Bochum.

„Wenn Sie mich fragen: Der Chef muss seinen Hut nehmen.“ Seit Jahrzehnten wohnt Manfred Brüning in der Nähe der Krümmede. Täglich macht der Spaziergänger am Fuße der hohen Gefängnismauern seine Runde. Niemals in all den Jahren habe er Furcht verspürt, sagt der 74-Jährige. Doch die jüngsten Ereignisse lassen den Rentner nicht kalt. „Bei mir geht’s noch. Aber meine Frau Roswitha bekommt es langsam mit der Angst zu tun.“

Montagmittag, Castroper Straße/Ecke Karl-Lange-Straße. Vor 27 Stunden ist ein 47-Jähriger aus der Vollzugsanstalt getürmt. In seiner Heimat Polen, so stellt sich im Tagesverlauf heraus, soll er den Tod eines Menschen zu verantworten haben. Es ist der zweite Ausbruch binnen Jahresfrist. Hinzu kommt der waghalsige Fluchtversuch eines Schwerverbrechers, der auf dem Dachboden der JVA endete.

Wie kann es sein, dass die vermeintlich sichere Krümmede neuerdings löchrig wie ein Schweizer Käse erscheint, fragen sich Anwohner im Gespräch mit der WAZ.

Manfred und Roswitha Brüning haben Sonntag die Rotoren des Polizeihubschraubers gehört und sofort gewusst: „Da ist wieder ein ausgebüxt!“ Dass der Pole durch ein Fenster entkam, dessen Einfassung jedem Heimwerker zur Schande gereicht, lässt die Eheleute ratlos zurück. „Der JVA-Leiter muss die Verantwortung übernehmen“, sagt Brüning.

Angst

Wer im Knast das Sagen hat, ist Janine Petschat herzlich egal. „Wichtig ist, dass alles für unsere Sicherheit getan wird“, verlangt die 26-jährige Anwohnerin, Mutter einer zweijährigen Tochter. „Na klar“ habe sie seit den aktuellen Schlagzeilen über die Krümmede-Ausbrecher Angst: „Besonders am Abend. Da gehe ich kaum noch auf die Straße.“ Ob sie die Fenster und Türen jetzt noch aufmerksamer schließt? „Nicht nötig. Das mache ich schon immer.“ Wie Jana Hamacher (17) fordert Janine Petschat, das Gefängnis auf sämtliche möglichen Schwachstellen zu überprüfen. „Darauf haben wir als Nachbarn einen Anspruch.“

„Das alles ist sehr merkwürdig. Den Insassen wird die Flucht offenbar sehr einfach gemacht – und das quasi mitten in der Stadt, wo viele Tausend Menschen leben und arbeiten“, staunt Manfred Bleck (62), der an der Tankstelle an der Castroper Straße, unmittelbar vor den Knastmauern, sein Auto volltankt. „Das muss genau untersucht und verbessert werden.“

Gesprächsthema

Auf der anderen Straßenseite, am Tresen der „Ritterburg“, sind die Knastausbrüche derweil Gesprächsthema Nummer 1. „Die Meinung ist eindeutig: Einige Herrschaften in der Krümmede machen offenbar nicht ihren Job. Wie, fragen sich hier viele, kommt ein Knacki zum Beispiel an ein Sägeblatt?“, berichtet der Wirt der Traditionsgaststätte, Martin Hartmann (43). Vor allem ältere Menschen „haben inzwischen regelrecht Schiss. Immerhin verbüßen in der Krümmede keine Eierdiebe, sondern Schwerverbrecher ihre Strafe.“ In Sorge seien einige Stammgäste über die möglichen Folgen einer Flucht: „Was passiert, wenn ein Ausbrecher in die Enge getrieben wird? Er könnte Geiseln nehmen.“ Die Ritterburg liegt weniger als hundert Meter vom Knast entfernt.

Diese Befürchtung mag Manfred Brüning nicht teilen. „Jeder Häftling, der aus einem Gefängnis entkommt, wird so schnell wie möglich so weit wie möglich fliehen. Heißt: Wir als unmittelbare Nachbarn sind am wenigsten gefährdet.“ Gattin Roswitha dürfte anderer Meinung sein.