Bochum. Am neuen XXL-Radweg scheiden sich die Geister. Unser Reporter war auf Tour. Bochums Zukunft oder „totaler Irrsinn“? Das sind die Erkenntnisse.
„Ist super geworden, oder?“, ruft der rennradelnde Senior im Tour-de-France-Outfit beim Überholen kurz hinter der Thyssenkrupp-Verwaltung. Er meint: den XXL-Radweg auf der Essener Straße. Der rasende Rentner ist schnell weitergerauscht. Die Kontroverse um die neue Radspur hat gerade erst Fahrt aufgenommen.
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Selten hat ein WAZ-Artikel eine derart breite und erbitterte Debatte ausgelöst wie der Bericht über den neu geschaffenen Radweg zwischen Höntrop und Bochum-Mitte. Auf acht Kilometern soll er zwischen der Erzstraße nahe der City und der Berliner Straße in Wattenscheid für ein gefahrloses Radeln sorgen und dem Velo-Verkehr in Bochum Rückenwind geben.
Neuer XXL-Radweg: Autos müssen sich mit einer Spur begnügen
Auf der Essener Straße und dem Wattenscheider Hellweg muss sich der motorisierte Verkehr beidseitig mit einer (der bisher linken) Fahrspur begnügen. Rechts entsteht ein durchgehender, zweieinhalb Meter breiter Radweg. Kosten: 256.000 Euro.
Mitte April berichtete die WAZ über die Klagen von Anwohnern der Essener Straße, die sich durch den Radweg ihrer jahrzehntelangen Parkplätze beraubt fühlen. Anlass für zahlreiche Leserbriefe und Online-Kommentare, in denen der neue Radweg als zukunftsweisende West-Ost-Verbindung gelobt, aber ebenso vehement als Unterwerfung vor der Radfahrer-Lobby verdammt wird. Häufigstes Argument der Kritiker: Auf der Wegstrecke gebe es gar keinen nennenswerten Radverkehr.
WAZ-Testfahrt: Das sind die drei wichtigsten Erkenntnisse
Wie sieht es dort tatsächlich aus? Der WAZ-Reporter schwang sich am Donnerstagmorgen zur Rush Hour in den Sattel. Start und Ziel: die Essener Straße in Höhe der Erzstraße. Nach knapp einer Stunde des Radelns und Beobachtens gibt es drei Erkenntnisse:
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- Der neue Radweg war zumindest beim WAZ-Test weitgehend verwaist. Acht Mitradler und zwei E-Scooter-Fahrer zählte der Reporter auf der Tour bis zur Kreuzung Berliner Straße/Zeppelindamm und zurück nach Goldhamme. „Voller ist es hier auch sonst nicht“, sagt Anwohner Bernd Holthaus (53). Für „totalen Irrsinn“ hält er es, dafür eine Fahrspur für Autofahrer „zu opfern. Da gäbe es in Bochum andere Straßen, die es nötiger hätten“.
- Die Radspur hält, was sie verspricht. Während Pkw und Lastwagen mit bis zu 70 km/h links vorbeirauschen, wähnt sich der Radler in seiner Komfortzone sicher. Auch nach rechts ist der Abstand so groß, dass die Furcht vor plötzlich aufgerissenen Autotüren hier unbegründet ist. Mitunter blockieren Lieferwagen den Radweg. Auf der Kreuzung Wattenscheider Hellweg/Westenfelder Straße landet der Pedalritter auf der Straße bzw. Bürgersteig. Gleichwohl: So macht das Radfahren auch in der Stadt Spaß!
- Die Verengung auf eine Fahrspur führt zwar zum von Autofahrern befürchteten Stau auf der Essener Straße: beim WAZ-Test aber nur vor der Ampel Höhe Erzstraße. Auf rund 100 Metern staut sich der Verkehr stadteinwärts. Die Wartezeiten sind erträglich. „Das ist zwischen 7 und 8 Uhr aber noch deutlich länger“, sagt ein Passant. Der Stadt liegen auf WAZ-Anfrage noch keine Erkenntnisse zu vermehrten Verkehrsstörungen vor.
Arbeiten sollen Ende nächster Woche abgeschlossen sein
Voraussichtlich Ende nächster Woche sollen die noch ausstehenden Markierungsarbeiten fertigstellt sein, kündigt Stadtsprecherin Tanja Wißing an. Spätestens dann soll gelingen, was Stadt und Politik als Ziel ausgegeben haben: mit einer verbesserten Infrastruktur den Radverkehr und damit die Lebensqualität in Bochum zu stärken. Ein Anteil von 15 Prozent wird bis 2030 angestrebt.