Bochum. . Dr. Jost Benfer zog vor knapp 30 Jahren in die Hollandstraße auf der Stadtgrenze von Wattenscheidund Gelsenkirchen. Er hat den Wandel der ehemaligen Kohle-Region an der Ruhr selbst miterlebt. Das „Herz der Hollandstraße“ ist für ihn der Olympiastützpunkt Westfalen.
Am Anfang scheint die Hollandstraße ihre besten Jahre bereits hinter sich zu haben. Nur einen Steinwurf entfernt steht noch symbolträchtig der alte Förderturm von Hollandschacht IV. Er rostet seit einer gefühlten Ewigkeit vor sich hin. Als dort noch Kumpel einfuhren, wohnten nicht wenige von ihnen in der Straße. Wer nach Hause wollte, musste am Holland-Eck (siehe Karte 1) vorbei, und kam es oft nicht. Doch im Laufe der Zeit wurde aus dem Holland-Eck ein Kiosk, inzwischen herrscht gähnende Leere in dem (Laden-)Lokal. Relikte vergangener Tage, in Wattenscheid, auf der Stadtgrenze zu Gelsenkirchen, gehören sie irgendwie alle zusammen.
Dreimal am Tag unterwegs
Dr. Jost Benfer zog vor knapp 30 Jahren in die Hollandstraße und hat den Wandel miterlebt. „Ich glaube, hier gegenüber wohnt noch eine Bergmannswitwe aus der alten Belegschaft. Sonst von denen niemand mehr“, sagt er und blickt quasi aus dem Fenster auf eine Häuserreihe, wie sie in den 1950er Jahren überall im Revier entstanden sind. Nur ließ sich mit dem Gold der Erde über Tage irgendwann keine Kohle mehr machen, der Bergmann starb ebenso aus wie die Zechensiedlung. In die Wohnungen kamen aber neue Gesichter, die Häuserreihe ist vor fünf Jahren erst saniert worden. Während Benfer durch die Hollandstraße geht, sieht er kaum Leerstand. Dreimal am Tag ist er mit seinem Schäferhund unterwegs. Der 72-Jährige kennt Mensch und Stein in seinem Sprengel. Vor allem über die Kindertagesstätte (2) freut er sich. „Unsere Gärten grenzen aneinander. Wenn ich draußen arbeite, kommen die Kinder an den Zaun und fragen, was ich mache. Das ist ein absolut belebendes Element.“
Daten und Fakten
Statistik. An der Hollandstraße sind 277 Personen gemeldet, davon 132 weibliche. Die Straße gehört gehört zum Ortsteil Leithe im Stadtbezirk Wattenscheid. Die Hollandstraße ist knapp 500 m lang und hat 95 Hausnummern.
Gewerbe. Elf Gewerbe sind hier gemeldet: von der Pflege von Haustieren über Einzelhandel mit Textilien, der Vermittlung von Versicherungen bis zu verschiedenen Handwerksbetrieben.
Siedlung. Zur Siedlungskomplex der Hollandstraße zählen die Bereiche Hochweide, Hochacker und Langes Hof, die als kleinere Stichstraße von der Hollandstraße abzweigen und deren Namen auf die vor-industrielle Zeit in diesem Teil von Leithe/Wattenscheid zurückgehen.
ÖPNV. Die Hollandstraße wird nicht durch öffentliche Verkehrsmitteln bedient, allerdings befindet sich die Bogestra-Linie 302 in der Nähe (Haltestellen Watermannsweg oder Lohrheidestraße), auch die Buslinie 365 verkehrt dort (Haltestelle Lohrheidestraße).
Internat. Das Sportinternat Klaus-Steilmann-Haus an der Hollandstraße bietet talentierten Nachwuchssportlern die Möglichkeit Schule und Sport in Einklang zu bringen. Es ist nach dem Wattenscheider Unternehmer Klaus Steilmann (1929-2009) benannt.
