Bochum. . Am Sonntag konnte ein 47-jähriger Mann fliehen - aufgrund von Baupfusch konnte er ganz einfach eine Panzerglaswand aushebeln. Es ist der dritte Häftling, der binnen eines Jahres türmen konnten.

Im Bochumer Gefängnis hat es am Sonntagmorgen erneut einen Ausbruchsversuch gegeben. Diesmal war er erfolgreich, zumindest bis zum jetzigen Zeitpunkt.

Wie die Polizei am späten Sonntagvormittag auf Anfrage mitteilte, habe es ein Strafgefangener geschafft, in den Bereich außerhalb der Gefängnismauern zu gelangen. Um 9.20 Uhr sei der Alarm eingegangen. Ein Polizeihubschrauber stieg auf und suchte den Häftling aus der Luft. Ohne Ergebnis brach er die Suche aber wieder ab.

Es ist frappierend, wie leicht es der Gefangene hatte, in die Freiheit zu gelangen. Wie die JVA mitteilte, war er morgens mit Reinigungsarbeiten im Besucherkontrollbereich direkt neben der Pforte im Erdgeschoss beschäftigt. Vollzugsbeamte waren zwar in der Nähe, hatten aber im entscheidenden Moment aus irgendeinem Grund keinen Blickkontakt. Die Freiheit lag direkt hinter einer 60 mal 80 Zentimeter großen , unvergitterten Panzerglasscheibe. Diese war aber nur durch Alu-Abdeckleisten in der Fensterlaibung befestigt. Offenbar ohne großen Aufwand konnte der Häftling das Panzerglas herausnehmen. Unbeschädigt legte er es auf den Boden und krabbelte offenbar wie bei einer leichten Gymnastikübung in die Freiheit. Eine Außenkamera war nicht auf ihn gerichtet. Das alles passierte in wenigen Minuten und ganz in der Nähe des VfL-Stadions.

Baupfusch Schuld an dem Ausbruchs-Desaster

„Unglaublich!“, ärgerte sich der Leiter der JVA, Friedhelm Ritter von Meißner, am Sonntag im Gespräch mit der WAZ. „Dazu fällt mir nichts mehr ein.“ Der Besucherbereich sei von außen und innen gesichert gewesen. „Das ist so sicher wie Fort Knox.“ Er sieht die Schuld an dem Desaster aber nicht bei den Vollzugsbeamten, sondern spricht von Baupfusch. Vor 25 Jahren sei der Pfortenbereich gebaut worden. Die Mängel an der Arretierung der Panzerscheibe seien „nicht sichtbar“ gewesen. „Kein Mensch hat ansatzweise daran gedacht, dass das nur Schabracke ist!“ Und weiter: „Wenn ich Panzerglas sehe, gehe ich davon aus, dass das gesichert ist.“

Von Meißner spricht von „Verquickungen unglücklicher Umstände“. Die JVA-Bediensteten sei nach den Zellenausbrüchen in der jüngsten Vergangenheit extra „so sensibel“ gewesen. Nach dem neuerlichen Vorfall seien sie „vom Glauben abgefallen“. Sie hätten schon Angst, ihm „unter die Augen zu treten“. Aber sie träfe keine Schuld.

Der Häftling saß seit Ende 2010 eine zweieinhalbjährige Haftstrafe wegen Diebstählen ab. Er hatte im Kreis Recklinghausen Drogerieartikel geklaut und war damals illegal aus seiner Heimat Polen eingereist. Endstrafe wäre Juni 2013 gewesen. Bereits im nächsten Monat sollte er vorzeitig nach Polen ausgeliefert werden. In der Haft, so von Meißner, sei er nicht negativ aufgefallen. „Ein harmloser Bursche."

Schwerverbrecher wurde nach mehreren Stunden unterm JVA-Dach gefunden - mit Handy

JVA-Leiter Friedhelm Ritter von Meißner, hier bei einer Presskonferenz am vergangenen Donnerstag. Foto: Olaf Ziegler / WAZ FotoPool
JVA-Leiter Friedhelm Ritter von Meißner, hier bei einer Presskonferenz am vergangenen Donnerstag. Foto: Olaf Ziegler / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool / Olaf Ziegler

Erst vor zwei Wochen war ein 50-jähriger Schwerverbrecher, der wegen Raubes mit Todesfolge und weiterer Überfälle eine lebenslange Haftstrafe verbüßt und schon rund 30 Jahre im Gefängnis sitzt, aus seiner Zelle im 4. Stock geflüchtet. Er sägte mit geschmuggelten Sägeblättern die Gitter durch. Danach kletterte er zwölf Meter über dem Abgrund auf lebensgefährliche Weise zur Dachrinne, hangelte sich an ihr hoch und gelangte aufs Spitzdach. Dort schob er Dachziegel hoch und verkroch sich im Dachboden. Von dort gelangte er offenbar auf ein Flachdach, kam aber nicht wie erhofft weiter. Einige Stunden später wurde er in einer versteckten Ecke des Dachbodens gefunden - mit Handy und funktionsfähigem Durchgangsschlüssel für Innentüren seines Hafthauses. Er galt aus sehr gefährlich. Die Herkunft der verbotenen Gegenstände konnte von der JVA bis heute nicht geklärt werden.

Diesmal soll der Entflohene nicht als gefährlich gelten, heißt es seitens der Polizei. Er sei ein „intensiver Kleinkrimineller“, saß wegen mehrerer Eigentumsdelikte.

Die JVA Bochum, mit 740 Gefangenen der drittgrößte geschlossene Knast in NRW nach Köln und Werl, hat mit dem neuen Zwischenfall bereits seinen dritten Häftling binnen eines Jahres verloren. Im Januar 2011 schaffte es ein Libanese, der wegen des Verdachtes eines schweren Raubes auf einen großen Supermarkt in Dortmund in U-Haft saß, auf artistisch-tollkühne Weise, von Dächern aus bis zu sechs Meter Höhe hinabzuspringen und so in die Freiheit zu gelangen. Er wird sich wohl in sein Heimatland abgesetzt haben, vermutet die Staatsanwaltschaft.

Polizei löste Fahndung aus

Im August 2011 konnte ein türkischer Häftling (35) bei einer so genannten Ausführung zu seiner Familie in Hattingen türmen. In einem unbeobachteten Moment verloren ihn zwei JVA-Beamten in der Wohnung der Familie aus den Augen. Auch er ist bis heute verschwunden.

Erst am vergangenen Donnerstag hatte die JVA-Leitung bei einer Jahrespressekonferenz betont, wie sicher die JVA sei. Nun aber gab es doch schon wieder einen Vorfall: "Wenn man eine Serie hat, dann hat man leider eine Serie", sagte JVA-Leiter von Meißner.

Die Polizei Bochum fahndet jetzt intensiv nach dem 47-jährigen Häftling. Hier eine Beschreibung: 1,80 bis 1,88 Meter, kräftige Statur, Brille, lichtes Haar (Haarkranz), grünes Trikot, lange schwarze Jogginghose, schwarze Sportschuhe, schwarze Kappe.