Bochum. Altenhilfe vor interkultureller Herausforderung: Werden Muslime, Juden und Christen zukünftig unter einem Dach leben?
50 Jahre ist es her, dass mit dem deutsch-türkischen Anwerbe-Abkommen die ersten Migranten nach Bochum kamen. Wer damals 25 Jahre jung war, ist heute 75 Jahre alt. Da immer mehr Zugewanderte sich dafür entscheiden, ihren Ruhestand in Deutschland zu verbringen, steht die Altenhilfe jetzt vor der Aufgabe, die Betreuung in den Senioren- und Pflegeheime, aber auch in den ambulanten Pflegediensten kultursensibler zu gestalten. Diese Entwicklung ist eine große Herausforderung – birgt aber auch einiges an Konfliktpotenzial.
Muslimische Pflegedienste
Rund drei Prozent aller Menschen ab 60 Jahren, so die von der Stadt errechnete Quote, landet in einem Pflege- oder Altenheim. In Bochum leben derzeit rund 7000 Zuwanderer, die älter als 69 Jahre alt sind – Tendenz steigend. Die Mehrzahl der Pflegebedürftigen greift auf einen ambulanten Pflegedienst zurück. Pflegedienste, deren Pfleger selbst Muslime sind und vor allem Muslime betreuen, gibt es bereits. Eigene Pflegeheime für Muslime, wie sie in Berlin zu finden sind, wird es aufgrund der niedrigen Zahlen in Bochum aber vorerst wohl nicht geben. Denn: „Der Pflegemarkt richtet sich allein nach der Nachfrage. Ein eigenes Heim für Muslime würde sich nicht rechnen“, erklärt Eilert Winterboer von der Altenhilfe beim Sozialamt Bochum.
Da die Nachfahren der ersten Generation von Migranten heute aber oft nicht mehr in der Lage seien, sich selbst um ihre Eltern zu kümmern, würden zukünftig mehr interkulturelle Heime entstehen - und darauf müssten sich Bewohner und Betreiber einrichten. „Gerade im Alter ist es vielen Menschen wichtig, ihre Religion und Kultur auszuüben“, gibt Nurhan Dogruer-Rütten, Leiterin des Integrationsbüros Bochum, zu bedenken. „Und wenn Migranten dement werden, verlieren sie oft zuerst die zweite, antrainierte Sprache, also Deutsch“, sagt sie.
Mehr pflegebedürftige Muslime
Die Altenhilfe, so Dogruer-Rütten, müsse deswegen kultursensibler werden und es müssten mehr Migranten den Weg in diesen Berufszweig finden. Kultursensible Themen stehen bereits jetzt bei einigen Ausbildern im Stundenplan. Derzeit wird etwa in den Augusta-Kliniken in 30 Stunden kompakt alles beigebracht, was die Pflegenden über Christentum, Islam und Judentum wissen sollten. Dabei hat bislang jedoch nur jeder 15. Auszubildende nicht-deutsche Wurzeln.
Zukünftig könnte sich diese Quote als zu gering herausstellen. Ob der steigende Anteil von Muslimen in Altenheimen zu Spannungen führen wird, bleibt abzuwarten. Klar ist, dass man sich in einem Heim mit durchschnittlich 80 Betten weitaus weniger aus dem Weg gehen kann als im realen Leben. Winterboers Einschätzung nach wird das Zusammenleben nur dann funktionieren, wenn beide Seiten, die deutschen Senioren ebenso wie die Migranten, toleranter werden. „Andernfalls muss man eine Trennung der unterschiedlichen Gruppen vielleicht auch zulassen, um allen Bedürfnissen zu entsprechen“, sagt er.
Um die Bedürfnisse alternder Migranten besser einschätzen zu können, plant die Stadt, mit diesen zukünftig mehr in den Dialog zu treten. Momentan, so Winterboer, seien Migranten in den Seniorenbegegnungsstätten kaum vertreten.