Bochum. In ihm steckt jede Menge Leben. Aber nicht nur in der Gegenwart spielt der vier Kilometer lange Wattenscheider Hellweg eine große Rolle. Bereits vor 2000 Jahren war er die zentrale Achse zwischen Bochum, Wattenscheid und Essen.
Wo einst der König fast vom Kurs abgekommen wäre, erstreckt sich heute moderner Wohnungsbau, Handel und Gastronomie. Das Bild des Wattenscheider Hellwegs hat sich im Laufe der Jahrhunderte gewandelt. Eines ist er dabei allerdings geblieben: Die zentrale Achse zwischen Bochum, Wattenscheid und Essen, mit fast ähnlicher Linienführung wie schon vor gut 2000 Jahren. Eine Straße also, die Geschichten erzählen kann.
Genau die kennt Heinz-Werner Kessler aus dem Effeff. Wer mit dem Historiker über den Hellweg geht, lernt die Straße von einer ganz anderen, neuen Seite kennen. Dinge, die im Alltag kaum auffallen, vielleicht vergessen sind, kann der 64-Jährige ins Gedächtnis rufen.
Aus Pulverkasino wurde Kolpinghaus
Wie vielschichtig die frühere Chausseestraße ist, erschließt sich gleich zu Beginn, von Bochum kommend. Gleich links steht die Kunstwerkstatt am Wattenscheider Hellweg 9. In einer Werkstatt aus dem 19. Jahrhundert treten immer wieder musikalische Größen und solche, die es werden wollen, auf. Eine besondere Akustik inbegriffen. Gegenüber, weiter in Richtung Höntroper Ortskern, befindet sich mit dem Kolpinghaus, dem früheren Pulverkasino, das älteste Gebäude auf nördlicher Seite (1). Eine weitere Bebauung Westenfelds erfolgte erst ab 1890.
Straßengeschichten
Wer dem Hellweg weiter folgt, kommt nun direkt zur Kreuzung mit der Westenfelder/Höntroper Straße. Mittiger wird’s in Höntrop nicht. Und dort kann der pensionierte Studienrat so richtig auspacken. Die Kirchschule (2) allein blickt bereits auf eine fast 200-jährige Historie. Doch auch der Standort ist höchst interessant: Befand sich hier doch vorher das Leprosenhaus. 1439 stiftete Everhard von der Brüggeney dieses Einrichtung, in der nicht nur Leprakranke behandelt wurden. Eine Kapelle sorgte nebenan dafür, dass die „Aussätzigen“ zum Gottesdienst gehen konnten. Nach Wattenscheid, in die Propsteikirche, durften sie nicht. 1915 weihte der Paderborner Weihbischof Heinrich Haeling von Lanzenauer die heutige Kirche St. Maria Magdalena auf der Ecke Vincenzstraße.
Freundschaft zwischen Gänsereitern und Blaukitteln
Die Geschichte des Leprosenhauses und die damit verbundene Versorgung von Kranken gehört mit zur Gründungeschichte des Jakobsweges, der ursprünglich von Bochum ausgehend über das Gelände des Bochumer Vereins bis nach Höntrop führte. Grundlage für die Einrichtung des Jakobsweges sei die Infrastruktur, die Zielführung nach Santiago sowie der Charakter als alter Handelsweg. „Es ist davon auszugehen, dass nicht nur Händler, sondern auch Pilger diesen Weg nutzten“, schildert Kessler.
Daten und Fakten
Personen. Am Wattenscheider Hellweg sind 1487 Anwohner gemeldet, davon 769 weibliche. Hier leben 234 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, darunter 114 Mädchen. 964 Anwohner sind zwischen 18 und 65 Jahre alt, darunter 485 Frauen. 289 Anwohner sind Senioren ab 65, darunter 170 weibliche.
Statistik. Die Straße ist rund vier Kilometer lang und verzeichnet 273 Hausnummern.
Bezirk. Der Wattenscheider Hellweg liegt im Bezirk WAT und erstreckt sich über die Stadtteile Westenfeld und Höntrop.
