Bochum. . Das Hochzeitskleid hat sie für ihre Tochter genäht, damals, 1995. Präzise beschreibt die 86-Jährige den Studenten, wie sie den Traum in Weiß in mühsamer Heimarbeit an der Nähmaschine gefertigt hat. Andere Erinnerungen sind weg, einfach fort. Das Brautkleid ist geblieben – und schmückt eine bewegende Ausstellung im Kunstmuseum.
„Immer der erste Moment – Demenz und Kunst“, lautet der Titel eines Gemeinschaftsprojektes, das es so noch nie gab. Auslöser: die Evangelische Fachhochschule (EFH), wo die Geißel Demenz seit Jahren in Forschung und Lehre verankert ist. Zweiter Partner: die Alzheimer-Hilfe des DRK, wo Erkrankte (allein in Bochum über 6000) und ihre Angehörigen fachlichen Rat und herzliche Unterstützung finden. Dritter im Bunde: das Kunstmuseum, das schon mehrfach bewiesen hat, offen für neue Darstellungsformen zu sein.
Spannende Hausbesuche
Vor einem Jahr machten sich EFH-Studenten des Fachbereichs Soziale Arbeit ans Werk. Die DRK-Alzheimerhilfe vermittelte den Kontakt zu sieben Bochumer Senioren mit Demenz. Die ersten Treffen fanden in den Rot-Kreuz-Räumen statt. Zum Jahreswechsel besuchten die angehenden Sozialarbeiter die Senioren und deren Familien daheim. „Die haben sich riesig gefreut. Es waren spannende Begegnungen“, erzählt EFH-Student Henning Bruns von bis zu vierstündigen Gesprächen voller Emotionen und Empathie „Erstaunlich“, sagt der junge Mann, „welches Potenzial trotz der Erkrankung noch vorhanden ist.“
Das Staunen ging weiter, als die Studenten und Demenzkranken im Januar gemeinsam die Ausstellung zum 50-jährigen Bestehen des Kunstvereins besichtigten. „Wir hatten ein wenig Bammel“, schildert Kerstin Kuklinski vom Kunstmuseum. „Aber die Patienten zeigten lebhaftes Interesse. Einige der Kunstwerke weckten sogar Bezüge zu ihrer Lebensgeschichte.“
Bilder voller Kreativität und Lebensfreude
Noch vor Ort fertigten die Alzheimer-Kranken eigene Zeichnungen an: Bilder voller Kreativität und Lebensfreude. Mitsamt einer Auswahl von 50 Fotos, die die Studenten bei den Hausbesuchen geschossen hatten, sowie Texten und Objekten sind sie Bestandteil der Ausstellung. Namen und Gesichter sind nicht zu sehen. Sehr wohl aber Hände, die die Geschichten von Menschen erzählen, deren geistige Fähigkeiten schwinden, deren Stolz aber ungebrochen ist.
Das Hochzeitskleid mag ein Symbol sein. Nein, heute würde die 86-Jährige das nicht mehr schaffen. „Aber die alte Dame“, verrät Henning Bruns, „näht noch immer.“
Die Ausstellung „Immer der erste Moment“ wird am morgigen Sonntag, 10. März, um 15 Uhr im Kunstmuseum an der Kortumstraße 147 eröffnet.
30 Studenten der Evangelischen Fachhochschule waren an dem Pilotprojekt beteiligt.
Die Fotos, Zeichnungen und Gegenstände sind bis zum 31. März im Museum zu sehen.