Bochum. Die Hattinger Straße ist die größte und längste in der ganzen Stadt. Tag und Nacht herrscht dort Betrieb. Im Teil 6 der WAZ-Serie „Bochums Straßen“ wird dieser acht Kilometer lange Verkehrsweg vorgestellt. Er verläuft von der Innenstadt bis nach Linden und Hattingen.

Die Hattinger Straße ist in Bochum der Verkehrsweg der Superlative: Mit ihrer Länge, ihrer Vielfältigkeit, ihrer Geschäftigkeit Tag und Nacht und ihrer verkehrsstrategischen Wichtigkeit übertrifft sie selbst solche Groß-Straßen wie die Herner, Dorstener, Castroper und Wittener. Wie ein riesiger Lindwurm zieht sich die Hattinger Straße von der neo-romanischen Meinolphus-Kirche (1) am Schauspielhaus bis zum Gewerbegebiet Nordpol in Linden hin, wo der Hattinger Ortsteil Winz-Baak beginnt. Dort berühren die jeweiligen Hausnummern fast die 1000er-Grenze.

An der Hattinger Straße werden die Bürgersteige niemals hochgeklappt; so stark ist der Fuß- und Kraftverkehr. Wer etwa morgens von Linden mit dem Auto in die Innenstadt fahren will, verbraucht fast so viel Brems- und Kupplungsbeläge und Nerven wie in einem Stau auf einem Alpenpass. Ständig pendeln die Straßenbahnen der Linien 308 und 318 hin und her. Wenn sie anhalten, hält zwangsläufig auch der Individualverkehr an.

Teilweise hat die Hattinger Straße Allee-Charakter, wie hier in Weitmar.
Teilweise hat die Hattinger Straße Allee-Charakter, wie hier in Weitmar. © WAZ FotoPool / Ingo Otto

Beachtlicher Branchenmix

Auf acht Kilometern Länge durchschneidet und berührt die Straße außer der Innenstadt gleich drei Stadtteile: Ehrenfeld, Weitmar und Linden. Sie bringt die Menschen zu so wichtigen Punkten wie dem landesweit bekannten Bergmannsheil (2), dem Oviedoring, dem Weitmarer Holz, der Groß-Kreuzung Wuppertaler Straße/ Munscheider Damm und schließlich in die Nähe zur Ruhr.

Unterwegs mischen sich die Stilarten der Architektur ebenso kunterbunt wie die Angebote der Einzelhändler, die enorm zahlreich vertreten sind. Das Sortiment reicht vom Bioladen und Angler-Shop über zahlreiche Autohändler, einen Polsterer und einen Bestatter bis hin zum Sportgeschäft. Sogar eine Rettungswache der Feuerwehr und eine Polizeistation sind an dieser mächtigen Verkehrsader angesiedelt. Und auch so große Unternehmen wie der Busbetrieb und die Buswerkstatt der Bogestra gehören zu den Anrainern.

Vier Steinsäulen vor dem Eingang zum Schlosspark Weitmar.
Vier Steinsäulen vor dem Eingang zum Schlosspark Weitmar. © Ingo Otto / WAZ FotoPool

„Ich kaufe gerne hier ein, weil es fast alles gibt“, sagt Sarah Wrobel in Weitmar-Mitte. Dort, gegenüber der Franziskusstraße, hat sich dieser beachtliche Branchenmix in einem Nebenzentrum (3) noch einmal verdichtet: Ärzte, Supermarkt, Drogeriemarkt, Bäckerei, Café, Sparkasse und und und - alles ist auf nur wenigen Metern erreichbar. „Ich arbeite gleichzeitig auch hier, es ist für mich sehr praktisch“, sagt Sarah Wrobel.

Kurz hinter Weitmar-Mitte nimmt die Hattinger Straße den Charakter einer Allee (4) an. Hinter den Bäumen stehen mächtige Villen, die von aktuellem und früherem Wohlstand zeugen. In diesen Anwesen sind aber keineswegs mehr ausschließlich Privatleute untergebracht, sondern auch Unternehmen. Von Wohlstand künden auch die Grünflächen des Schlossparks (5) mit seinem historischen, unter Denkmalschutz stehenden Gebäude gleich am Eingang.

Der Platz vor der Liebfrauenkirche in Linden.
Der Platz vor der Liebfrauenkirche in Linden. © Ingo Otto / WAZ FotoPool

Kritik an Entwicklung in Linden

Doch an diesem Haus kann man sehen, dass die Hattinger Straße an vielen Fällen auch eine gewisse Verwitterung erlebt. Damit sind nicht die vielen Schmierereien von Sprüh-Chaoten gemeint, die wehrlose Wände beschmutzen. Nicht wenige Fassaden verfallen offenbar nur aus Mangel an Pflege, Geld und - vielleicht - persönlichem Interesse. Hinzu kommt eine wachsende Trivialisierung in der Geschäftswelt.

Die Lindenerin Elke Mertens zum Beispiel beklagt, dass es in ihrem Ortsteil („Ich bin hier geboren“) mittlerweile viel zu viele Friseure und Imbissbuden gebe, dafür aber immer weniger traditionelle Geschäfte und Gaststätten. „Früher gab es hier mal schöne Cafés und Eisdielen. Hier hat mal die Prominenz gewohnt.“ Als sie dies sagt, sitzt sie zusammen mit einem Bekannten vor einem der verbliebenen Cafés in Linden-Mitte (6) und schaut dem geschäftigen Treiben direkt vor ihr zu. Sie wirkt enttäuscht von der Entwicklung an der Hattinger Straße, aber gemütlich gemacht hat sie es sich dort trotzdem.

Sarah Wrobel arbeitet im Einkaufszentrum in Weitmar an der Hattinger Straße.
Sarah Wrobel arbeitet im Einkaufszentrum in Weitmar an der Hattinger Straße. © WAZ FotoPool / Ingo Otto

In Linden knickt die Hattinger Straße stadtauswärts scharf nach links ab. Der Namensgeber der Riesenstraße, Hattingen, ist nicht mehr weit. Von dort kommt tagtäglich eine eigene Welle neuer Menschen nach Bochum-Mitte. Wenn’s schnell gehen soll, sollten sie das Auto abstellen und die 308 nehmen.