Essen. Sie stand kurz davor eine erfolgreiche Biathletin zu werden, dann zerstörte ein Gehirntumor ihren Traum. Über das Fahrradfahren begann Nora Hansels zweite sportliche Karriere. Nun steht der vorläufige Höhepunkt kurz bevor: Ende August startet sie bei der Para-Triathlon-WM in Kanada.
Egal wie sehr sie die Faust auch ballte, das Taschentuch lag unversehrt auf der flachen Hand. Keine sechs Tage zuvor wurde bei Nora Hansel ein gefährlicher Tumor im Kleinhirn diagnostiziert. Das Leben der Biathletin – einer sehr guten sogar, stand sie doch mit Magdalena Neuner und Katrin Lang auf dem Sprung von der Sport-Eliteschule in den Nationalkader – hatte sich von einen auf den anderen Tag verändert. „Nach der Operation hatte ich viele Bewegungen einfach vergessen“, erinnert sich die 28-Jährige.
Ihr rechter Arm: unbeweglich; das Bein: ebenso; auch die Rumpfmuskeln gehorchten ihr nicht mehr. Zehn Jahre ist das jetzt her. „Ich habe den Ärzten nicht geglaubt, als sie sagten, dass es so bleiben wird.“ Als sie am 22. Juli 2014 beim Zieleinlauf der Europameisterschaft im Para-Triathlon ihre Arme in die Höhe reckte, hatte sie gewonnen. Auch gegen die Ärzte, die meinten, sie solle doch zufrieden sein, wieder gehen zu können. Das reichte ihr nicht: „Ich wollte mein Leben zurück“, gab sich Hansel kämpferisch.
Acht Jahre Leistungssport
Leicht war es nicht. Sport, zuvor das Lebenselixier, tat ihr schon beim Zusehen weh. „Ich musste das Abi auf einer anderen Schule machen, weil ich an meiner die anderen Leistungssportler gesehen hätte. Das war nicht zu ertragen.“ Nach der langwierigen Reha zog die gebürtige Sächsin über Vechta ins Ruhrgebiet.
Andere Dinge wurden wichtiger: „Ich hatte ja bereits acht Jahre Leistungssport hinter mir. Ich habe ein normales Leben nachgelebt und andere Probleme gehabt. Wie kann ich wieder Autofahren?“ Das konnte sie schon wieder, als sie 2009 nach Bochum kam, um ihren Master zu machen.
Bis zu 20 Stunden Training in der Woche
Und mehr noch. Sie kaufte sich ein Rennrad, ließ es umbauen, sodass es mit der linken Hand gesteuert werden konnte. Ihr Traum: Einmal die Transalp-Tour absolvieren. Doch erst stand Kurven-Fahren auf dem Trainingsprogramm. Mit Erfolg. 2010 Europa-, 2012 schon der Weltcup. Disziplin war da noch das Paracycling. „Doch das Fahrrad war für mich immer nur ein Hilfsmittel. Ich wollte wieder zu Fuß über die Ziellinie laufen“
Da kam der Para-Triathlon: „Ich bin nach der Reha schon geschwommen und gelaufen, das war gut für das Körpergefühl.“ So startete sie in Willich über die Kurzdistanz – und gewann. Meldete sich bei den Deutschen Meisterschaften an – und gewann. Fuhr zur Europameisterschaft nach Kitzbühel: und kam wieder als Siegerin durchs Ziel. Zum zweiten Mal in ihrem Leben glaubte sie nicht, was da über sie gesprochen wurde. Diesmal war es positiv.
Das soll es auch Ende August bei der WM in Kanada werden. Die Kundenberaterin im Essener Arbeitsamt bereitet sich akribisch auf den großen Tag vor. Bis zu 20 Stunden Training in der Woche stehen auf dem Programm. „Verlieren ist Kopfsache, gewinnen aber auch“, sagt Hansel über sich und hat bereits ein weiteres Ziel: 2016 ist der Para-Triathlon zum ersten Mal olympisch.