Bochum. Investiert Opel zum Ausbau seines Warenverteilzentrums in Werk III, müssten Altlasten saniert werden. Der Weg nach nebenan zu Werk II ist länger. Aber: Zumindest das Fundament der Hallen dort ließe sich nutzen, saniert werden müsste nichts. Noch hat sich der Autobauer zu den Plänen nicht erklärt.

Zwei Stadtteilen hat der lange Zeit größte Arbeitgeber Bochums seinen Stempel aufgedrückt: Laer und Langendreer. Wenn Opel Ende 2014 geht, wird alles, was bleibt, nur noch eines von einst drei Werken sein: Werk III, das Warenverteilzentrum. Hier werden Pakete geschnürt für ganz Europa und darüber hinaus. Überall dorthin, wo die englische Schwestermarke Vauxhall oder Opel auf dem Globus gefahren wird, gehen die Lieferungen mit den Ersatzteilen aus Bochum hin. 3000 Händler allein in Europa werden bedient. Wie funktioniert dieses An- und Ausliefern von schier unvorstellbaren Mengen Material? Ein Werksbesuch.

Was auffällt beim Betreten des Geländes, das momentan nur über die Zufahrt zu Werk II unter der B 235 hindurch erreicht werden kann, ist eine ausladende Zeltreihe. Sie hat Opel vor Jahren aufgestellt, nachdem die Hallen längst nicht mehr ausreichten, um den Umschlag von Ersatzteilen zu bewältigen. 45.000 qm groß ist allein dieses „Dauerprovisorium“. Es ist in die Jahre gekommen, muss über kurz oder lang ersetzt werden und gehört zu der Fläche, auf der der Autobauer seine angekündigte Erweiterung um 100.000 qm mit einem Investitionsvolumen von 60 Millionen Euro realisieren könnte, unter anderem sollen so gemietete Hallen in Bochum oder Herne überflüssig werden. „Die Planungen laufen auf Hochtouren“, sagt Opel-Sprecher Alexander Bazio. Es gebe verschiedene Szenarien. Entschieden sei noch nichts. Eine Antwort ist laut einer Verwaltungsvorlage der Stadt für Mitte 2014 in Aussicht gestellt. Wie berichtet will sich das Unternehmen eine Entscheidung aber sogar bis Ende des Jahres vorbehalten.

Kosten und Effektivität

Dass Opel auch erwägt, drüben in Werk II zu erweitern, was der gemeinsam mit der Stadt gegründeten Entwicklungsgesellschaft nicht gut täte, weil so weiter Zeit verstriche sowie ein Teil vermarktbarer Fläche und womöglich die Option auf neue Arbeitsplätze verloren ginge, ist kein Geheimnis. Aber momentan sieht es sogar so aus, als sollte Opel diese Variante bevorzugen.

Bedeuten würde das zwar weitere Wege für den Warenumschlag, ein Malus in der Logistikbranche. Die Investition auf der zweiten Fläche scheint aber Sinn zu machen, weil dort schon Fundamente liegen, auf denen gebaut werden könnte und weil unter besagten Zelten auf Werk III Altlasten der ehemaligen Zeche Bruchstraße liegen. Also Sanierungsgebiet. Was kostet mehr, was weniger? Was ist effektiver, was weniger effektiv? Das gehört zu Opels Planungskalkül, womöglich sogar ein Umzug von Werk III nach II.

Platz genug wäre eigentlich in „Werk III“, um mehr Logistik anzusiedeln. Das Verwaltungsgebäude ist zumindest in dieser Größe ebenso verzichtbar wie die vielen Parkplätze, die aus der Zeit stammen, als hier auch der Vertrieb angesiedelt war. Viel Land liegt brach neben den Zelten (45000 qm) und den Hallen (100.000 qm) auf dem insgesamt 500.000 qm großen Areal.

