Bochum. Sie ist keine öffentliche Straße. Doch die I-Südstraße auf dem Campus der Ruhr-Universität Bochum hat eine bemerkenswerte Geschichte. Und sie besitzt daneben durchaus auch Schauwerte - wenn man danach sucht. Auf Spurensuche neben einer reinen Funktionsstraße.
Sie ist keine Schönheit. Auch keine alte Allee, kein Ort für Flaneure, es gibt nichts zu kaufen, keinen Durchgangsverkehr, nicht einmal richtig öffentlich ist sie. Und doch ist sie wohl eine der wichtigsten Straßen in der Stadtgeschichte. Die I-Südstraße ist jene Industriestraße, die südlich der I-Gebäudereihe auf dem Campus der Ruhr-Universität verläuft. Sie ist somit so etwas wie die erste Befestigung der vor nunmehr 50 Jahren gegründeten Uni, dessen erste manifeste Lehr-Gebäude eben jene Ingenieurwissenschaften A (IA) und Ingenieurwissenschaften B (IB) waren.
Betritt man – was bei den vielen verwinkelten Ebenen und Treppen der RUB gar nicht so einfach ist – die Straße von der Campusmitte her, also aus Richtung Audimax, Forum und Bibliothek, so trifft man zunächst auf jene beiden uralt wirkenden Türme. Schaut man so von ganz unten an der verwitterten Fassade der Wissenschaftsriesen empor, so bekommt man eine Ahnung davon, was dem Bochumer Hochschulbau in den ersten Jahren den Ruf einbrachte, gigantische und inhumane Betonarchitektur zu sein, obgleich das extrem utopische und moderistische Konzept gänzlich anderes vorsah. Der Mensch nimmt hier die Ameisenperspektive ein.
Doch die Wissensriesen IA und IB stehen längst leer, Bauzäune riegeln sie ab, kaputte Fenster und Türen deuten es an: diese Gebäude sind dem Tod geweiht, sie werden alsbald abgerissen.
Schadstoffbelastung zu groß
Die Schadstoff-Belastung ist zu groß für eine Kernsanierung, wie sie dem Dritten im Bunde der Alten, IC, zuteil wurde, kürzlich für knapp 80 Millionen Euro. Unmessbar dagegen ist wohl das Ingenieurs-Wissen, das hier in IA und IB in all den Jahrzehnten seit 1965 produziert wurde und in der Region und der ganzen Welt wirkte. Wollte man die ganz konkrete Geburtsstätte der UniverCity Bochum positionieren, dann mutmaßlich hier.
Rechts und links der ruppig befestigten Straße sind Parkplätze, Vegetation, Zweckflächen wie wahllos hingeworfen, die Radstation von Metropolradruhr repräsentiert – in den Semesterferien zumindest – eher den Willen zur, denn die studentische Lust an der Zweiradmobilität.
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Das Gebäude IC steht für die gewaltige RUB-Modernisierung. Das sieht man – in Architektenkreisen nicht unumstritten – an der weißen Fassade, die sich sehr deutlich von der blau-grauen-Brettstruktur der Nachbarn abhebt. Und ganz hinten links wurde noch der Neubau ID an die Reihe gehängt, flacher und kompakter präsentiert sich das Ende 2010 eingeweihte Gebäude.
Ozeanriesen im Ruhrtal
Mehr noch als in der Gebäudestruktur, den „Ozeanriesen ohne Heck und Bug“ (Der Spiegel im Jahre 68), die in Flottenformation über das Ruhrtal ziehen, zeigt sich in Details der Geist der Utopie dieser Architektur. Etwa im asiatisch anmutenden grünen Innenhof zwischen IA und IB oder in der Grünanlage, die zwischen der I-Reihe und der N-Reihe (den Naturwissenschaften) zu erleben ist. Hier gibt es einen „Wasserfall, der aus großen, wie hingewürfelt wirkenden Steinquadern und einzelnen kleinen Becken besteht. Über Kaskaden floss einst – und tröpfelt heute – Wasser hinab in einen Teich mit Koi-Karpfen. Längst sind diese seltsamen Quader zugewachsen, mit Moos besetzt, verwittert und unkontrolliert überwuchert. Eine weithin einzigartige Wasser-Landschaft zwischen brutalistischen Relikten modern-ästhetischer Raumeroberung und ungeplanter grüner Lunge?! Ob die jungen Mathematiker, Informatiker und Physiker, die über diesen trampelig wirkenden Abwärts-Pfad ihren Arbeitsplätzen entgegenströmen, einen Blick für dieses Kombination haben?
Die Anfangstage der RUB
„Die Größe und der landschaftliche Reiz des zur Verfügung stehenden Geländes an den Nordhängen des Ruhrtals bieten die Möglichkeit eine großzügige, eine moderne, eine schöne Universität zu schaffen.“ So Ministerpräsident Franz Meyers 1962. Zum Ideenwettbewerb wurden sehr bekannte Architekten wie Gropius und Mies van der Rohe direkt eingeladen. Aus 85 Entwürfen setzte sich aber jener des Büros Hentrich, Petschnigg & Partner aus Düsseldorf durch. Mit seinen Anknüpfungspunkten an die Bauhaustradition und den „International Style“ van der Rohes und seinen Anleihen bei Le Corbusier spiegelt er den modernen, utopisch-optimistischen Zeitgeist der 60er und frühen 70er wieder.
Als erste Gebäude konnten nach nur 18 Monaten (!) Bauzeit am 30. Juni 1965 die Institutsgebäude IA und IB, damals auch als „Allzweckkollegienhäuser“ bezeichnet, zwei Wohnheime und eine provisorische Mensa (Kapazität: 6000 Essen am Tag) übergeben werden. Die Gebäude erreichten bei neun Geschossen zwischen 4,55 Metern (unten) und 3,55 (weiter oben) eine Größe von 22,50 Metern Breite und 112,50 Metern Länge. Östlich der I-Reihe im Bereich der Lennershofstraße wurde zuvor mit 40-Meter-Baracken eine „Planungsstadt“ errichtet. Dort arbeiteten Ende 1964 250 Architekten und Ingenieure und wiesen 800 Bauhandwerker von 40 Firmen an. (tht)