Bochum. Das Bergmannsheil in Bochum setzt auf Mobilität. So schnell wie möglich werden auch schwerbehinderte Patienten zu Sport und Bewegung animiert – oft mit Erfolg.

Die Katastrophe geschah bei der Arbeit. Ulrich Hinnenthal hantierte an der Drehbank, als sein linker Arm in die Maschine geriet und oberhalb des Handgelenks abgetrennt wurde. Gerade mal vier Wochen ist das her. Dass der 45-jährige Schlosser dennoch Optimismus und Lebensfreude ausstrahlt, liegt an der Liebe seiner Frau und seiner elfjährigen Zwillinge – und an der Sporttherapie im Bergmannsheil.

Patienten gerade nach furchtbaren Unfällen und schweren Erkrankungen möglichst zügig wieder in Bewegung zu bringen: Das ist das Ziel, das in einem Unfallkrankenhaus wie dem Bergmannsheil mit besonderer Vehemenz verfolgt wird. Die Voraussetzungen erscheinen ideal: 60 Physio- und Ergotherapeuten, Sportlehrer und Masseure sind im klinikeigenen Rehabilitationszentrum beschäftigt. Auf 5500 qm gleicht die Reha einem XXL-Fitnesscenter. Trainingsgeräte für vielfältige Krankheitsbilder, Sporthalle, Schwimmbad: Kein Wunder, dass hier auch spätere Behinderten-Spitzensportler ihre ersten Gehversuche machten. Zwei aktuelle Goldgewinner der Paralympics in London zählen dazu: der oberschenkelamputierte Sprinter Heinrich Popow ebenso wie das querschnittsgelähmte Tischtennis-Ass Holger Nikelis.

Fünf Minuten Sitzen können ein großartiger Anfang sein

Ganz so weit wollen und werden es die meisten Patienten nicht bringen, die auf den drei Reha-Etagen emsig trainieren. „Schnell an die Bettkante bringen“ nennt Leiterin Birthe Hucke das Bemühen, körperlich und seelisch aufzustehen, Lethargie und Leiden ein Stück weit hinter sich zu lassen, davon beseelt zu sein, alsbald wieder mobil zu werden. Fünf Minuten Sitzen sind da schon ein großartiger Anfang. „Die Patienten“, berichtet Birthe Hucke, „machen in aller Regel mit. Sie wissen: Je früher man mit Sport und Reha beginnt, desto größer der Erfolg.“

Irene Neuhaus-Innig steht der Schweiß auf der Stirn. Im Mai hat sie sich an einer Glasscheibe eine schwere Verletzung am linken Bein zugezogen. Die Nervenstränge sind geschädigt. Anfangs konnte sie ihr Fußgelenk nicht beugen und strecken. Dank der Isokinetik-Therapie macht sie gute Fortschritte. Die 45-Jährige tritt mit mechanischer Unterstützung kräftig in die Pedalen. „Zusammen mit Schwimmen und Krankengymnastik rechne ich mit einer weiteren Besserung“, verheißt Sportlehrerin Petra Ostheide.

Schnelle Mobilmachung

Während Irene Neuhaus-Innig zu jeder Therapiestunde anreist, erfolgen 80 Prozent aller Reha-Behandlungen bei stationären Patienten – im Bergmannsheil besonders häufig bei Rückenmarkverletzten, die durchschnittlich drei Monate in der Klinik bleiben. Oft sind es Verkehrs- und Arbeitsunfälle, die aus kerngesunden Menschen binnen Sekunden Querschnittsgelähmte machen. So wie beim schüchternen Jakob Gerding (17) aus dem Münsterland, der im Juli im Auto seiner Eltern verunglückte. So wie beim Kraftprotz Michael Keil (47) aus dem Hochsauerland, dem bei einem Arbeitsunfall im Juli ein Stahlträger vom Kran auf den Rücken krachte.

Beide sitzen im Rollstuhl. Beide sind beim Rolli-Training in der Sporthalle emsig dabei, Kurven zu üben oder mit Holzgestellen nachempfundene Bordsteinkanten zu meistern. Die Mobilmachung beginnt schon wenige Tage nach der Intensivstation. Dabei geht es nicht nur darum, später den Alltag technisch zu bewältigen. Das regelmäßige Training stärkt immer auch die Muskulatur, spornt zu neuen Leistungen an, zeigt die Perspektive auf, dass auch ein Leben im Rollstuhl lebenswert und erfüllend sein kann.

Ulrich Hinnenthal hat die Lektion gelernt. Zwar staunt er noch immer, dass ihm sein abgetrennter linker Arm schwerer vorkommt als der rechte. Die 90-minütigen Fitness- und Gelenkübungen, die er täglich mit Therapeutin Silvia Müller absolviert, bewältigt er gleichwohl mit Bravour und Fleiß. Nicht mehr lange, dann wird ihm eine Prothese angepasst. Klar, dass er dann wieder als Schlosser arbeiten will.