Bochum. . Am Bochumer Universitätsklinikum Bergmannsheil ist das europaweit erste Zentrum für Neurorobotales Bewegungstraining mit HAL-Systemen eröffnet worden. Diese japanischen Roboteranzüge sollen in der Therapie von Querschnittsgelähmten eingesetzt werden. Erste Erfolge machen Betroffenen Hoffnung.

Die Freundin, sagt Philippe von Gliszynski (35) strahlend, sei froh, dass er wieder den Abwasch machen könne. Ihm selbst ist vermutlich anderes wichtiger: Die Tatsache etwa, dass er wieder stehen und laufen kann. Ohne Hilfe, allein am Rollator, „150 Meter weit!". Denn Phillippe von Gliszynski ist querschnittsgelähmt; seit er im Dezember 2010 beim Schnee-Räumen vom Dach eines Reitstalls in die Tiefe stürzte, sitzt er mit gebrochenem 12. Brustwirbel im Rollstuhl.

Und galt als „austherapiert“, bis Prof. Thomas Schildhauer, ärztlicher Direktor der Bochumer Uniklinik Bergmannsheil, den 35-jährigen Architekten aus Essen als ersten Probanden für das neue ZNB gewann: das europaweit erste „Zentrum für Neurorobotales Bewegungstraining mit HAL-Systemen“. Gestern wurde es feierlich eröffnet.

Hier wird mit dem Cyborg-Type-Roboter gearbeitet. Er wird wie eine Rüstung angelegt und unterstützt die Bewegungen von Gliedmaßen. Gesteuert wird das Gerät über Nervenstimulation der Haut; der Patient selbst bestimmt den Bewegungsablauf. Die Technik soll helfen, den Bewegungsapparat gehbehinderter Menschen zu trainieren. (Foto : Matthias Graben)
Hier wird mit dem Cyborg-Type-Roboter gearbeitet. Er wird wie eine Rüstung angelegt und unterstützt die Bewegungen von Gliedmaßen. Gesteuert wird das Gerät über Nervenstimulation der Haut; der Patient selbst bestimmt den Bewegungsablauf. Die Technik soll helfen, den Bewegungsapparat gehbehinderter Menschen zu trainieren. (Foto : Matthias Graben)

HAL steht für „Hybrid Assistive Limb“, kommt aus Japan, steckt voller revolutionärer Technik und sieht aus wie ein futuristisches, menschliches Außengerippe; der Patient legt es an wie eine Rüstung. Einfach erklärt, greift das Robotersystem Nervenimpulse ab und setzt sie um in Bewegung. Was Gelähmte, Amputierte, Parkinson-Kranke oder Schlaganfall-Patienten fitter und mobiler machen soll.

Medizinstandort NRW

In verschiedenen Ländern werden ähnliche „Exo-Skelette“ inzwischen hergestellt, in Japan sind 300 HAL-Anzüge bereits im (Pflege-)Einsatz. Klinische Studien über Einsatzmöglichkeiten und Erfolge in der Therapie aber gibt es nicht. Im Bochumer ZNB sollen sie gemacht werden. Wobei man sich hier auf Paraplegiker (Querschnittsgelähmte) konzentrieren will. Fünf Anzüge sind vorhanden, zehn sollen es werden.

Ausschlaggebend für die Entscheidung der Japaner für Bochum sei der Ruf der Stadt als Zentrum für Gesundheit und Gesundheitswirtschaft gewesen, erklärt NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin bei der Eröffnung des ZNBs gestern früh. Und für die Zukunft des Medizinstandorts NRW wiederum sei die Ansiedlung „von großer Bedeutung“.

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Prof. Yoshiyuki Sankai, HAL-Erfinder und Geschäftsführer der Herstellerfirma Cyberdyne Inc., der für das Ereignis eigens aus Japan anreiste, verbeugt sich an dieser Stelle der Ministerrede (wie so oft) bescheiden. Und beginnt seine – mit einem Foto der Pressemeute. Schließlich sei dies „ein sehr wichtiger Moment“. Seit 20 Jahren arbeitet der mehrfach prämierte Wissenschaftler an HAL. Und die Filme, die er von seiner Arbeit zeigt, beeindrucken: In nur fünf Stunden (!) brachte das HAL-Training einen 50-Jährigen, der als Baby an Kinderlähmung erkrankt war, wieder ans Laufen; sogar einen hochbetagten Parkinson-Patienten, seit Jahren Pflegefall, wieder auf die Beine. Und denkbar, so Sankai, sei viel mehr: Sein Vortrag endet mit zwei Bildern, von Homo und HAL sapiens...

Prof. Schildhauer gibt sich vorsichtiger; er will keine falschen Hoffnungen wecken. HAL sei nicht für jeden Patienten geeignet, sagt er, für solche mit starken Spastiken oder einem kompletten Querschnitt sicher nicht. HAL sei zudem ein Trainingsgerät, kein ständiger Begleiter. Doch auch er ist begeistert von ersten Therapieerfolgen in Bochum, spricht von „dramatischen Verbesserungen“ und „deutlich gesteigerter Mobilität der gelähmten Patienten“.

Geschirr im Oberschrank der Küche

Brigitte Vogel (54), eine weitere ZNB-Probandin der ersten Stunde, hat es am eigenen Leibe erlebt. Bei einem Radfahr-Unfall wurde ihre Wirbelsäule verletzt, im März begann die Rollstuhlfahrerin aus Münster mit der HAL-Therapie. Heute kann sie den netten Nachbarn mit den blöden Stufen vor dem Haus wieder allein besuchen. Oder Geschirr aus dem Oberschrank holen. Und zur Therapie kommt sie nicht mehr im Taxi, sondern mit dem eigenen Auto. Allerdings nicht mehr so oft: Zeitnot. Die Bankkauffrau geht wieder arbeiten.