Bochum. Brot, Müsli und Kakao statt Fastfood: Sieben Seniorinnen helfen an einer Bochumer Grundschule – gegen einen knurrenden Magen und Kinderarmut.

Noch bevor der Schulgong zum ersten Mal erklingt, zieht der Duft nach warmen Kakao und Toast durch den Flur der Gertrudisschule in Wattenscheid-Mitte. Um 7.30 Uhr kommen bereits die ersten Schulkinder in den Speisesaal. Denn dann öffnet das Projekt „Brotzeit“ die Türen zu einem kostenlosen Frühstück für alle Kinder der Schule. Seit 2022 schmieren Seniorinnen und Senioren an der Wattenscheider Schule ehrenamtlich Brote, servieren Käse- und Wurstplatten und füllen Getränkekaraffen auf, um den Grundschulkindern ein stärkendes Essensangebot zu bieten.

Das Projekt „Brotzeit“ wurde 2009 von Uschi Glas gegründet

Selbstverständlich sei ein Frühstück als Start in den Tag nicht, erzählt Vera Eckardt. Laut Ergebnissen der IGLU-Studie kommt jedes fünfte Kind in Deutschland mit leerem Magen in die Schule. Mangelnde Konzentration, schlechte Noten, soziale Ausgrenzung und weniger Bildungschancen sind die Folgen. Im Jahr 2009 hört Uschi Glas genau das im Radio und entwickelt die Idee für das Projekt „Brotzeit“. Denn: „Kein Kind sollte Hunger haben“, betont Vera Eckardt. Der Name ist Programm: Es geht um Brot und Zeit für Kinder.

Ehrenamtliche Frühstückshelfer sind Seniorinnen und Senioren, die seit 2020 auch an Bochumer Schulen aktiv sind: aktuell an sechs Schulen, zwei weitere sollen folgen.

Heute ist das Projekt „Brotzeit“ deutschlandweit an 375 Schulen vertreten. Rund 2200 Seniorinnen und Senioren bereiten pro Jahr rund 600 Tonnen Lebensmittel für ein Frühstücksbuffet vor, damit Kinder gestärkt in den Tag starten können. Im Januar 2024 hat das Projekt seit der Vereinsgründung 15,5 Millionen Frühstücke ausgegeben.

Jedes Fünfte Kind in Deutschland geht hungrig in die Schule

„Guten Morgen“, sagt der erste Schüler, der den Speiseraum betritt. Herzlich wird er von den zwei ehrenamtlichen Frühstückshelferinnen Marianne und Sylvia begrüßt, die bereits um 6.30 Uhr angefangen haben, das Frühstücksbuffet liebevoll aufzubereiten: Apfelspalten, vorportionierte Butter und Marmelade, vier Brotsorten, verschiedene Aufstriche, darunter auch vegane, Müsli und Jogurt warten nun auf die Grundschulkinder.

50 bis 60 Schulkinder kommen jeden Morgen zum frühstücken zum Projekt „Brotzeit“ an der Gertrudisschule in Bochum-Wattenscheid. Um 6.30 Uhr fängt Marianne an, das Buffet vorzubereiten.
50 bis 60 Schulkinder kommen jeden Morgen zum frühstücken zum Projekt „Brotzeit“ an der Gertrudisschule in Bochum-Wattenscheid. Um 6.30 Uhr fängt Marianne an, das Buffet vorzubereiten. © WAZ Bochum | Jana Beringer

„Das ist das beste Frühstück meines Lebens“ oder „es ist wie im Paradies“, hätten Kinder schon zu Vera Eckardt gesagt. Sie ist Projektleiterin von Brotzeit in Bochum und Essen. Viele Kinder an der Bochumer Grundschule kommen mit leerer Brotdose, andere mit kalten Pommes und aufgetauten Hamburgern in die Schule. Die Gründe dafür seien vielschichtig, sagt Vera Eckardt: keine Zeit, kein Geld, keine Struktur.

