Bochum. Wo lässt sich die Nacht besser zum Tag machen, welches der großen Ausgeh-Viertel im Ruhrgebiet ist szeniger, lebendiger authentischer? In unserem großen Vergleich stellen wir die Rüttenscheider Straße alias “Rü“ in Essen und das Bermudadreieck in Bochum einander gegenüber. Hier: Das Bermudadreieck.
An der Spitze der Ausgehmeile Bermudadreieck thront das Bochumer Schauspielhaus: Die altehrwürdige, über die Grenzen des Ruhrgebiets hinaus bekannte Dame unter den Theatern, deren bronzefarbene Toreschon seit fast einem Jahrhundert dem Publikum nach jeder Vorstellung den Weg ins wogende Leben der Innenstadt weisen. Jährlich machen sich mittlerweile über drei Millionen Besucher (unter anderem) von dort aus auf den Weg in die Ungewissheit. Über 80 gastronomische Betriebe locken sirenengleich in das teuflische Dreieck und lassen den Verlauf des Tages für die Besucher völlig offen. Ob gemütlicher Brunch, exquisites Diner oder handfeste Kneipentour bis in die frühen Morgenstunden. Genusstechnisch
scheint hier alles möglich.
Doch kurz bevor das berüchtigte Bermudadreieck seinen vielsagenden Namen bekam, herrschte noch rauerer Seegang rund um den Engelbertbrunnen auf dem Konrad-Adenauer-Platz. Höchstens 500 Meter vom Schauspielhaus entfernt lungerten Punks Dosenbier trinkend in der unwirtlichen Betonwüste herum und sorgten für die Portion Verruchtheit, die dem Image des Verlustierviertels immer noch leicht anhaftet. Nach anfänglicher Irritation erkannten die ersten Gastronomen die magnetische Wirkung des Platzes auf Jugendliche und machten sie sich mit den ersten Kneipeneröffnungen zu Nutze.
Die Urgestein-Schenken Mandragora, das Café Sachs und der Intershop setzten Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre den ersten großen Stein für Subkultur und Andersartigkeit. Die obere, in den Konrad-Adenauer-Platz mündende Kortumstraße zog jetzt nicht mehr nur noch Punks an, sondern auch linke Intellektuelle, Vespa fahrende Mods oder Fönfrisur tragende Popper. Die sinn- und individualitätstiftenden Verkleidungen der Besucher wurden von den dazu passenden Inneneinrichtungen der zahlreichen Bars und Kneipen aufgegriffen und musikalisch bedient. Der damalige Zeitgeist und der theatrale Einfluss des Schauspielhauses tat in den folgenden Jahren sein übriges für die überbordende Stilvielfalt. Das Bermudadreieck war geboren.
Den Engelbertbrunnen gibt es mittlerweile schon länger nicht mehr und die anliegenden Betontreppen sind einer Flut von Biergärten gewichen, die im Ruhrgebiet absolut konkurrenzlos ist. 4200 Freisitzplätze auf knapp zwei Quadratkilometern sind einfach schwer zu schlagen. Dieses Menschengewirr gepaart mit der entsprechenden Klangkulisse erinnert gerade an Sommer-Wochenenden an Großstädte wie Hamburg oder Berlin und lässt unvorbereitete Besucher von Außerhalb immer noch sprachlos zurück.
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"Mandagora" hält im Bermudadreieck immer noch die Stellung
Die Keimzellen von damals gibt es allerdings immer noch: Das Mandragora hält im bunten Treiben als Crêperie und Musikrestaurant mit angeschlossenem Biergarten im Herzen des Dreiecks die Stellung. Dieser Fels in der Brandung ist immer eine Stippvisite wert, um einen Hauch der alten Tage zuatmen, eine leckere Crêpe zu probieren und von dort aus die „Kleine Reeperbahn“ zu erkunden.
Dreimaster trotzen der steifen Brise Schräg gegenüber auf der Kortumstraße liegt auch schon der Freibeuter; einer der gastronomischen Neuzugänge der letzten Zeit. Der Name der Kneipe spielt nicht nur auf das Bermudadreieck im westlichen Atlantik an, sondern auch auf die subkulturelle Entstehungsgeschichte der Innenstadt. Hier trifft sich die junge Szene und schlürft frisch importiertes Astra-Bier zu hipper Independent-Musik, während gemalte Dreimaster an den Wänden steifen Brisen trotzen. Regelmäßig veranstaltete Poetryslams bescheren dem Freibeuter zusätzlich munteres und interessiertes Stammpublikum, das für frische und kommunikative Atmosphäre auf kleinstem Raum sorgt.