Wer den schlanken Backsteinbau der Verwaltung durchquert, betritt das Lager. Es ist Herzstück des Warenverteilzentrums, das Opel 2006 ausgelagert und im Rahmen eines Joint Venture zunächst an den US-Konzern Caterpillar übertragen hat. Dessen Nachfolger Neovia Logistic Systems hat noch einen Vertrag bis Anfang 2016, den er fortsetzen will. Ob Opel dies auch möchte oder aber die Logistik wieder unter eigener Regie betreibt, ist offen.

Tausende Artikel auf Lager

Das Lagerprinzip ist denkbar einfach: anliefern, stapeln, ausliefern. Die Herausforderung liegt in der zu bewältigende Menge: Täglich fahren 150 Lkw rein und raus. Im östlichen Bereich kommen an den zehn Anlieferungstoren Teile von Zulieferern aus der ganzen Welt an und werden manuell oder automatisch auf Lagerplätze verteilt. Westlich wird nach dem gleichen Muster an insgesamt 30 Toren ausgeliefert.

Dazwischen liegt das Stückgut. Entweder in zwei Hochregallagern oder in dem zentral gelegenen Lagerbereich, in dem die meisten Beschäftigten der momentan 430 Leute starken Neovia-Belegschaft, 95 Prozent davon im operativen Bereich, tätig sind. Sie sorgen gemeinsam mit den Verpackern und der Planung dafür, dass der Strom von Schrauben, Relais, Kotflügeln, Getrieben, Zündkerzen und Tausenden anderer Komponenten nie versiegt. Karton auf, reingreifen, rausnehmen, Karton zu.

Auto-HerstellerBeim Schichtwechsel um 14 Uhr herrscht beinahe absolute Stille in der großen Halle – die Frühschicht geht raus, die Spätschicht rückt an. „Mahlzeit“ tönt es hier oder da. Die Blicke sind neugierig. Hinter ihnen scheint die Frage zu stehen: Sind die gekommen, weil einer unserer Kollegen vor einigen Tagen tödlich verunglückt ist? Von gedrückter Stimmung berichtet Alexander Bazio. Zumal die Belegschaft immer an den schrecklichen Vorfall erinnert wird.

Eine Chance für 265 Opelaner

Am Ein- und Ausgang der Halle wird auf einer Tafel der Sicherheitsstatus dokumentiert. 31 Kästchen für 31 Tage im März. Zwölf sind grün unterlegt, der 4. rot gekennzeichnet. Es ist der Tag des Unfalls. Beim Blick darauf scheint die Stille noch ein bisschen tiefer zu sein als sie es ohnehin ist.

Wirklich laut ist es auch unter Vollbetrieb in dem Hallenkomplex nicht; schon gar nicht im Vergleich zum Autowerk, wo Pressen, Roboter und andere Maschinen für eine stetige Geräuschkulisse sorgen. Zu hören ist nur das Surren der Flurförderfahrzeuge, mit denen die Greifer, so lautet der Fachjargon für diejenigen, die die Bestellung abarbeiten, Sendungen zusammenstellen. Die Greifer gehen von Regal zu Regal und laden ein, was angefordert wird. Den Rest erledigt die Versandabteilung.

Wie überdimensionierte Schuhkartons sehen die Kisten aus, die in den Regalen gestapelt sind und deren Streifencodes verraten, was in ihnen steckt. 72,5 m lang ist eine Regalgasse, vier Meter breit und 8,3 m hoch. Gasse reiht sich an Gasse, Regal an Regal, Karton an Karton. Sie alle sind vollgestopft mit Abertausenden Einzelteilen. Bis zu zehn Jahre nach dem Auslaufen eines Modells hält Opel noch Ersatzteile vor. Weil ein einziges Modell durchschnittlich 3000 Teile hat, die Modellzahl immer größer und deren Ausstattung immer variantenreicher wird, muss mächtig viel untergebracht werden in so einem Warenverteilzentrum.

Für 265 von mehr als 3000 Opelanern ist es die Chance, zu wechseln, wenn Werk I dicht macht. Die Logistik-Belegschaft wird auf 700 aufgestockt. So viel wird bleiben von Opel Bochum, wo einst 20.000 Menschen Arbeit fanden.