Gewerbe. Am Wattenscheider Hellweg sind 129 Gewerbe angemeldet, vom Akustiker über den Schädlingsbekämpfer bis zum Fliesenleger.
ÖPNV. Der Wattenscheider Hellweg ist über die Haltestellen Höntrop-Kirche, Brucknerstraße und Röntgenstraße zu erreichen, die von der Straßenbahnlinie 310 angefahren werden.
Immer wieder kann er auf dem Weg Richtung Sevinghausen Gegebenheiten aufzählen, die einen Bezug zu Spanien herstellen. Sei es das Gänsereiten, das in Carpio de Tajo traditionell am Jakobus-Tag ausgetragen wird. Die Höntroper Gänsereiter verbindet eine langjährige Freundschaft zu den dortigen Blaukitteln. Oder die Städtepartnerschaft mit Oviedo, die am Ende des Hellwegs per Schild besondere Erwähnung findet. „Dort startet der älteste Camino überhaupt“, betont der Historiker. Eine etwas andere Streckenführung bekam der Wattenscheider Camino (=Weg), um ihn an den Rändern „interessanter“ zu gestalten. Ein Einkehrschwung hier und da muss schließlich auch mal sein.
Der Hellweg ist mittlerweile vierspurig ausgebaut
Einkehren, das ist gerade am Hellweg ausgiebig möglich. Zahlreiche Gaststätten säumen die Straße. Wer daran vorbeikommt (3 und 4) und letztendlich die Berliner Straße überquert, erreicht mit der Bartholomäus-Kapelle eines der traditionsreichsten Gotteshäuser vor Ort. Hier verrichte vormals der Galgenpastor Vynhoven seinen Dienst, die zwei Galgen standen am Ortsausgang nach Steele. Kessler: „Teils wurden die Toten lange hängen gelassen. Jeder, der kam, sollte sehen: Hier herrschen Recht und Ordnung.“
Ordentlich und vierspurig ausgebaut ist mittlerweile auch der Hellweg. Als Friedrich Wilhelm II. 1791 die Region besuchte, musste der völlig verschlammte Hellweg noch mit Holzstangen markiert werden – ohne Korsett wäre der Preußenkönig wohl fernab des Hellwegs gelandet.
Westfälischer Hellweg ist über 5000 Jahre alt
Der Wattenscheider Hellweg entlehnt seinen Namen dem Westfälischen Hellweg, da die heutige Straßenführung in etwa jener aus alter Zeit entspricht. Die Bezeichnung Hellweg wird als „lichter, breiter Weg“ gedeutet, wobei der Westfälische Hellweg eine aus vor-römisch-germanischer Zeit stammende Verbindung vom Rhein über das heutige Ruhrgebiet bis Corvey darstellt. Seit dem 18. Jahrhundert ist dieser vorher kaum befestigte Weg auf Wattenscheider Stadtgebiet als Straße ausgebaut.
Wattenscheid ist eine alte Stadt: Die erste urkundliche Erwähnung datiert zurück auf das Jahr 880 als Villa Uattanscethe. Vor 1417 erhielt Wattenscheid die stadtähnlichen Rechte einer Freiheit, die Erhebung zur Stadt erfolgte 1876 aufgrund des rapiden Bevölkerungswachstums, das Wattenscheid damals, wie alle Städte im Ruhrgebiet, durch die Industrialisierung erfuhr. Am 1. April 1926 wurde Wattenscheid durch die Eingemeindung u.a. von Munscheid und Teilen von Günnigfeld, Höntrop und Leithe zur kreisfreie Stadt mit 62 780 Einwohnern.
Am 1. Januar 1975 schließlich wurden die Städte Bochum und Wattenscheid auf Landesbeschluss zur neuen Stadt „Bochum“ zusammengeschlossen – im Ruhrgebiet sollte keine kreisfreien Städte mit weniger als 200.000 Einwohnern mehr existieren. Ein Bürgerbegehren, bei dem sich 71,43 Prozent der Wattenscheider für die Selbstständigkeit aussprachen, scheiterte.