Charmantes Programmkino
Wem das zu viel Bier und zu wenig Kultur sein sollte, muss einfach nur die Straßenseite wechseln. In der Nähe der Edel-Lounge Angel's und irgendwo zwischen den in letzter Zeit wie Pilze aus dem Boden sprießenden Eventgastronomien mit Flachbildfernsehern, wie dem Three Sixty oder der Hooters Sportsbar, ist das Namenschild des Casablancas zu finden. Dahinter verbirgt sich ein kleines, charmantes Programmkino, das die Besucher in den beiden Sälen mit europäischen Filmen und freundlichem Personal verwöhnt.
Schickes Foyer mit Überbleibseln der 50er und 60er Jahre
Das Foyer hat Schick und setzt sich aus stilvollen Überbleibseln der 50er und 60er Jahre zusammen und lädt zum Wohlfühlen und Entspannen ein. Was hier nicht läuft, ist im Partnerkino Metropolis im Hauptbahnhof zu sehen. Ein kuscheliger Saal beherbergt dort den auf Zelluloid gebannten Stoff, aus dem die Träume sind. Wer's lieber amerikanisch mag, sollte allerdings besser ins Union Kino gehen, um sich dort die aktuellsten Blockbuster mit ordentlich Popcorn um die Ohren hauen zu lassen.
MagazinWo? Natürlich schräg gegenüber vom Casablanca und ohne den heute üblichen Multiplex-Firlefanz. Da Genuss auch immer Auslegungssache ist, muss jetzt dringend Zwischenstopp beim Bratwursthaus eingelegt werden. Unter den Bochumer Ureinwohnern ist diese Pommesbude im Schrebergartenstil besser unter dem Namen „Dönninghaus“ bekannt und absoluter Kult. Wer hier noch keine Currywurst gegessen hat, versteht nichts vom Ruhrpott. Die Legende besagt, dass das Bochumer Urgestein Herbert Grönemeyer nach dem Verzehr einer solchen, in Naturdarm gepressten, in Scheiben geschnittenen und mit scharfer Currysauce garnierten Dönninghäuser Bratwurst seinen gleichnamigen Evergreen komponiert hat. Man schmeckt's!
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Indisch essen auf im "Taj Mahal"
Mit Curry wird allerdings nicht nur im Schnellimbiss gewürzt, sondern auch im Taj Mahal, dem indischen Restaurant auf der anderen Straßenseite. In der ersten Etage verbirgt sich eine Ruhe und Exotik verströmende Gastronomie, die sich dezent und unaufdringlich präsentiert. Das lässt Platz für die Selbstverständlichkeit, mit der traditionelle Speisen auf gehobenem Niveau serviert werden und den Gast den Trubel der Außenwelt vergessen lassen. Sollte der Gaumen sich aber eher nach mexikanischen Schmankerln sehnen, sei das Salsa empfohlen, das sich nur ein paar Schritte weiter an der Ecke Kerkwege befindet. In gepflegtem Ambiente kann sich hier die TexMex-Karte zur Brust genommen und im Sommer, vom Biergarten aus, das geschäftige Treiben auf der Kortumstraße beobachtet werden.
MagazinVon hier aus ist übrigens ebenfalls der Blick auf das Café Konkret frei. Dort genießen meist szenige Intellektuelle die große Auswahl an Zeitungen und die nüchterne Innenausstattung. Bei einem guten Glas Rotwein oder einem gepressten Espresso lässt sich dort angeregt diskutieren und palavern. Aber bekanntlich ist ja Reden Silber und Tanzen Gold. Oder so ähnlich. In der Cocktailbar Havanna um die Ecke wird nämlich regelmäßig getanzt. Nebenbei werden in dem rassigen Etablissement sehr gute Cocktails und kubanische Zigarren kredenzt. Ein guter Grund also, dem Havanna mal einen Besuch abzustatten und die dort vorherrschende Lebensfreude zu genießen.