Gertrudisschule in Bochum-Wattenscheid: 50 bis 60 Kinder kommen täglich zur „Brotzeit“

„Ich komme jeden Morgen“, erzählt Maribell, eine der 50 bis 60 Kinder, die das Angebot täglich wahrnehmen. Die Viertklässlerin sucht sich gezielt Cornflakes aus, die esse sie jeden Tag. Bei vielen der anderen Kinder sind Sandwiches hoch im Kurs. Ein Sandwichtoast mit Käse und Salami, dazu einen Blaubeerjogurt und einen warmen Kakao, das isst einer der Zweitklässler jeden Morgen.

Die Schulkinder der Gertrudisschule in Bochum-Wattenscheid nehmen das Frühstück vom Projekt „Brotzeit“ gerne wahr, um sich zu stärken und auszutauschen.
Die Schulkinder der Gertrudisschule in Bochum-Wattenscheid nehmen das Frühstück vom Projekt „Brotzeit“ gerne wahr, um sich zu stärken und auszutauschen. © WAZ Bochum | Jana Beringer

Immer wieder kommen Kinder in den Raum und waschen sich die Hände, bevor sie sich selbstständig vom Frühstücksbuffet nehmen. Erst- und Viertklässler sitzen zusammen an einem Tisch und unterhalten sich über das Wochenende und den anstehenden Schultag. Es erinnert an ein Café. An diesem Montag sind noch einige Plätze frei. „Manchmal ist es richtig voll hier“, erzählt eine der Zweitklässlerinnen, die den anderen Mädchen am Tisch von einer großen Verlobungsfeier erzählt, auf der sie am Wochenende mit ihrer Familie war.

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Sieben Senioren aus Bochum als ehrenamtliche Frühstückshelfer

„Eines der Mädchen hat bald Geburtstag“, erzählt Marianne. Sie ist eine der insgesamt sieben Frühstückshelferinnen und -helfer der Grundschule. Häufig erzählen die Kinder ihr von ihren Erlebnissen. Als die 69-Jährige vor fünf Jahren in Rente gegangen ist, sei sie zunächst in ein Loch gefallen. „Eine sinnvolle Aufgabe zu haben, hat mir geholfen.“ Das liege auch an der Arbeit mit den anderen Ehrenamtlichen. „Es macht immer Spaß und mit einigen entwickeln sich auch neue Kontakte.“

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Um 8 Uhr verlassen auch die letzten Schülerinnen und Schüler den Raum und bringen ihre Teller und Gläser auf den Geschirrwagen neben der Tür, um in den Unterricht zu gehen. Die Viertklässlerin Maribell freut sich vor allem auf ihr Lieblingsfach Musik.

Marianne steht strahlend vor den Resten auf dem Frühstücksbuffet und erzählt gerührt: „Häufig kommen Mädchen an, drücken mich oder sagen ‚danke‘.“ Für Marianne ist klar: „So lange ich kann, will ich das weitermachen.“

Brotzeit sucht ehrenamtliche Frühstückshelfer

In Bochum und Essen gibt es insgesamt 23 Schulen, an denen das Projekt „Brotzeit“ aktiv ist. 140 Helferinnen und Helfer sind dafür im Einsatz. Weitere ehrenamtliche Frühstückshelferinnen und -helfer ab 55 Jahren werden gesucht, die in Bochumer Schulen das Projekt „Brotzeit“ unterstützen möchten – besonders an der Grundschule An der Maarbrücke in Hamme.

„Viele sagen, ich will helfen, um etwas zurückzugeben. Kinder sind unsere Zukunft“, erzählt die örtliche Projektleiterin Vera Eckardt und führt weiter: „Es ist eine Win-win-Situation für alle.“ Wer Interesse hat, kann sich bei ihr melden – telefonisch unter 0176 57731104 oder per E-Mail an: eckardt@brotzeit.schule.

Für das Ehrenamt gibt es eine Aufwandsentschädigung in Form einer Übungsleiterpauschale.

Gespendet werden die Lebensmittel von Lidl, mittlerweile in Höhe eines kleinen siebenstelligen Betrages. Daneben werde das Projekt vom Schulministerium gefördert und von der Stadt Bochum unterstützt. Dennoch ist der Verein auch weiterhin auf Spenden angewiesen – bereits 12,50 Euro genügen, damit ein Kind eine Woche lang frühstücken kann.

Weitere Infos gibt es auf: www.brotzeitfuerkinder.com.