Langendreer. Disco-Chef erinnert sich nach dem Brand an die Entstehung der Gruftie- und Gothic-Szene. Trost von einem Punk.

Am Sonntagmorgen, um halb acht, klingelte es bei Norbert Kurtz. „Eigentlich“, so der Langendreerer Unternehmer, „wollte ich nicht öffnen.“ Vor der Tür stand ein junger Punk, der ihm einen Briefumschlag in die Hand drückte. „Norbert, bleib stark“, sagte der ihm bekannte Zwischenfall-Stammgast, „wir schaffen das zusammen.“ Er überreichte einen Umschlag und ging. „Als ich dann hineinschaute“, erzählt ein immer noch sehr bewegter Kurtz, „habe ich geheult. Da waren 100 Euro drin.“

„Nach der Brandnacht hatte mir die Feuerwehr am Freitag morgen angeboten, mich in die Räume zu begleiten“, erzählt der immer noch geschockte Disco-Chef. „Es gab zunächst nur diese eine Gelegenheit, aber ich konnte einfach nicht hineingehen. Ich war zu fertig. Das ist mein Leben seit Dezember 1980, als ich für Alex Schüler das „Appel“ als Geschäftsführer übernahm.“

Während Schüler in der Bochumer City das „Cafe Sachs“ eröffnete und es nach seiner Mutter benannte und damit auch Mitbegründer des Bermuda-Dreiecks wurde, standen Norbert Kurtz und Klaus Märkert seit 1985 als Selbstständige an der vordersten Front der deutschen Gothic-Bewegung. „Das Konzept des Zwischenfalls war ein ganz besonderes“, erzählt Kurtz rückblickend. „Wir näherten uns der Philosophie von Londoner Clubs an, hatten keinen Türsteher – und es gab eine enge Verbindung von Lifestyle, Mode und Musik.“

Man hatte Foto- und Bilder-Ausstellungen und Bands, die heute zu den Großen gehören, spielten Mitte der Achtziger Jahre in Langendreer vor 30 bis 40 Leuten. Die US-Band „NOFX“, „Green Day“, „Pennywise“, „Deine Lakaien“ oder „Goethes Erben“ gehören dazu.

„Wir haben die Gruftie- bzw. Gothic-Szene in Deutschland mit begründet“, erinnert sich Kurtz, „hatten freitags und samstags Szene-Disco. Auf dem Programm standen viele osteuropäische Bands u.a. mit experimenteller Musik.“ Die Musiker seien teilweise Professoren gewesen, auch Berufsmusiker die auf diese Weise ihr schmales Budget aufbesserten. „Das erste Konzert spielten 1986 ‚Days of Sorrow‘, dann stand auch der skandalumwitterte Phil Fichot aus Paris bei uns auf der Bühne.“ Und die Bands haben nicht selten in den - jetzt verbrannten - Nebenräumen des Zwischenfall geschlafen.

„Jeder weiß“, so Kurtz, „dass Grufties immer politisch links waren. Deshalb wurden wir Anfang der 90er von rechten Hooligans terrorisiert.“ Nach einem Freitagsheimspiel des BVB fanden sich Mitglieder der rechten Borussenfront mit Leuten der Frankfurter Adlerfront in Langendreer ein und suchten Streit. „Es gab ein bisschen Sachbeschädigung, aber wir haben uns gemeinsam gewehrt. Danach gab es keine Belästigungen mehr.“

Das war auch die Zeit, als sich bundesweit mehrere Initiativen zum Erhalt des Zwischenfall gründeten, weil in Bochum mit politischer Hilfe versucht wurde, die Disco zu schließen. Albert Brandes, damals Chef des Ordnungsamtes, saß zweimal mit den Disco-Leuten, mit Oberbürgermeister Heinz Eikelbeck, Bezirksbürgermeister Norbert Busche und dem Landtagsabgeordneten Ernst-Otto Stüber am runden Tisch. Man wolle in Langendreer „keine Kreuzberger Verhältnisse“ titelte damals die Lokalpresse. Von Satanismus und Okkultismus war die Rede, was aber letztlich entkräftet werden konnte.

„Unser Einzugsbereich“, sagt Kurtz, „war ganz Deutschland. Und manche Gäste kamen auch aus den Benelux-Ländern. Wir waren immer überfüllt - und schließlich gab es dann doch einen Ordnungsdienst vor der Tür, als wir uns mit der Politik geeinigt hatten.“ Gegenüber, im Schatten des „Burghofes“ mieteten Kurtz und sein Partner Klaus Märkert dazu auch einen riesigen Parkplatz an, um der Menge der Fahrzeuge Herr zu werden.

Genau in dieser Zeit stand eines Abends ein zunächst Unbekannter vor der Theke und sagte: „Mach‘ mal ne Pulle Calvados fertig.“ Es stellte sich heraus, so Norbert Kurtz, „dass es Schmusesänger Bata Ilic war, der sich nach einem langen Tag in den nahen Fairland-Studios noch einen trinken wollte.“

Diese Zeit kommt nie wieder. „Ich habe noch gehofft“, so Norbert Kurtz, „dass wir über Bestandsschutz im alten Haus etwas Neues machen können.“ Diese Hoffnung wird aber von Tag zu Tag geringer. „Die Kosten laufen aktuell weiter, wir müssen alles abmelden, aber auch ein paar lokale Handwerker haben sich mit uns solidarisiert. Die haben angerufen und gesagt, dass wir uns mit ein paar kleineren, offenen Rechnungen Zeit lassen sollen.“