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Das Treiben im Bermudadreieck beruhigt sich
Doch der Spaziergang muss weitergehen: Auf dem Weg in Richtung Hauptbahnhof beruhigt sich das Treiben etwas. Für große Biergärten ist die Brüderstraße nämlich einfach zu schmal und wir passieren einige Schnellimbisse. Darunter auch das Rock'n'Rösti. Hier gibt’s für den kleinen Hunger zwischendurch Burger und ähnliches. Das alles unter den entrückten Augen Kurt Cobains, der auf einem Poster in die Ferne blickt. Auch mich zieht es wieder in die Ferne beziehungsweise nur ein paar Fußschritte weiter. Dort wartet nämlich das Café Zacher auf frühstückswütige Gäste. Und tatsächlich bleibt hier kein Wunsch unerfüllt: Ein riesiges Sortiment an Kaffee- und Teespezialitäten möchte ausprobiert werden. Dazu gibt es eine feine Frühstücksauswahl, frische Salate und geschmackvoll angerichtete Appetizer. Wechselnde Kunstausstellungen und stilvolles Interieur runden das alternative Gesamtbild ab.
Buchhandel und Edelboutique
Zwischen den zahlreichen Bars, Cafés und Kneipen hat sich in der Brüderstraße dann auch mehr Einzelhandel angesiedelt. In der Traditionsbuchhaltung Janssen ist alles über die verschiedenen Intendanten des Schauspielhauses zu finden, nebenan kann sich der Bochumer von Welt einen modernen Haarschnitt verpassen lassen, während sich die Gemahlin in einer Edelboutique neu einkleidet. Allerdings ist das eher die Ausnahme im Bermudadreieck und wirkt im Gegensatz zu anderen Städten etwas verloren. Die Gastronomie dominiert das Viertel eindeutig und ist zu heterogen für gehobenes Einkaufen. Die über Jahre ansteigenden Mietpreise machen es nicht nur für den Einzelhandel schwer, Fuß zu fassen. Nicht umsonst eröffnen immer mehr Restaurant-Ketten in der Innenstadt und verdrängen exotischere oder alteingesessene Lokale, die dem Viertel mehr Farbe gegeben haben. Doch je weiter der Konrad-Adenauer- Platz hinter einem liegt, desto farbenprächtiger werden die Besuchsziele. In der Luisenstraße hinter dem Südring sind einige Schätze vergraben, die mehr als einen Besuch wert sind.
Den Anfang macht das Caffè Zentral, in dem es stilvoll und im besten Sinne italophil zugeht. Das luftig eingerichtete Restaurant besticht durch schlichte Eleganz, hohe Decken und freundliches Personal. Die Küche bewegt sich auf hohem Niveau und wird durch wechselnde Tagesangebote ergänzt. Ein kleines Juwel am äußeren Zipfel des Dreiecks. Ein kleines Stück weiter in derselben Straße: Bochum weiß immer noch zu überraschen! In einem Hinterhof Berliner Couleur verbirgt sich das griechische Restaurant Avli. Allein der liebevoll gestaltete Zugang zieht Blicke auf sich und vermittelt mediterranes Feeling, ohne dabei kitschig zu werden. Sehr sympathisch. Danach findet man sich in einem wunderschönen Innenhof mit Biergarten wieder, der wild bepflanzt und bunt bemalt Fernweh aufkommen lässt. Aber laut Freddy Quinn soll der Seemann ja das Träumen lassen und trotz der ausgezeichneten Fischkarte weitersegeln.
Und auch das lohnt sich in diesem Fall, denn am Ende der Luisenstraße lauert eines der besten Restaurants des Ruhrgebiets; der Livingroom. Auf 450 Quadratmetern präsentiert sich die Cuisine Creole eindrucksvoll in einem Hybriden zwischen Cocktailbar, Lounge und Restaurant. Die Einrichtung ist modern und zeitlos zugleich. Das riesige Loft verströmt internationales Flair und entspannte Exklusivität. Keine Frage, dass bei der üppigen Auswahl an Weinen, Drinks und Zigarren etwas tiefer in die Tasche gegriffen werden muss. Zurück auf dem Südring geht es links ab zur Viktoriastraße. Die ist viel befahren und deshalb im Sommer nicht für Biergärten geeignet.
