Bochum. Nora Hansel erkrankte an einem seltenen Gehirntumor. Die Profisportlerin musste ihr Leben ab 2003 völlig neu ordnen. Sie arbeitete sich in ein normales Leben zurück und eroberte sich ihren eigenen Platz im Leistungssport. Im August fliegt die Bochumerin zur Paratriathlon-WM nach Edmonton.

Der Abend neigt sich über den Westpark. Nora Hansel setzt an, läuft los. Ihr ganzer Körper zieht mit, nur den rechten Arm und das rechte Bein bewegt sie zögerlich, ein wenig wie in Zeitlupe. Die 28-Jährige trainiert für die Paratriathlon-Weltmeisterschaft am 26. August in Edmonton, Kanada. Endlich ist sie zurück im Leistungssport, auch wenn sie in Jugendjahren eine andere Karriere vor Augen hatte – eben ohne Handicap.

Mit neun Jahren beginnt das Mädchen aus der Oberlausitz mit Ski-Langlauf und merkt schnell, wo ihre Stärken liegen. „Als ich Uschi Disl gesehen habe, habe ich mich entschieden, Biathlon zu machen“, berichtet sie. Die damals 13-Jährige feiert schnell Erfolge. Sie wird mehrfache Landesmeisterin, Vizemeisterin und belegt bei ihrem ersten internationalen Einsatz bei den europäischen Jugendspielen im slowenischen Bled Platz 17 und 22. Ihr Ziel ist es, Profisportlerin zu werden und an den Olympischen Spielen in Vancouver teilzunehmen.

Auf einen Schlag ganz neue Ziele

Doch die Kraft, ihre großen Zielen zu verfolgen, kann Nora Hansel einige Jahre später nicht mehr aufbringen. Aus zunächst unerklärlichen Gründen lassen die sportlichen Leistungen der mittlerweile 18-Jährigen ab 2003 stetig nach. „Beim Lauftraining war ich auf einen Kilometer eine Minute langsamer. Ich hatte totale Angst, aus der Mannschaft zu fliegen“, erinnert sie sich. Im Laufe des Jahres erkrankt sie immer wieder an Infektionen, leidet unter Schwindelattacken und Sehstörungen, ihr Blick vertauscht unten und oben. Dann zieht Nora Hansel sich selbst aus dem Vereinssport zurück und will eine Pause einlegen, bis nach dem Abitur.

Andauernde Arztbesuche bringen erst im Frühjahr 2004 Klarheit. Die Diagnose lautet: ein Tumor im Kleinhirn, der sich nach der Biopsie als Astrozytom entpuppt. Es macht den Anschein, dass das Geschwür in den Maßen drei mal zwei mal einen Zentimeter in das Großhirn wachsen würde. Eine schnellstmögliche Operation ist unumgänglich, der Verlauf sonst irgendwann vermutlich tödlich. „Ich habe versucht, das rational zu sehen, wie eine schlechte Stelle im Apfel, die man einfach nur rausschneiden muss“, schildert Hansel. Nach der Operation im St. Getrauden-Krankenhaus in Berlin ist nichts mehr wie zuvor: In zweimal zehn Wochen Rehabilitation arbeitet sich die junge Frau in ein normales Leben zurück. Es vergehen knapp drei Monate, bis Nora Hansel wieder sitzen, laufen und sprechen kann. „Ich hatte auf einen Schlag ganz neue Ziele, die nichts mit dem Leistungssport gemeinsam hatten“, sagt sie. Nora Hansel leidet bis heute unter anderem an einer unvollständigen Lähmung der rechten Körperhälfte.

Den Sport zurückerobert

Trotzdem macht sie ihr Abitur und schließt 2012 ihr Masterstudium in Sozialwissenschaften in Bochum ab. Parallel nähert sie sich dem Sport an, fährt Rennrad, feiert Erfolge im Paracycling und wird 2014 Europameisterin im Paratriathlon. Bei der WM in Kanada tritt sie als einzige deutsche Frau an und steht auf der Weltrangliste aktuell auf Platz zwei. Nora Hansel hat sich den Sport zurückerobert, doch sie weiß auch um den Wert, überhaupt laufen zu können: „Ich bin längst nicht mehr so verbissen wie früher“, sagt sie.