Bochum. Mit Nachdruck weisen die vier städtischen Alten- und Pflegeheime Vorwürfe zurück, Bewohner regelmäßig ans Bett zu fesseln. „Bei uns wird niemand weggesperrt!“, betont Wolfgang Sendt, Geschäftsführer der Senioreneinrichtungen Bochum (SBO).
Ein Satz wie ein Fallbeil: „In deutschen Pflegeheimen leiden mehr Menschen unter Freiheitsentzug als in deutschen Gefängnissen“, erklärt die Deutsche Hospiz-Stiftung. Zu häufig würden freiheitsentziehende Maßnahmen durchgeführt, bemängelt auch der Deutsche Ethikrat in einer Stellungnahme zum 3. Pflege-Qualitätsbericht, den der Medizinische Dienst des Bundes der Krankenkassen (MDS) jetzt vorgelegt hat.
„Es wird der Eindruck erweckt, dass Hunderttausende Senioren unter Fesselungen leiden. Eine fatale Behauptung, die falsch ist, aber viele Menschen verängstigen und verschrecken wird, die vor dem schwierigen Schritt ins Altenheim stehen“, sagt Wolfgang Sendt, der für die städtischen Senioreneinrichtungen an der Bayernstraße, Grabelohstraße, Graf-Adolf-Straße und am Glockengarten spricht.
Ein Bettgitter gilt als Fixierung
Hier will Eva Kruse-Kopizinski vor Wut fast platzen. Seit 26 Jahren arbeitet sie im Haus am Glockengarten. „In all den Jahren habe ich nur einmal einen Beckengurt benötigt. Es war damals die einzige Möglichkeit: Der Mann war stark suizidgefährdet“, berichtet die Leiterin der Demenz-Wohngruppe. Ansonsten genieße die Selbstbestimmung auch und gerade der altersverwirrten Bewohner Priorität.
Wie die Zahlen der Krankenkassen zustande kommen? „Jedes Bettgitter gilt formell als Fixierung, was in der Öffentlichkeit oft mit Fesselung gleichgesetzt wird. So entsteht eine Statistik, die mehr verfälscht als Fakten liefert“, erklärt Sendt. Wahr sei: Nahezu alle Bettgitter werden mit Einverständnis, ja auf ausdrücklichen Wunsch der Bewohner und deren Angehörigen hochgeklappt. „Das Gitter dient der Sicherheit, dem Schutz vor Stürzen. Die Kritiker machen daraus eine Freiheitsberaubung. Das ist unfair“, zürnt Sabine Böhnke-Egbaria vom Sozialen Dienst am Glockengarten. „Niemals habe ich eine Klage über eine erzwungene Fixierung oder gar Fesselung gehört“, bestätigt Dr. Margarethe Streitlein-Habekost, die sich als Ärztin im Ruhestand seit zehn Jahren im Heimbeirat engagiert.
Zu viel Bürokratie
Derweil verweist Einrichtungsleiter Theo Elbers auf die neuen Gitter, mit denen alle 240 Betten ausgerüstet werden. Vier einzelne Gitter können am Kopf- und Fuß-ende hochgeklappt werden. Die Mitte bleibt frei. „Folge: Die Bewohner liegen sicher, können aber dennoch jederzeit das Bett verlassen“, erklärt Theo Elbers.
Altenheim zieht um
Missstände im Altenheim? Die gibt es sehr wohl, heißt es nicht nur am Glockengarten. Es ist die überbordende Bürokratie, die den Mitarbeitern Zeit und Elan raubt. „Jede Tätigkeit, jeder Handgriff muss schriftlich dokumentiert werden. Das ist vielfach richtig und wichtig, etwa bei der Sturzprophylaxe, oft aber auch überflüssig, etwa bei Inkontinenz-Dokus“, berichtet Eva Kruse-Kopizinski. Ein Großteil der Arbeitszeit gehe für „Schriftkram“ drauf: wertvolle Stunden, die für die Pflege und menschliche Zuwendung der Bewohner fehlen.
Wolfgang Sendt hofft, dass die Medienberichte über die angeblich katastrophalen Zustände in Altenheimen niemanden abschrecken. „Es ist schön, als alter Mensch so lange wie möglich daheim bleiben zu können. Aber viele Senioren sind in einer Pflegeeinrichtung besser aufgehoben. Hier können sie in der Gemeinschaft Dinge tun und genießen, die sie zu Hause nicht mehr machen konnten.“