Mail unter ov-bottrop@thw.de oder 02041/ 77370-0.
Es gibt fünf Abteilungen: Zugtrupp, Bergungsgruppe, Schwere Bergung und die Fachgruppen Wasserschaden/ Pumpen und Notversorgung/ Notinstandsetzung.
Jeder ab 16 Jahren kann mit der Grundausbildung beginnen. „Hier ist jeder herzlich willkommen“, sagt Lars Tietz. Dauer: sechs bis neun Monate. Abschluss: schriftliche und theoretische Prüfung.
Welche Kräfte gewirkt haben, sind nicht zu übersehen. „Ein Audi A4 wurde auf einen Meter zusammengestaucht“, so Tietz, „weil er vom Wasser gegen einen Brückenpfeiler gedrückt wurde.“ Teilweise konnte man nicht mehr erkennen, um was für Autos es sich überhaupt handelte. „Das Schlimmste ist“, sagt Tietz, „wenn man vor den Anwohnern steht, die den Rest ihres Hab und Guts von der Straße aus noch sehen können, wir ihnen aber sagen müssen, dass sie nicht ins Haus dürfen.“ Zu groß sei die Gefahr, dass die Bewohner wegen akuter Einsturzgefahr des Gebäudes nicht mehr lebend herauskommen.
In Zukunft werden weitere möglicherweise überregionale Aufgaben auf den THW Bottrop zukommen. Aber wie geht es am Standort des Ortsverbands weiter? „Wir wollen gerne hier bleiben“, sagt Lars Tietz, „weil unter anderem die Anbindung zur A2 super ist.“ Der Ortsbeauftragte des THW Bottrop spricht darüber, dass es Überlegungen zu einem neuen Standort gibt. Zu mehr möchte er sich nicht äußern.
Vier neue Fahrzeuge für den Fuhrpark
Denn der Weg zur finalen Entscheidung ist lang. Tietz zählt nur ein paar der Instanzen des THW auf: „Vom Ortsverband zur Regionalstelle, dann der Landesverband und Bundesverband.“ Dann geht es laut Tietz von der THW-Leitung an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, die wiederum mit dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb zusammenarbeitet. „Das sind Verfahren, die dauern“, so der Bottroper Ortsbeauftragte.
Aber bald dürfte sich ein Platzproblem an der Stenkhoffstraße 119a ankündigen. Vier neue Fahrzeuge sollen zum Jahresanfang angeschafft werden. Darunter Mannschaftslastwagen, Mehrzweckkraftwagen und ein Mercedes als neues Führungsfahrzeug. „Aber wohin?“, fragt Tietz. „Das ist die große Frage. Die Halle reicht nicht mehr aus.“
Transporter stehen wegen Platznot draußen
Einige Transportgeräte wie Anhänger stehen aktuell nicht immer in der Halle, weil kein Stellplatz vorhanden ist. Somit werden sie notfalls auf dem Gelände abgestellt. Über die technische Ausstattung der einzelnen Einheiten und der Fahrzeuge kann sich der Ortsverband nicht beschweren.
Die Investitionen für die neuen Wagen belaufen sich auf Millionensummen. „Das ist Jammern auf hohem Niveau“, sagt Lars Tietz und weiß von anderen Dienststellen, die nicht diese Voraussetzungen haben. „Uns geht’s gut“, meint der Ortsbeauftragte. „Denn es gibt manche Dienststellen, die nicht mal die Hälfte der Größe unseres Hofes haben.“