Ideal für einen letzten Drink - das "Café Konkret"
Den Anfang macht die Pizzeria Gallo, die klassisch italienisch daher kommt und frischen Fisch und regelmäßig wechselnde Sonderkarten im Angebot hat. Gefolgt von ein paar Einkaufsmöglichkeiten treffen wir auf eine weitere, alteingesessene Szene-Kneipe, den Intershop, der sich auf gleicher Höhe wie das Café Konkret befindet. Im Inneren der Schenke dominieren dunkle Töne, 80er-Jahre-Neonlicht und Musik der etwas härteren Gangart. Ideal für den letzten Drink, wenn alles andere schon längst geschlossen hat. Aber nebenan ist noch alles geöffnet.
MagazinDas Café Sachs ist ähnlich alt wie der Intershop, hat sich allerdings vergrößert und sich einer angemessenen Verjüngungskur unterzogen. Der Café-Bereich ist hell und luftig und wurde mit Marmortischen und Wildlederbänken garniert. Auch hier stehen allerlei Café-Spezialitäten auf der Karte, die – wie in den meisten Lokalen im Bermudadreieck – durch eine überschaubare Auswahl an Snacks und Frühstück angereichert wird. Das Herzstück bildet eine 30 Meter lange Theke, an der sich abends das Nachtleben einläuten lässt. Unterstützend stehen DJs und Liveacts auf dem Programm, die mit Black Music und House zum Tanz bitten. Da der Großteil der Locations zweigleisig Tages- und Nachtprogramme anbieten, verlaufen die Grenzen im Bermudadreieck fließend. Was morgens noch ein Café war, wird abends schnell zur Kneipe, zur Lounge oder zum Club. Das Sachs ist dafür ein sehr gutes Beispiel, aber sicherlich keine Ausnahme.
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Bermudadreick - Weiterfeiern in den Discos
Auch das Tucholsky gehört zu dieser Kategorie. Der große Unterschied stellt allerdings die sehr geschmackvolle Art Deco- Einrichtung und das, wie der Name schon vermuten lässt, intellektuell angehauchte Publikum dar. Auch hier gibt es reichhaltiges Frühstück; auch hier steht abends warme Küche auf dem Programm. Eine weitere Besonderheit: das dem Tucholsky angeschlossene Art Hotel, in dem sich hin und wieder sogar Prominenz aus der Musik- und Kulturszene treffen lässt. Über den Dächern der Stadt Ein paar Meter weiter erreichen wir auch schon wieder den Konrad-Adenauer-Platz, die große Cocktail-Bar Hemingway's und unseren Kneipen-Ausgangspunkt Mandragora.
Hier brummt wieder das volle Leben. Es ist schon spät geworden und ein paar Cliquen machen sich auf, um die wenigen reinen Discos und Clubs zu besuchen und weiterzufeiern. Ganz in der Nähe des Schauspielhauses liegt die Bermudahalle „Riff “, in der Musik für alle Geschmäcker angeboten wird. Die Traditionsdisco ist aus dem Dreieck nicht mehr wegzudenken und lockt des Weiteren mit Live-Musik und Theateraufführungen.
Ein Club über den Dächern der Stadt
Das Primetime in der Brüderstraße spricht eher House orientiertes und junges Publikum an. Doch der aufsehenerregendste Club Bochums ist das Apartment 45. Es erstreckt sich über drei Etagen eines sechsstöckigen Hochhauses und liegt hoch über den Dächern der Stadt. In einer ehemaligen Penthouse-Wohnung am Rande des Viertels wurde ein Club aus den Angeln gehoben, der seinesgleichen sucht. Stilelemente aus den 70er-/80er Jahren und dem Barock vermitteln einen gemütlichen und modernen Gesamteindruck. Neben Loungebereichen und großen Tanzflächen krönt eine einladend ausgeleuchtete Dachterasse die Location.
MagazinEin perfekter Ort also, um den Abend ausklingen zu lassen. Mit dem Blick auf das in der Ferne leuchtende Schauspielhaus wird klar, dass das Bermudadreieck im Umbruch ist. Hier soll die Bochumer Philharmonie und Frank Goosens Kleinkunsttheater ein eindrucksvolles Zuhause finden, während am Konrad-Adenauer-Platz ein riesiges Parkhaus entstehen soll, das mit seiner Neonreklamen-Fassade an den Piccadilly Circus gemahnt.Bleibt zu hoffen, dass Alt und Neu eine reizvolle und charmante Fusion eingehen und Sie bei Ihrem Besuch in Bochum nicht im teuflischen Dreieck verloren gehen.