Bochum. . Studenten aus Bochum versuchen, sich von aussortierten Lebensmitteln zu ernähren. Dafür plündern sie Supermarktabfälle. Für die beiden Freunde sind die sonntäglichen Touren ein Versuch, den Kapitalismus als Überflussgesellschaft zu entlarven. Aber der Protestzug ist verboten.

Es ist kalt, aber nicht nur deshalb tragen Tobi und Jo dicke Handschuhe: Heute wird im Müll gewühlt. Wie an jedem Sonntagmorgen, wenn die Straßen noch menschenleer sind. Routiniert schwingt sich Tobi von der Laderampe des Supermarktes aus über den Zaun, der den Müllcontainer von Leuten wie ihm fernhalten soll. Er öffnet den Deckel, die Tonne ist randvoll mit blauen Säcken. „Wir haben in unserer WG vier hungrige Mäuler zu stopfen“, sagt Jo.

Die Nichtnachfrage bestimmt das Angebot in der WG-Küche: Tobi und Jo bergen aus den großen Containern, was offenbar unverkäuflich ist, aber dennoch von Wert.

Auch wenn der Müll einen fauligen Gestank verströmt, der Blumenkohl, den Tobi aus dem blauen Sack fischt, ist makellos. Weiter geht’s. Ja, die eine oder andere Paprika hat Schrumpelhaut, das Verfallsdatum des Joghurts ist abgelaufen, das Brot ist vom Vortag, und die reifen Tomaten teilen ein Plastikpaket mit den faulig-überreifen – aber für Tobi und Jo ist dies Müll, der keiner sein darf. Kreative Konsumkritik nennen sie das, was sie da tun: „Containern“, so nennt sich die Lebensmittelsuche im Supermarktmüll.

Für die beiden Freunde sind die sonntäglichen Touren ein Versuch, den Kapitalismus als Überflussgesellschaft zu entlarven. Ein Protestzug, der allerdings verboten ist, Straftatbestand: Diebstahl oder Hausfriedensbruch, wenn der Container auf Privatgrund steht. „Vom moralischen Standpunkt finde ich es eher verboten, dass die Lebensmittel in solchen Mengen einfach weggeschmissen werden“, kontert Tobi.

Die Kritik der Mitzwanziger an schillernden Warenwelten ist keineswegs widerspruchsfrei: „Wir leben ja von dem System, das wir kritisieren. Was wir tun, ist eher symbolisch.“ Was sie tun, ist ein Versuch, mit dem Überschuss umzugehen, den die Gesellschaft tagtäglich produziert – ein kleines Zeichen. Containern wollen sie jedoch nicht als hippes Markenzeichen der alternativen Szene verstanden wissen: „Es gibt ja auch Menschen, die auf die Reste anderer schlicht angewiesen sind“, mahnt Tobi.

Mit Bafög leben unter der Armutsgrenze

Viel Geld haben auch die Studenten nicht: Mit niedrigem Bafögsatz und unregelmäßigen 400-Euro-Nebenjobs leben sie unter der Armutsgrenze, vermeiden Geld auszugeben, wo es geht – aus Notwendigkeit wie aus Prinzip. Gemeinsam mit zwei Mitbewohnern haben sie ihre WG zu einer Art Experimentierfeld wider die Konsumgesellschaft gemacht.

Jo, der eine Waldorfschule besucht hat und heute Biologie und Geografie studiert, setzt darauf, möglichst viel selbst herzustellen: Marmelade aus Früchten vom Wegesrand und Honig vom Bienenstock im Garten lagern im Vorratsregal, Wein aus angesetzten Holunderblüten reift im Keller, selbst gebaute oder restaurierte Möbel vom Sperrmüll geben sie auch gerne an Freunde weiter.

Tobi, der Sozialarbeit studiert, greift bei der Kleidung gerne auf das Gratis-Angebot zurück, zeigt fast stolz auf seine Schuhe: „Die kosten eigentlich 80 Euro. Im Umsonstladen gab es sie kostenlos.“

Ganz ohne Geld geht’s trotzdem nicht: Zur Warmmiete hinzu kommen Grundnahrungsmittel wie Nudeln oder Reis, die sich seltener in Tonnen finden, genauso wie Kaffee oder Gewürze. Jo erklärt: „Wir versuchen, nicht mehr als 5 Euro pro Nase wöchentlich für den Haushalt auszugeben.“ Klappt nicht immer, aber sie tüfteln weiter am Experiment Gratis-Leben. Neueste Weiterverwertungs-Idee ist was für den süßen Zahn: Bananen werden ab sofort getrocknet, um der Bananenflut aus den Supermarkttonnen Herr zu werden. Weil’s so lecker ist, freuen sie sich auch heute wieder über verschmähte Früchte. „Man kann gut von Weggeworfenem leben, man muss nur wissen wie“, sagt Jo während er ein Bündel ausrangierter Bananen behutsam im Rucksack verstaut.