Bochum. „Sie sind wahre Goldstücke.“ Dr. Christian Möcklinghoff bringt den vier Damen mit den gelben Westen höchste Wertschätzung entgegen. Entlohnt werden die neuen Servicekräfte im Europahaus indes nicht. „So viel Wärme und Herzblut“, begründet der Chirurg, „kann man doch gar nicht einkaufen.“

Das Ehrenamt ist unverzichtbar. Ohne die Zehntausenden freiwilligen Helferinnen und Helfer in den heimischen Vereinen, Wohlfahrtsverbänden oder Kirchengemeinden würde unser Gemeinwesen zusammenbrechen. Die jüngst in Bochum eingeführte Ehrenamtskarte soll das Engagement würdigen und mit Vergünstigungen und Rabatten belohnen (die WAZ berichtete).

Doch: Wird die Bereitschaft, für Gotteslohn zu arbeiten, mitunter ausgenutzt? „Bei uns keinesfalls“, weist Dr. Möcklinghoff die Kritik u.a. der Gewerkschaft Verdi am Lotsendienst im Ärztehaus zurück.

„Ehrenamtler sind besser geeignet“

Im Juli hatten vier Ehrenamtlerinnen ihren Dienst am Kurt-Schumacher-Platz angetreten. Das Facharztzentrum beherbergt auf 15 Etagen 13 (Gemeinschafts-)praxen mit 30 Ärzten und 120 Mitarbeitern. Die Lotsinnen haben die Aufgabe, die jährlich über 100.000 Patienten am Nadelöhr vor den Aufzügen in Empfang zu nehmen, zu beraten, zu betreuen und auf Wunsch in die Praxis zu begleiten. Besonderes Augenmerk legen sie auf ältere und behinderte Patienten; für Rollstuhlfahrer bedienen sie einen Lifter.

„Unser Modellprojekt, ,Grüne Damen’ nicht nur im Krankenhaus, sondern erstmals auch in einem Ärztehaus einzusetzen, hat sich hervorragend bewährt. Viele Patienten sind dankbar“, betont Dr. Möck-linghoff als Sprecher der Ärztegemeinschaft. Sehr wohl habe man anfangs überlegt, den Lotsendienst mit bezahlten Mitarbeitern, etwa 450-Euro-Kräften, einzurichten. „Doch Ehrenamtler sind für diese Aufgabe besser geeignet. Eine derartige Hilfs- und Einsatzbereitschaft sogar nach Ende der Arbeitszeit würden man sonst kaum finden.“

Per Umlage statteten die Ärzte einen eigenen Raum für die Lotsinnen aus, beschafften Handys und Westen. Nur die Fahrtkosten werden erstattet. Für die vier Rentnerinnen kein Problem. „Wir machen das, weil es Sinn macht, und nicht für Geld“, sagt Bärbel Wigge (72), die früher als Grüne Dame im Augusta-Krankenhaus aktiv war. „Der Dank der Patienten ist Lohn genug“, bekräftigen Renate Böck (62), die auch beim DRK hilft, und Iris Wilski (67). Ausgenutzt fühlen sie sich nicht. „Es ist doch unsere eigene Entscheidung. Und mit der können wir vielen Menschen helfen.“

Verdi kritisiert Einsatz der Ehrenamtler

Werden Ehrenamtler ausgenutzt? Matthias Schröder, Mitarbeiter im Büro von OB Ottilie Scholz, verweist auf die Vertragsfreiheit. „Wenn Menschen unentgeltlich etwas Sinnvolles machen wollen, ist ihnen das ebenso wenig vorzuwerfen wie der Einrichtung, die diese Menschen beschäftigt.“ Eindeutig sei: „Das Ärztehaus ist ein kommerzieller Betrieb. Doch das sind Krankenhäuser längst auch, ohne dass der Einsatz etwa der Grünen Damen und Herren infrage gestellt wird.“ Schröder: „Auch Wohlfahrtsverbände könnten mehr Mitarbeiter einstellen. Wichtig ist doch, dass das soziale Netzwerk funktioniert. Wir als Stadt freuen uns über alle Menschen, die Gutes tun wollen.“

Auch Verdi-Geschäftsführerin Gudrun Müller würdigt grundsätzlich das ehrenamtliche Engagement. „Ist es am Gemeinwohl orientiert, ist es immer zu begrüßen.“ Kritik indes übt sie am Einsatz der Ehrenamtler im Europahaus. „Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Hier werden eindeutig kommerzielle Interessen verfolgt. Die Ärztegemeinschaft könnte für den Lotsendienst problemlos bezahlte Jobs schaffen. Der Service für die Patienten scheint ja notwendig zu sein.“

Welche Meinung haben Sie? Haben Sie selbst positive oder negative Erfahrungen mit dem Ehrenamt gemacht? Wo verläuft die Grenze zwischen Gemeinwohl und Eigennutz? Schreiben Sie an die WAZ-Redaktion, Huestraße 25 in 44787 Bochum, E-Mail: redaktion.bochum@waz.de