Denn allgemein kennt und schätzt die Nachbarschaft Behaglichkeit. „Das ist wohl das, was man ruhiges Wohnen nennt“, spitzt sogar Benfer die Zunge. Die Unternehmen vor Ort sind an einer Hand abzuzählen, der Motorradclub hat sich inzwischen – nach Anlaufschwierigkeiten – dem üblichen, gewünschten Lärmpegel angepasst. „Wegen der Lage abseits, aber unweit der Hauptstraße, sind wir dennoch schnell in der Wattenscheider Innenstadt. Das ist praktisch.“
Wer dem pensionierten Juristen auf seiner täglichen Route folgt, erblickt direkt hinter dem Motorradclub und dem Falkenheim „Mini-Klecks“ zahlreiche Häuser und Doppelhaushälften von jüngeren Familien. Doch wer, so meint Benfer, „das Herz der Hollandstraße“ entdecken will, muss noch ein paar Meter weiter gehen: zum
Olympiastützpunkt Westfalen (3). Die Sportler wohnen dort im Teilzeitinternat. So belebt ein „ständiges Kommen und Gehen“ das Viertel. „Leider scheint aber auch das Rasen ein Privileg der Sportler zu sein“, wie er immer wieder feststellen muss.
Auf Gelsenkirchener Seite
Er würde jetzt eigentlich unter dem Bahndamm der – natürlich – still gelegten Trasse der ehemaligen Zeche hergehen (4), seinem Hund freien Lauf lassen und die Landschaft, die Natur genießen. Dann stünde er bereits auf der Gelsenkirchener Seite der Hollandstraße – was Nicht-Ortskundigen kaum auffällt: die Häuser sind einfach weiter durchgängig nummeriert. Dieses Mal macht der Spaziergänger aber eine Ausnahme, nimmt den letzten Knick der Straße mit und blickt plötzlich auf die „neue“ Tribüne des Lohrheidestadions. Früher, als Schalke kam und der nächstgelegene Weg für die königsblauen Gästefans an seinem Haus vorbeiführte, habe er manchmal ein wenig gebangt um sein Hab und Gut. „Auch diese Zeiten sind aber längst vorbei. Im Grunde haben wir diese Tribüne für den Fußball ja nie mehr so richtig gebrauchen können.“ Was er meint: Als der Bau 1992 eröffnet wurde, hatte die SG Wattenscheid 09 ihre besten Jahre fast schon wieder hinter sich.
Die Hollandstraße liegt an der Stadtgrenze zu Gelsenkirchen
Die Wohn- und Anliegerstraße „Hollandstraße“ entlehnt ihren Namen dem bedeutendsten Steinkohlebergwerk der ehemals selbstständigen Stadt Wattenscheid. Holländische Kapitalgeber hatten 1855 die Bergbau-A.G. Holland gegründet, um die Grubenfelder in den Gemeinden Ückendorf und Wattenscheid zu erschließen. Schacht I in Ückendorf wurde 1856 abgeteuft und war bis 1963 in Betrieb, Schacht II folgte im selben Jahr; er wurde 1958 aufgelassen.
Die Doppelanlage mit den beiden Malakofftürmen wird heute für Wohnungen und Büros und von der Gastronomie „Wunderbar“ genutzt Die Wattenscheider Schächte III, IV, V und VI wurden 1873, 1898, 1907 und 1921 niedergebracht. Die höchste Förderung auf Holland wurde 1969 mit 1,7 Mio Jahrestonnen bei einer Belegschaft von 3000 Beschäftigten erreicht. 1974 erfolgte der Verbund mit der Zeche Zollverein, Ende 1983 deren Stilllegung. Damit ging nach 128 Jahren die Bergbau-Kapitel auch in Wattenscheid zu Ende. Der denkmalgeschützte Komplex der Lohnhalle wurde im Rahmen der IBA-Emscher-Park renoviert und zum Technologiezentrum ausgebaut.
Die Hollandstraße